Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Ines Gerstmann.
Oft werde ich gefragt, seit wann ich schreibe. Ohne zu zögern, zähle ich die Jahre ab dem Tag, da ich zum ersten Mal eine Schreibwerkstatt betreten habe. Obgleich ich heute weiß, dass mein Schreiben lange vor diesem Tag seinen Anfang genommen hat. Seit ich schreiben kann eben. Doch schreiben können und schreiben können sind zwei verschiedene Schuhe. Wirklich schreiben lernte ich in den vielen Schreibwerkstätten, die ich seit sieben Jahren von Zeit zu Zeit besuche.
Schreiben ist vielgestaltig und jede Schreibwerkstatt zeigt sich von ihrer eigenen Seite. Nicht zuletzt ergibt sich das mit den Leitern solcher Werkstätten, die zumeist selbst Autoren sind und auf diesem Weg Wissen und vor allem Erfahrung weitergeben. Auch die „Schüler“ tragen ihren Teil zum Austausch bei. Denn schreiben rührt für meine Begriffe viel aus Erfahrungen und dem Austausch mit anderen Schreibenden. Das Spektrum der Schreibwerkstätten, in denen ich bisher war, reichte von der Technik des Schreibens (Perspektive, wie beschreibt man gut, Aufbau, Zeit- und Erzählform usw.) bis hin zum Stimmtraining für eine gelungene Lesung. Besonders schätze ich die Schreibwerkstatt in meiner Heimatstadt Frankfurt/Oder, die regelmäßig alle zwei Wochen stattfindet, von der Autorin Carmen Winter geleitet wird und deren ersten Besuch ich als Anfang meines Schreibens betrachte. Gerade Anfänger sollten sich nicht scheuen, ihr Schreiben in Werkstätten zu erweitern. Man lernt Kritik auszuhalten und Texte kritisch, selbstkritisch zu lesen. Das finde ich sehr wichtig, vor allem dass dies alles im geschützten Raum der Werkstatt stattfindet. Dabei darf man sich die Kritikrunden nicht wie einen Schlagabtausch vorstellen, indem es um richtig oder falsch geht. Vielmehr ist es ein Meinungsaustausch, in welchem der Text samt Autor sanft auf ein „Ziel“ hingeführt wird;- das eigene Schreiben und das Eigene des Schreibens. Das gilt selbstverständlich für die „Kritiker“. Andere Texte zu beleuchten, erhellt die eigenen. In jener zweiwöchigen Werkstatt kann jeder Texte vorlesen (auch das will gelernt sein), die er zu Hause oder anderswo geschrieben hat. Jeder Autor hat einen blinden Fleck zum eigenen Text und die Hinweise der anderen, helfen diesen sichtbar zu machen. Gedichte kommen hierbei ebenso zur Sprache, wie Prosa in jeglicher Form, Essay oder wissenschaftliche Texte und alles befruchtet sich während der Arbeit auf wundersame Weise. Gedichte werden nach ihrer Form hin untersucht (Reimschema, Rhythmus, Sprache usw.). Was ist vorhanden, was nicht, wie und braucht es das überhaupt. Dadurch gewinnt auch die Prosa und all die anderen Textformen. Denn hier sind solche Dinge ebenfalls ausschlaggebend dafür, ob der Leser den Text fühlen kann, etwas mit ihm anfangen kann und ihn nicht einzig dem Verstand unterwirft, wo er brach liegt. Während die anderen Teilnehmer sich über den Text, das Gedicht austauschen, schweigt der Autor. Nach der Runde hat er die Möglichkeit, sich zu seinem Text zu äußern oder nicht und was er von dem Gesagten für sich und seinen Text annimmt. Wenn alle Texte gelesen sind, gibt die Referentin Schreibimpulse, nach denen wir schreiben. Das kann ein Bild sein, ein Satz, eine Erinnerung, ein Gegenstand wie ein Stein und so weiter. Manchmal verkehrt sich die Reihenfolge und wir schreiben gleich zu Beginn. In den sieben Jahren, gab es Weniges, was sich wiederholte. Das zeigt den Reichtum des Schreibens und der Phantasie, die man an einem solchen Abend samt Text mit nach Hause nehmen kann. Die frisch geschriebenen Texte werden nicht kritisiert. Text und Autor brauchen eine Zeit, um sich miteinander bekannt zu machen. Manchmal mag man sich, manchmal nicht. Beides kann gut sein. Das herauszufinden, braucht seine Zeit. Letzen Endes macht diese Form der gegenseitigen künstlerischen Befruchtung den Raum einer Schreibwerksatt aus, in dem alle an einem Tisch sitzen, die gern schreiben. Gleich ob Anfänger oder Berufsautor. Beide lernen voneinander. Nur wer etwas kennt, kann es einsetzen, gezielt weglassen oder mit ihm spielen.
