Schreiben an den Behindertensprecher Dr. Huainigg (ÖVP)
Sehr geehrter Herr Dr. Huainigg,
ich bin dankbar über Ihre aktuellen Worte zur Präimplantationsdiagnostik.
Die Diskussion, die in Deutschland bereits vor einiger Zeit geführt wurde und nach einer Entwurfvorlage zur Umsetzung des Bundestagsbeschlusses über die PID wieder aufgeflammt ist, war ebenso wie bei Ihnen in Österreich nun von scharfer Polemik getragen. Das, was Sie zurecht als Selektion bezeichnen, wird merkwürdigerweise gerade aus der Ethikkommission in aller Schärfe zurückgewiesen.
Das immerwährende Argument, Mütter vor einer risikoreichen Schwangerschaft bewahren zu wollen und die Eltern im Zweifel vor einer leidvollen und zu schützen, ist pure Menschenverachtung. Wer die Ethik allein dafür nutzt, sich lediglich um die Sorgen von Eltern zu bemühen, aber somit das Lebensrecht von heranwachsenden Behinderten in Frage stellt, der beschneidet die Grund- und Menschenrechte elementar.
Und nein, auch pränatale Diagnostik kann unter diesem Gesichtspunkt nicht gerechtfertigt werden. Wer sich vor der Geburt bereits Informationen beschafft, die eine mögliche Entscheidung für oder gegen das Austragen des Kindes beeinflussen, spricht sich nicht für das gegebene Geschenk des Lebens aus, sondern beansprucht genau jenes Leben, was gewünscht, was perfektionistisch herbeigesehnt wird. Sie selbst wissen, dass Behinderung kein Grund ist, Sinn oder gar Freude im Leben in Frage stellen zu müssen. Die unterstellte Beschwernis, die Behinderten in ihrer Alltagsbewältigung und den Angehörigen in der Erziehung, Betreuung und Begleitung nachgesagt wird, ist eine faktische Missachtung von Meinungsäußerungen zahlreiche Betroffener und eine Unterstellung über Dritte, die interessengelenkt bleibt.
Leben beginnt mit der Idee und der Willensbekundung zweier Menschen – ich gehe mit meiner Definition weiter als die, die den Beginn des Lebens in der Zeugung sieht. Ab diesem Augenblick müssen sich Eltern ihrer Verantwortung und der Aufgabe bewusst sein, die sie übernehmen – in guten wie in schlechten Zeiten hat man sich den Zusammenhalt in der Ehe geschworen. Und so ist auch das Durchleben möglicher Komplikationen oder unerwarteter Situationen eine Selbstverständlichkeit, die bereichert und stärkt. Leben ist kein reines Wunschkonzert, sondern eine Gabe, die wir mit Respekt und Wertschätzung anerkennen dürfen. Wer meint, sich über diese Passivität als schöpferischer Gestalter erheben zu können, profiliert sich zum unberechenbaren Egoisten aus Rücksichtslosigkeit und Gewinnmaximierung.
Nachdem das deutsche Parlament die PID in „eng begrenztem Umfang“ zugelassen hat, ist der erwartete Streit losgebrochen. Wer einmal einen Dammbruch vollzogen hat, wird Schwierigkeiten damit bekommen, seinen Auswirkungen Einhalt gebieten zu können. In Deutschland versuchen mehrere führende Politiker, den Beschluss nach ihrer Beliebigkeit zu interpretieren. Besonders beschämend ist dabei, dass gerade behindertenpolitische Sprecher wie die der FDP im Bundestag, Molitor, eine Kritik an dem Vorlagenpapier zur Einführung sogenannter „PID-Zentren“ des Bundesbeauftragten für Belange behinderter Menschen, Hüppe, mit neuerlichen Argumenten für die Präimplantationsdiagnostik zurückgewiesen haben.
Schon diese völlig verschiedenen Auslegungen des deutschen Gesetzesbeschlusses durch die politischen Gruppierungen zeigen, dass nicht mehr das Anrecht auf Leben, sondern allein das Anrecht auf parteipolitisches Überleben zur Richtschnur für höchst heikle und gewissensgesteuerte Standpunkte geworden ist. Bleiben Sie deshalb mutig in Ihrer Vehemenz und in Ihrer Position. Die gesamtgesellschaftliche Lage erfordert das Eintreten für einen bedingungslosen Lebensanspruch.
Ihr Dennis Riehle