Pünktlich zum Jahrgedächtnis des wegen unzulässig vom üblichen Erklärmuster für die Ursache des "totalen Zusammenbruchs der Weltwirtschaft" (Peer Steinbrück) abweichenden PPQ-Beitrages "Wem die Schulden der Deutschen gehören" spricht die renommierte Qualitätszeitung "Die Welt" aus dem Munde von Carl Christian von Weizsäcker Klartext. Ja, liebes Publikum, die ganze Schuldenbremserei, das ganze Geschimpfe auf namenlose Spekulanten und anonyme "Finanzmärkte", alles nur Budenzauber, Kokolores, Taschenspielertricks! "Alleine um das Vorsorgebedürfnis der Bürger kompatibel zu machen mit dem nur begrenzten Bedarf der produzierenden Wirtschaft an Kapital", sagt Weizsäcker, müssten Staaten weiter Schulden machen. Denn Bürger wollen heute für morgen anlegen, alle Märkte außerhalb der für staatliche Anleihen aber sind viel zu klein, um all das Kapital für zwanzig, dreißig Jahre zu parken. Weizsäcker: "Die Lücke muss durch Staatsverschuldung gedeckt werden."
So einfach. "Der eine arbeitet und legt Geld zurück oder zahlt in die Rentenkasse ein", beschreibt Weizsäcker, "der andere kriegt was raus aus der Lebensversicherung oder aus der gesetzlichen Rentenversicherung und das heutzutage für 20 Jahre". Diese "enorm großen Beträge" führten logischerweise dazu, "dass die ganze Finanzmarktveranstaltung heute ein so großes Volumen erreicht hat". Grund sei nicht Spekulation, nicht der böse Kapitalismus, nicht der gierige Manager. Sondern schlicht die demografische Entwicklung. "Das sind natürlich sehr abstrakte Vorgänge, die der normale Bürger nicht so recht versteht. Und deshalb hat er ein zunehmendes Misstrauen in das ganze Marktgeschehen.
Die Zusammenhänge sind deutlich genug zu sehen, dass jedes Blatt im Lande sie seit dem Ausbruch der Gigantenkrise zigmal hätte erklären können. Vielleicht sogar in einfacheren Worten als Weizsäcker: "Dadurch, dass wir eine hohe Lebenserwartung haben und auch im Alter noch konsumieren wollen, braucht man einen ungleich größeren Finanzmarkt als früher. Das muss ja irgendwie intertemporal abgeglichen werden können." Sprich, so lange das Gesparte nicht für den Konsum gebraucht wird, muss es irgendwohin.
Die Möglichkeiten aber sind begrenzt. Immobilien. Devisen. Rohstoffe. Aktien. Anleihen. Der Markt für Letztere, auf dem Geldbesitzer ihr Bares gegen das versprechen von Staaten tauschen können, das Geld später mit Zinsen zurückzubekommen, ist der größte, ja, er ist sogar um ein Vielfaches größer als die anderen Märkte zusammen.
Was also würde passieren, setzten sich die Prediger der Null-Staatsverschuldung weltweit durch? Wenn die Null steht? Und die Finanzminister nur soviel Geld ausgeben, wie sie aus steuern und Abgaben einnehmen?
Nach und nach würde der Anleihemarkt austrocknen. Staaten würden alte Kredite zurückzahlen, irgendwann aber neue nur noch in einem viel geringeren Volumen aufnehmen. Schön für den Staat, eine Katastrophe für alle Sparer. Denn die sichere Bank, auf der kleine, mittlere und große Vermögen auf den Tag warten konnten, an dem sie gebraucht werden würden, ist plötzlich weg.
Wer nun noch Geld aufbewahren möchte, wird ein Haus kaufen müssen. Ein Eisenerz- oder Kupferzertifikat. Schweizer Franken oder südafrikanische Rand. oder wieder Telekom-Aktien, die vor Jahren schon einmal als staatlich garantierter Weg zum Reichtum gehandelt wurden.
Das Problem dabei werden die Größenverhältnisse sein. schon 2005, lange vor der großen Staatsschuldenexplosion, betrug der Wert der Vermögen, die weltweit in Anleihen angelegt waren, rund 31 Billionen US-Dollar, bis heute dürfte er auf weit über 50 bis 60 Billionen gestiegen sein. Alle Firmen an allen Aktienmärkten der Welt kommen nicht annähernd in die Nähe einer solchen Summe.
Was also wird passieren, wenn all das Geld aus den verschwindenden Staatsanleihemärkten nach neuen Unterstellungsmöglichkeiten zu suchen beginnt? Wenn 50 Billionen wie ein Mann aus einem Scheunentor drängeln und versuchen, durch die Katzenklappe ins Trockene zu kommen? Irgendwo wird es hinmüssen, das Kapital, irgendwas werden die Anleihebesitzer von heute dann dafür kaufen müssen, wenn es keine Staatsschulden in ausreichender Höhe und damit auch keine Anleihen in ausreichender Zahl gibt.
Den Rest des Szenarios, für das wir heute schon den Namen Schuldenkrise 2.0 vorschlagen, darf sich jeder ausrechnen. "Die Politik glaubt, sie müsse die Märkte bändigen", wird Weizsäcker in der "Welt" gefragt. "Ich halte das für eine Katastrophe", sagt er.