Die Serie „Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
Wenn man dem alten, neuen Phänomen der Alltagssucht auf den Grund geht, entblättert sich etwas durchaus Wunderbares: Alltagssucht ist ein anderes Wort für den Wunsch nach Frieden. Ich halte es nicht für übertrieben zu sagen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg Generationen hart dafür gearbeitet haben, dass heute Alltagssucht (in Europa) überhaupt möglich ist. Dass sich also der Tagestrott so bewahrenswert anfühlt. Weil er es ist. Ich habe den Ausruf einer empörten Person beobachtet: "Ihr tut so belastet nach ein paar Wochen? Ihr wisst ja gar nicht, was echte Not ist!" Im ersten Moment wollte ich co-empört zustimmen, verdammte Dackel, kaum ist mal 75 Jahre kein Krieg, schon halten die Leute keine vier Wochen Quarantäne mehr aus. Aber in Wahrheit ist es ein Segen, dass 2020 so viele Menschen dem entsprechen, was Nationalmilitaristen "verweichlicht" nennen würden. Diese Form von Härte ist toxisch, in Deutschland doppelt. Gepriesen sei eine Gesellschaft, die Klopapierknappheit für ein Worst-Case-Szenario hält. Ich würde in keiner anderen Leben wollen. (Sascha Lobo, SpiegelOnline)
Sascha Lobo entwickeklt in seinem Artikel noch ein paar andere interessante Gedanken rund um die Idee der Alltagssucht, aber ich fand die Betonung dieses Aspekts besonders relevant. Das gerade in rechten Kreisen beliebte Motiv von der Verweichlichung ("harte Zeiten machen harte Männer") ist nicht nur empirisch falsch, es ist, wie Lobo korrekt feststellt, auch toxisch. Als ob Härte und Entbehrung etwas Positives wären! So etwas behaupten immer nur Leute, die selbst sehr weich leben und nichts entbehren müssen, mindestens seit Thukydides und Cicero. Und klar, wir alle wollen wieder in eine Form von Alltag zurück, oder besser: Niemand will, dass die Corona-Zustände ein neuer Alltag werden. Aber gleichzeitig ist die Regung auf eine gewisse Weise auch infantil. "Ich will aber!" ist etwas, das man normalerweise eher mit Fünfjährigen in Verbindung bringt, aber aktuell wird es allenthalben zum Leitfaden von Politik. Keine Entwicklung, die man besonders positiv betrachten würde.
2) "Werden wir danach so tun, als sei alles nur ein Traum gewesen?" (Interview mit David Graeber)
ZEIT ONLINE: Herr Graeber, plötzlich ist Homeoffice doch möglich und Supermarktkassiererinnen sind systemrelevant. Stellt die Corona-Krise auch unsere Arbeitswelt für immer auf den Kopf?
David Graeber: Hier in Großbritannien hat die Regierung eine Liste zusammengestellt mit den systemrelevanten Berufen - wer in denen arbeitet, darf weiterhin seine Kinder in die Schule schicken, wo sie betreut werden. Die Liste besticht durch die erstaunliche Abwesenheit von Unternehmensberatern und Hedgefondsmanagern! Die, die am meisten verdienen, tauchen da nicht auf. Grundsätzlich gilt die Regel: Je nützlicher ein Job, desto schlechter ist er bezahlt. Eine Ausnahme sind natürlich Ärzte. Aber selbst da könnte man argumentieren: Was die Gesundheit angeht, trägt das Reinigungspersonal in Krankenhäusern genauso viel bei wie die Mediziner, ein Großteil der Fortschritte in den letzten 150 Jahren kommt durch eine bessere Hygiene.
ZEIT ONLINE: In Frankreich erhalten die gerade besonders geforderten Supermarktangestellten jetzt eine Bonuszahlung - auf Drängen der Regierung. Von allein regelt der Markt das nicht.
David Graeber: Weil der Markt gar nicht so sehr auf Angebot und Nachfrage basiert, wie uns immer eingeredet wird - wer wie viel verdient, das ist eine politische Machtfrage. Durch die aktuelle Krise wird jetzt noch deutlicher: Mein Lohn hängt überhaupt nicht davon ab, wie sehr mein Beruf tatsächlich gebraucht wird. [...]