Aber auch Einzelwerkstätten von einem Tag oder mehreren zu ausgewählten Themen, finde ich ab einem bestimmten Zeitpunkt wichtig. So war ich kürzlich bei dem Schreibseminar „Kunst der Beschreibung“, das Ingrid Kaech anleitete. Ihre Kurse in der Schreibbuehne und langjährige Erfahrung schätze ich ebenfalls. Während man in anderen Schreibseminaren Texte liest und bespricht, ging es hier zwei Tage allein um das Schreiben, genau gesagt Beschreiben. Schreiben mit/durch/in alle/n Sinne/n. Die Teilnehmer lernten den Umgang mit Metaphern, Adjektiven und Adverben und die Aufmerksamkeit der sieben Sinne zu schärfen. Dabei ging es über das Beobachten äußerlicher Gegebenheiten weit hinaus: in sich hinein. Langsam haben wir uns in den zwei Tagen durch die Formen und die Kunst der Beschreibung getastet und alle Teilnehmer haben ihr Schreiben um einiges erweitert. Um die Vorsilbe Be. Aus sich selbst heraus. Auch hier habe ich die Mischung der Schreibgruppe als bereichernd, angenehm und homogen empfunden, obgleich wir aus verschiedenen Motiven dort waren, unterschiedlich lange schreiben und natürlich jeder ein Individuum für sich ist. Am Ende nahm ich gute Textbausteine mit, die ich nach und nach zu einem Steingarten zusammensetzen werde und in dem weitere Texte wachsen, die ich dann wiederum in anderen Werkstätten, unter anderen Gesichtspunkten verfeinern kann. Schreiben, lesen, texten, komponieren… mit anderen Schreibenden an verschiedenen Orten ist für mich das Schreiben selbst. Gern schreibe ich an besonderen, ungewöhnlichen, phantastischen… Orten wie hinter den Mauern einer Burg, in einem Kloster oder einem Garten, den jemand anderes angelegt hat. Auch das bieten Schreibwerkstätten. Dabei ist mein eigener kleiner Garten entstanden, der schon erwähnte Steingarten. Ich habe gesetzt, versetzt, gesät, gepflegt, umgepflanzt, umgegraben, gejätet, beschnitten und vieles in diesem Garten wartet darauf, entdeckt zu werden und zu wachsen. So einiges ist in ihm vergangen und ja, von Zeit zu Zeit ist Winter. Dieser Garten ist mein Schreiben. Er wird reicher durch das Saatgut, die Pflanzen, Pflege und das Gärtnern anderer Schreibender. Inzwischen durfte ich ein Buch ernten;- mein Buch Letterling (Letterling, ISBN: 978-3-942794-00-8 Verlag für Kurzes, www.verlag-fuer-kurzes.de), das im Verlag für Kurzes erschienen ist und von dem Land eines Gartens sowie seiner Menschen erzählt, die den Garten einer anderen Natur überlassen haben. Einiges, was ich schreibe, kann im Bloghaus gelesen werden. Das sind nur einige Früchte. Nicht alle sind zum Verzehr geeignet und nicht alle Früchte sind sichtbar.
Natürlich will erwähnt sein, dass die Schreibseminare nicht kostenlos sind, aber es lohnt sich und ich warne davor jeden Geldpreis zu bezahlen. Ein berühmter Name ist nicht gleichzeitig ein guter Lehrmeister. Ein guter Lehrmeister hat jedoch seinen Preis. Welchen Preis man bereit ist als Schreibender zu zahlen, muss jeder selbst entscheiden. Am Ende zahlt jeder, der leidenschaftlich schreibt seinen eigenen Preis, der nicht in Währungen messbar ist, aber von Wert. Von der Idee und dem Wert einer Schreibwerkstatt bin ich so überzeugt, dass ich im Moment dabei bin, ein Konzept für eine eigene Werkstatt zu entwerfen. So kann ich aktiv weitergeben, was ich erhalten habe und erhalten werde.
Es gibt weitaus mehr, was eine Schreibwerkstatt ausmacht, das ich nicht alles und im Einzelnen ausführen kann. Es reicht von der Frage, wie suche ich einen Verlag, bis hin zur Lesung. Es würde den Rahmen des Textes sprengen und ist.
Wo von Menschen in diesem Text die Rede ist, habe ich Mann wie Frau an- und ausgesprochen, aber nicht geschrieben: Politische Korrektheit stört den Fluss und seinen Rhythmus. Vielleicht lerne ich in der Zukunft in einer Schreibwerkstatt mit beidem zu schreiben, ohne jene Störung.
©Ines Gerstmann (www.inesgerstmann.de)
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Über Ines Gerstmann
Die Oder war verbindliche Grenze, als Ines Gerstmann 1970 an jenem Fluss geboren wurde. Schon auf Kindesbeinen konnte sich die Autorin keinen Reim auf die verbindliche Grenze machen, das Schreiben schien ihr von Anfang an ins Flussbett gelegt. Inzwischen ist die Oder verbindende Grenze der Städte Frankfurt und Slubice und die Autorin Grenzgängerin. Der Weg verlief über Kindergarten, Schule, Fachschulstudium zur Krankenschwester mit anschließender Arbeit in diesem Beruf, nationalen und internationalen Mountainbikewettkämpfen im Bereich Cross Country und Marathon. Der Leistungsport in Verbindung mit den europaweiten Reisen weckte die Lust der Autorin am unbedingten Reisen, wie sie es nennt. Das heißt, mit den notwendigsten Dingen zu Fuß unterwegs sein. Während dieser langsamen Fortbewegungsart schlich sich die Liebe zur Fotografie, des Pilgerns und vor allem des Schreibens ins Gepäck. Wege wollen beschrieben werden;- ein jeder auf seine ART. Der Lebenslauf mit der Oder in einem Satz verdichtet:
Zwischen Quelle und Mündung – ist die Autorin – auf Suche nach der Poesie.Ines Gerstmann ist Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller Berlin Brandenburg und des Literaturkollegiums Brandenburg.