Dem könne nicht widersprochen werden, meinten die Richter. Obwohl der Gegenstand des Strafverfahrens ein Flugblatt war, für das die Beschwerdeführerin als Vorstandsmitglied eines Kreisverbandes der vor einem neuerlichen Verbotsversuch stehenden NPD die presserechtliche Verantwortung übernommen hatte, verstoße der abgedruckte Text unter der Überschrift „Georg Elser - Held oder Mörder?“ nicht gegen Strafgesetze. Auch eine Frage wie die im Text aufgeworfene: „Wie sehr ist dieses BRD-System schon verkommen, daß es für seinen ‚K(r)ampf gegen Rechts’ (und damit alles Deutsche!) eines solchen Vorbildes bedarf? Ihn in Filmen und Theaterstücken bejubelt, Schüler zwingt, ihn zu verehren ... ? Werden bald die kommunistischen RAF-Terroristen ebenso geehrt und ihre Opfer verhöhnt? Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!“ hielt die 1. Kammer des Ersten Senats unabhängig vom krausen Stil und der unübersehbar verwendeten braunen Tinte nicht für strafbar.
Dabei passiert hier etwas Seltenes in den Tagen der unablässigen Verengung des Meinungskorridors: Voltaires Satz „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst“ bekommt bestätigt, dass er doch noch mehr Verfassungsgrundsatz ist, als der Anschein glauben lässt. Eine Verurteilung wegen staatskritischer Äußerungen, so die 1. Kammer, verletze im Flugblatt-Fall die grundrechtlich gewährleistete Meinungsfreiheit, weil der Text des Flugblatts Meinungsäußerungen enthalte, die der Staat, dem kein grundrechtlich gewährleisteter Ehrenschutz zukomme, aushalten müsse. Zumindest bis „aufgrund der konkreten Art und Weise der Meinungsäußerung der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, die Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“.
Das Flugblatt erfülle diese Voraussetzungen nicht, so dass bei einer Entscheidung über die Strafbarkeit der Grundsatz gelte, „dass nicht der Inhalt einer Meinung als solcher verboten werden darf, sondern nur die Art und Weise der Kommunikation, wenn sie die Schwelle zu einer sich abzeichnenden Rechtsgutverletzung überschreitet“.
Dies sei hier nicht der Fall, heißt es im Urteil. „Das streitige Flugblatt setzt sich anlässlich der Aufführung eines Theaterstücks über den Hitler-Attentäter Georg Elser mit dem zugrunde liegenden historischen Geschehen auseinander und setzt im Rahmen des öffentlichen Meinungskampfes der unterstellten anderen Wertung des „BRD-Systems“ eine eigene Wertung entgegen“, schreiben die Verfassungsrichter. Kernaussage des Flugblattes sei der Satz „Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!“, gegen den sich wenig vorbringen lasse. Die Äußerungen insgesamt verblieben damit „im Bereich bloßer Polemik“, heißt es weiter – und zur Beruhigung der Behörden: „so dass eine auch nur mittelbare Eignung des Flugblattes, den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, ausgeschlossen erscheint.“