ZEIT ONLINE: Das wäre tatsächlich ein Erkenntnisgewinn aus der gegenwärtigen Situation, oder?
Graeber: Ja. Die Frage ist bloß: Werden die Leute, wenn diese Krise vorbei ist, so tun, als sei das alles nur ein Traum gewesen? Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 konnte man Ähnliches beobachten: Einige Wochen lang haben alle gesagt: "Oh, alles, was wir für wahr gehalten haben, stimmt ja gar nicht!" Man hat endlich grundsätzliche Fragen gestellt: Was ist Geld? Was sind eigentlich Schulden? Aber irgendwann hat man plötzlich entschieden: "Halt, wir lassen das jetzt wieder. Lass uns so tun, als sei das alles nie passiert! Lass uns alles wieder so machen wir vorher!" Und die neoliberale Politik und die Finanzindustrie haben einfach weitergemacht. Darum ist es so wichtig, dass wir, was wir uns in Krisenzeiten endlich eingestehen, danach nicht wieder verdrängen - zum Beispiel, welche Jobs wirklich systemrelevant sind und welche nicht. (Lars Weisbrod, ZEIT)
David Graeber ist einer jener Wissenschaftler, bei denen ich das Gefühl habe, die Gabe zur Zuspitzung und Formulierung pointierter Thesen geht zulasten der Erkenntnisqualität. Steven Pinker und Niall Ferguson würden mir spontan als auch in diese Reihe passend einfallen, und wenngleich Graeber mir wegen seiner eher linksliberal orientierten Einstellung ideologisch näherstehen mag, betrachte ich seine Thesen doch eher skeptisch. Davon unabhängig aber muss man deutlich sehen, dass die alte linke Kritik, die er hier in Gewandung seiner Bullshitjob-Theorie unter die Leute bringen will, durchaus zutreffend ist. Wirklich systemrelevante Berufe sind beschissen bezahlt, während gesamtgesellschaftlich eher nicht so relevante Teile deutlich besser bezahlt werden. Es erschließt sich nicht unbedingt, warum ein Softwareingenieur bei Daimler doppelt so viel verdient wie ein Lehrer am Gymnasium oder ein Arbeiter in der dortigen Fertigung doppelt soviel wie eine professionelle Pflegekraft. Fragen von Gehalt sind eben nicht hauptsächlich durch Angebot und Nachfrage bestimmt; das ist lediglich die schöne legitimierende Geschichte, die von den Gewinnern des Systems erzählt wird. Sie sind Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse.
3) Schulleiter-Umfrage ergibt: „Berufszufriedenheit an Schulen im freien Fall"
Ein zentrales Ergebnis der Studie lautet, dass in der Corona-Krise die Berufszufriedenheit an den Schulen drastisch sinkt. In nur drei Monaten hat sich die Zahl der Schulleitungen, die ihren Beruf nur „ungerne" ausübt, von 9 Prozent im Februar auf 20 Prozent im April mehr als verdoppelt. „Hier zeigt sich, wie sehr die Krise den Schulleitungen zu schaffen macht. Sie mussten praktisch übers Wochenende ihren gesamten Schuljahresplan umschmeißen, den Fernunterricht auf die Beine stellen und die Notbetreuung einrichten. Viele von ihnen haben in den Osterferien durchgearbeitet und sind werktags von morgens bis abends an der Schule, um den Laden irgendwie am Laufen zu halten", erklärt Brand. Darüber hinaus kommt es mit der Corona-Krise zu einer deutlichen Verschiebung schulischer Problemlagen. Der Lehrermangel ist bis zur Krise das beherrschende Thema und hat sich in den letzten Jahren weiter verschärft: Hatte 2018 noch jede dritte Schule mit unbesetzten Stellen zu kämpfen, sind es dieses Jahr bereits 48 Prozent der Schulen, die vom Lehrermangel betroffen sind. „Dies bedeutet nichts anderes, als dass das Land an der Hälfte der Schulen den Unterricht auch in Normalzeiten nicht in allen Bereichen in der gewünschten Qualität sicherstellen kann," so Brand. Neben dem Lehrermangel nennen die Schulleitungen vor der Corona-Krise die steigende Arbeitsbelastung, die Eltern der Schüler sowie Inklusion und Integration als Hauptprobleme der Schulen. Während der Corona-Krise rücken nun durch die Schulschließungen bedingte Problemfelder in den Vordergrund: Das Krisenmanagement, fehlende Konzepte für Homeschooling und Notbetreuung sowie die mangelhafte digitale Infrastruktur für das Homeschooling. (News4Teachers)
Es ist wenig verwunderlich, dass sich die Bundesländer zunehmend schwer tun, Schulleitungsstellen zu besetzen. Die Arbeitsbedingungen sind einfach mies. Nicht nur sind die Arbeitszeiten jenseits von gut und böse, die meisten Schulleitungen haben völlig unzureichendes Büropersonal unter sich, keine vernünftigen Büros und so weiter. Die Verantwortung, die mit dem Amt einhergeht, ist riesig. Die Bezahlung entspricht dem zusätzlichen Stress und Arbeitsaufwand in keinster Weise. Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen ebenfalls sehr schlecht. Dass da die Zufriedenheit immer noch bei 80% liegt, ist ein kleines Wunder.
