„God Waits at the Station“ in einer Aufführung mit Studierenden des Max Reinhardt Seminars im Volx-Margreten machte klar, warum der jüdisch-palästinensische Konflikt in Permanenz neue Opfer hervorbringt.
Der Saal im Volx-Margareten wartet mit zwei gegenüberliegenden Publikumstribünen auf. Der schmale Raum in der Mitte dazwischen reicht dem jungen Ensemble für sein Spiel. Am Boden ist ein dreidimensionales Landkarten-Schichtenmodell (Paul Lerchbaumer) nachgebildet. Die Aufschriften in Hebräisch und Arabisch machen klar, dass es sich hier um israelisches und palästinensisches Gebiet handelt. Eine Herausforderung für die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler, denn auf einem unebenen Boden zu spielen, hat schon so manches Hoppala hervorgebracht. Nicht jedoch am Premierenabend.
„God Waits at the Station“ von Maya Arad erzählt die Geschichte der muslimischen Krankenschwester Amal und ihrer Familie. Davon, wie sie sich als Kind ein selbstbestimmtes Leben erhoffte, dessen Träume aber durch ein patriarchalisches System zerstört wurden. Die Handlung berichtet auch von den israelischen Restriktionen, die schließlich einen vernichtenden Einfluss auf das Leben von Amal und ihrer Familie hatten. Mehr als bemerkenswert für eine junge Schriftstellerin, die Israelin ist.
Michaela Saba spielt den meisten Teil des Abends die junge, zarte, aber unterdrückte Muslimin, die durch den Tod ihres Bruders und ihres Vaters radikalisiert wird. Den meisten Teil des Abends deswegen, weil sie in den letzten Minuten die Rolle mit Lena Kalisch wechselt. Diese verkörpert bis dahin ihre Gegenspielerin Yael, eine israelische Soldatin.
Durch Rück- und Vorblenden schafft die Autorin ein kunstvolles, theatralisches Gebilde, das durch das intensive Spiel der Studentinnen und Studenten packt. Amals Familie, Vater Thaiser (großartig mit wie viel Verve Enrique Fiß den verbitterten, alten Mann im Rollstuhl glaubhaft interpretiert), Mutter Nabila (Winnie Ricarda Bistram) und Bruder Fares (Markus Bernhard Börger), bleibt nach der politischen aber auch menschlichen Logik gar nichts anderes übrig, als sich gegen die Situation in ihrem Lager, in dem sie leben, zur Wehr zu setzen. Genauso wie auch Yael nichts anderes übrigbleibt, als die Befehle, die ausgegeben sind, um die Grenze zu schützen, einzuhalten. Der Rollentausch, den Lena Kalisch und Michaela Saba kurz vor dem Höhepunkt der Handlung vornehmen, macht deutlich, dass die Verhaltensweisen der beiden jungen Frauen menschlich verständlich, ja austauschbar sind. Wäre die eine in der Situation der anderen, sie würde unter Umständen genauso handeln.
Hannan Ishay, der Regisseur, wurde selbst in Israel geboren und ist dort aufgewachsen. Er setzt in der Inszenierung nicht auf emotionales Tränendrüsendrücken. Auch nicht auf eine realistische Wiedergabe jener grauenhaften Momente, in denen Menschen zu Tode kommen. Eine kluge Entscheidung, denn so bleibt jener Reflexionsraum, der es ermöglicht, in einer Meta-Ebene über das Geschehen, das sich auf der Bühne abspielt, nachzudenken. Es bleibt Zeit, zu erkennen, dass Gewalt nichts anderes als Gewalt hervorbringen muss. Und es bleibt die Erkenntnis, dass es letztlich in Gesellschaften, die permanent von Terror bedroht sind, ein Zufall ist, ob man selbst Opfer eines Anschlages wird oder nicht.
Besonders packend ist jene Szene, in der gezeigt wird, welchem Druck die junge Grenzsoldatin ausgesetzt ist. Auf der einen Seite bedrängen Palästinenser den Grenzzaun und hören nicht auf, sie um einen Passagierschein anzubetteln. Auf der anderen Seite ist es ihr Vorgesetzter (Luka Vlatkovic, der auch als Taxifahrer Jamal brilliert), der ihr permanent über ein Megaphon Befehle zuruft. Dazwischen Yael, in einer im wahrsten Sinne des Wortes aufreibenden Position, in der sie nichts als nur verlieren kann.
Jeanne-Marie Bertram verkörpert sowohl Nasrin, Amals Freundin, als auch Saraya, Jamals Frau. Als Letztere rechnet sie aufgrund der Erlebnisse ihres Mannes in jedem Moment mit dem Schlimmsten. Was auch immer ihr Mann macht, ob er er einen Fahrgast wie Amals kranken Vater ablehnt, oder ob er aus Mitleid schließlich Amal selbst ahnungslos zu jenem Ort transportiert, an dem sie ein Selbstmordattentat verüben wird, er ist einer jener Charaktere, denen das Schicksal permanent Steine in den Weg legt.
Der frenetische Applaus am Ende war berechtigt und zeigt, dass die Entscheidung des Volkstheaters, mit dem Max Reinhardt Seminar zu kooperieren, richtig war. Eine Entscheidung, die nicht nur den Jungen die Möglichkeit bietet, außerhalb ihres geschützten Seminars erste Bühnenerfahrungen zu sammeln. Auch das Publikum profitiert davon, kommt es doch in den Genuss, den Nachwuchs, der vielleicht schon morgen in den großen Häusern zu finden sein wird, bei seinen ersten öffentlichen Spielversuchen zu erleben.