Schwarzbrotspiritualität III: Mobilität

Gedanken aus Schwarzbrotspiritualität von Fulbert Steffensky.

Die jüdisch-christliche Tradition erkennt in beidem Gutes: Im Bleiben, Ruhen Zuhausesein wie auch im Aufbruch — aber Letzteres scheint sie mehr zu schätzen; sie kennt und weckt die Sehnsucht nach dem “Ankommen im anderen Land”. Grundsätzlich hat sie also ein ungetrübtes Verhältnis zur Mobilität.

In der Vergangenheit unserer eigenen Gesellschaft war man viel weniger mobil als heute — sowohl äusserlich wie auch gedanklich. Die Welt war überschaubarer und vorhersehbarer. Sie war deshalb aber nicht unbedingt auch besser. Das gedankenlose Weiterführen der Tradition macht(e) notwendige und hilfreiche Veränderung extrem schwierig. — Aber das ist nur die eine Seite, denn

… [es] lagen in jener engen immobilen Zeit Voraussetzungen für eine Beheimatung des Menschen, die heute bedroht sind. Die Menschen hatten in jenen kargen Zeiten ein anderes Verhältnis zu den Dingen. Man hat die Dinge nicht  schnell gekauft und sie schnell verbraucht und weggeworfen.

Diese Schnelle und diese Leichtigkeit prägen auch unser Verhältnis zu den Orten, die wir heutzutage in unserer erhöhten Mobilität so einfach aufsuchen können. Besonders dramatisch ist die Situation bei Geschäftsreisen, wo der fremde Ort nur noch als Kulisse herhalten muss. “Welch eine Beleidigung der Städte, sie nur in der äussersten Reduktion auf ein Hotel und einen Vortragsraum wahrzunehmen! Diese Städte haben mir nichts gegeben. Sie waren mir nichts schuldig, weil ich ihnen keine Zeit gelassen habe. Sie sind nicht in meinem Gedächtnis, und ich habe keinen Grund, sie zu lieben.” — Wie trefflich formuliert!

Wenn ich vor 200 Jahren nach Rom wollte, dann musste ich eine lange Reise machen. Rom war nicht jederzeit — sommers und winters — verfügbar. Es hat mir seinen Widerstand entgegengesetzt, und ich musste es erobern. (…) Rom war nicht nur Rom, es war auch die Reise nach Rom. Man konnte nicht rasch und gewaltsam auf die Stadt zugreifen, sie in Besitz nehmen und geniessen.

Die wahre Tragik in alldem ist aber dies:

Vor der Blitzartigkeit und der Bewegung des unmittelbaren Zugriffs bleiben natürlich die Beziehungen der Menschen zueinander nicht verschont. (…)

…die grenzenlose Mobilität stört die Lebensintensität, die Wahrnehmungsfähigkeit, die Beziehungsfähigkeit und die Genussfähigkeit. (…)

In dieser neuen Blitzartigkeit [gehen] … die passiven Stärken des Menschen verloren: die Geduld, die Langsamkeit, die Stillefähigkeit, die Hörfähigkeit, das Wartenkönnen, das Lassen, die Gelassenheit; um zwei alte Worte zu nennen: die Ehrfurcht und die Demut.

Trefflicher könnte ich es nicht sagen.

 



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