4) What the Left Can Learn from the Tea Party About How to Gain Power
Contrast this with the progressive left. When it was recently announced that Congresswoman Alexandria Ocasio-Cortez would be co-chairing a climate panel for Joe Biden's policy shop with John Kerry, there was an uproar on social media. How could she sell-out her principles and work with establishment Democrats? Ocasio-Cortez, Kerry and Biden might not seem like a natural fit, but the group came together because they all recognize that they need each other. When AOC, perhaps Bernie Sanders' most high-profile congressional endorser, moved to embrace Biden as the inevitable nominee, she earned some good will. John Kerry praised and defended her during his April climate testimony before the House Oversight and Reform Committee for offering "more leadership in one day or one week thanPresident Trump has in his lifetime." You might think that supporters of Bernie Sanders would be gratified to see Ocasio-Cortez placed in a position to help craft Biden's climate policies, but the loudest voices were all extremely cynical about the move and critical of AOC for accepting it. Ironically, back in March, Ocasio-Cortez was on television defending the Green New Deal and said, "This is not a Tea Party of the left, this is a return to representative democracy." But many of her erstwhile supporters abandoned her when she gained a seat at the table. She might not act like the Tea Party, but many wish she would. The progressive left too often does not want power. Power is pretty much all the racist right wants. Both groups are known for making unrealistic demands, but the Tea Party strategists actually understand the leverage points and will fight to get their people into positions of influence. At least in that limited respect, the Tea Party is a more effective anti-establishment organization. (Martin Longman, Washington Monthly)
Es war schon immer die Achillesferse der Linken, ideologische Reinheit über konkrete Gestaltungsspielräume zu stellen. Die Kräfte der Mitte und alles, was rechts davon steht, dürften darüber nicht allzu unglücklich sein. Mir bleibt völlig unverständlich, wie die Linke denselben Fehler immer und immer wieder machen kann. Die Grundlage ist die völlig irrige Vorstellung, "in Wahrheit" VertreterInnen der Mehrheit zu sein. Das wird nur abwechselnd durch Feindpropaganda, Wahlunterdrückung oder schlichte Dummheit von eben dieser Mehrheit nicht erkannt. Ich denke, hier liegt auch der entscheidende Unterschied zu den Rechten (in dem Fall als "rechter Rand" zu verstehen). Sowohl die Linke als auch die Rechte gerieren sich gerne als einzige Vertreter des Volkes, als legitimier Ausdruck der (ungehörten) Mehrheitsmeinung gegen den bösen, alles erstickenden Mainstream. Aber nur die Linke verhält sich auch so und scheitert deswegen permanent. Die Rechte REDET, als ob sie die Mehrheit wäre, aber sie AGIERT, als wäre sie die Minderheit. Und das ist sie auch. Ihre Versuche, die Macht durch alles, was nicht offene Wahlen sind, zu erreichen und sichern, spricht da eine deutliche Sprache. Die alten Realsozialisten hatten diese Erkenntnis auch noch verinnerlicht. Von daher dürfen wir manchmal sicherlich dankbar sein, dass die extreme Linke taktisch so ungeheuer blöd ist. Die extreme Rechte tut uns den gleichen Gefallen nicht; das macht sie - zumindest aktuell - auch deutlich gefährlicher.
Die Nicht-Lindners in der FDP verkörpern nicht nur einen politischen, sondern auch einen ästhetischen Unterschied. Sie verzichten auf Krawall als Selbstzweck, sie halten die Zuspitzung nicht für das einzig mögliche Mittel, um Relevanz zu erzeugen. Sie können den politischen Gegner bisweilen sogar loben. Und sie treffen damit einen Punkt. Denn ausgerechnet Lindners größte Stärke ist mittlerweile zum Problem für die FDP geworden: das Reden. Die Gegner, so wie sie sind, genügen Christian Lindner nicht mehr. Er zeichnet sie überlebensgroß. Mal warnt er vor "Maulkörben", die das Bundeskanzleramt den Deutschen aufsetzen wolle. Mal empfiehlt er den Virologen, "in ein Konklave" zu gehen, um danach bitte mit einer einzigen geschlossenen Meinung wieder herauszukommen. Mal sagt er, die Grünen wollten den Deutschen das Schnitzel verbieten. Lindner, so sehen es in diesen Tagen viele in der Partei, ist verführt von dem Raum, der sich rechts von der Union aufgetan hat. Nein, sagen sie, wenn man sie danach fragt, eine Strategie sei das noch nicht, denn wenn es eine Strategie wäre, dann müsste man sich ja dagegen wehren. Aber dennoch sei da etwas am Werke, eine Art Sog, in dem sich der Parteichef befinde. Dieser Sog hat etwas Paradoxes: Je stärker er wird, desto besser sind jene zu erkennen, die sich nicht mitziehen lassen. Aber ihre Einwände sind so leise, dass sie nicht als Kritik vernehmbar sind. [...] Unter Lindner droht nun aus dem Liberalismus eine Art magentafarbener Konservatismus zu werden, der nicht mehr Veränderung verspricht, sondern Bewahrung. Schon in der Flüchtlings- und der Klimakrise galt, was nun auch bei Corona zu erkennen ist: Die Utopie des Lindner-Liberalismus ist die Normalität. Für die Bindestriche bleibt wenig Platz - zugleich drängen die Umstände sie langsam nach vorn. Denn spätestens unterhalb der fünf Prozent braucht es niemanden mehr, der die Machtfrage stellt. Sie stellt sich dann ganz von allein. (Anna Mayr/Robert Pausch, ZEIT)
Es ist nur eingeschränkt überraschend, dass es auch in der FDP Richtungskämpfe gibt, und noch weniger überraschend, dass eine Partei, die ihr ganzes Programm und Profil auf eine Kultfigur an ihrer Spitze eingedampft hat, Probleme bekommt, wenn diese Kultfigur nicht mehr liefert. Was ich aber besonders bemerkenswert finde, ist dass die Kritik genau gleich klingt wie die, die aus der CDU immer an Merkel erschallte. Schwächung der innerparteilichen Demokratie, keine Kritik am Großen Vorsitzenden ist erlaubt, Ausschalten potenzieller Konkurrenten, erratische Entscheidungen - man ersetze Lindner durch Merkel, und man liest einen Artikel über die Werteunion. Nur dass die innerparteiliche Opposition in der FDP halt von links kommt, aber das ist angesichts von Lindners zunehmend offensichtlichem Rechtskurs auch wenig überraschend. Ich glaube nicht, dass den FDP-Parteirebellen allzu viel Erfolg beschieden sein dürfte. Solange die FDP im Bundestag bleibt, dürfte Lindner auch ihr Vorsitzender bleiben. Schließlich ist die Kritik ja richtig: die konsequente Ausrichtung der Partei auf ihre Führungsfigur hat, ebenso wie in der CDU, das Potenzial für Nachfolger komplett ausgedörrt. Lindner or bust ist die Devise. Und sollte die FDP 2021 wieder aus dem Bundestag fliegen, ist die Frage nach der Führung in der Partei ohnehin das geringste Problem, das sie dann haben wird. Genauso wie bei Merkel diktiert der fortgesetzte Erfolg die Bleibekraft Lindners, und Erfolg ist der Verbleib im Bundestag (wie bei Merkel der Erhalt des Kanzleramts). Aus Sicht von Lindners innerparteilicher Opposition ist das natürlich eine Lose-Lose-Situation, aber aus Sicht Lindners ist es ein sehr effektives Absichern der eigentlichen Macht. Er hat halt von der besten gelernt.
Zwischen Corona und Klima gibt es bemerkenswerte Unterschiede im öffentlichen Diskurs wie auch im staatlichen Handeln. Eines der ersten Opfer des Virus waren Greta und Fridays For Future. Und das, obwohl die Folgen des Klimawandels, nach allem, was man weiß, für Millionen von Menschen wesentlich dramatischer sein werden, als die Virusinfektion. Aber das Coronavirus hat etwas geschafft, was der Klimakatastrophe bisher nicht gelungen ist: Zur Behauptung der Katastrophe die überzeugenden Fakten zu liefern und dafür die eindeutige Urheberschaft zu beanspruchen. Bilder von einsam in Notbetten Sterbenden und am Rande des Zusammenbruchs stehenden Ärztinnen verfehlen nicht ihre Wirkung. Die Gefahr erschließt sich sofort, die Unmittelbarkeit ist zwingend. DAS war das Virus! Und alle nicken. Eine nachvollziehbare Kausalität, die 1.000 Bilder vom schmelzenden Polareis und brennende Wälder in Australien bislang nicht zuwege brachten. Die Unmittelbarkeit von Corona ist zudem global. Sie kommt über den gesamten Planeten im Hier und Heute. Niemand gewinnt, alle verlieren, viele sterben - egal, ob sie in Europa zuhause sind, in Afrika oder in China. Der politische Mut, mit dem staatliche Corona-Maßnahmen beschlossen wurden, lässt sich ein Stück weit auch nur so erklären, dass es schon die Chinesen vormachten, danach die Franzosen, die Italiener, die Österreicher, die Amerikaner, und am Ende sogar die Briten. Unter Erklärungsnot wäre eher geraten, wer es angesichts der weltweiten Entwicklung anders gemacht hätte. Nüchtern betrachtet, hat die Politik gehandelt, wie sie handeln musste. Wer ihr vorwirft, dabei im Hinblick auf eine ungewisse Bedrohungslage übertrieben gehandelt zu haben, bekommt vielleicht sogar recht. Im Nachhinein. Kein großes Verdienst, wenn man ehrlich ist. (Eva Maria Strobl/Thomas Strobl, Achse des Guten)
Auch die Überlegungen in diesem längeren und absolut lesenswerten Text zur Ökonomie des Gesundheitssystems sind sehr interessant, weil sie Strobls die Besonderheit des Gesundheitssystems - das sich durch die Kranken, nicht die Gesunden definiert und damit angesichts seiner Zielsetzung, die eigene Erwerbsgrundlage abzuschaffen, eher einzigartig ist - gut herausstellen. Ich habe diesen Ausschnitt allerdings deswegen gewählt, weil der Vergleich zwischen Klimakrise und Pandemie immer wieder die Gemüter beschäftigt und ich Strobls These, warum wir auf die Klimakrise nicht reagieren, vollständig teile. Solange die Katastrophe nicht fühlbar ist, werden wir da nicht ausreichend agieren. Das Weltklima muss erst so aus den Fugen geraten, dass 80-90% der Bevölkerung zweifellos erkennen, dass wir es mit dem Desaster zu tun haben. Natürlich wird es dann zu spät sein, aber das wird der Moment sein, in dem die Schleusentore geöffnet werden und all das Geld, das heute angeblich nicht da ist, plötzlich zur Verfügung stehen wird - weil es alternativlos ist. Zur Zeit ist Nichthandeln noch eine wunderbar attraktive Alternative, schon allein, weil die heutigen Entscheidungsträger (ganz anders als die jüngeren Generationen) die Auswirkungen nicht mehr selbst erleben werden. Bei einer Pandemie ist das ganz anders, die erleben wir alle sehr direkt und unmittelbar, und sie bedroht gerade die älteren Jahrgänge an den Entscheidungsschaltstellen umso mehr.
7) "Die etablierte Politik handelt nicht ehrlich" (Interview mit Gregor Gysi)