Unlängst erhielt hat eine interessierte Leserin von rangdrol’s blog die Frage nach Spiritualität und der Gemeinsamkeit der Religionen gestellt. Da sie wie viele LeserInnen dieses Blogs in einer Kultur aufgewachsen ist, die mit einem Schöpfergott das Dasein erklärt, wollte sie wissen, wie dies nun im Buddhadharma aussieht. Auch wollte sie wissen, welche Bedeutung den Göttern in der Kosmologie des Dharma zukommt.
Schöpfergott oder Geist geschaffen?
Nun, im Buddhadharma gibt es keinen Gottglauben und somit auch keinen Schöpfergott. Im Dharma sieht man die Schöpfung als eine wandelnde Abfolge, als ein sich immerfort drehendes Kreisen – oder als ein illusionsgleiches Ausdrucksspiel des wechselseitig bedingten Entstehens. Generell gibt es sechs Klassen von Wesen im Daseinskreislauf. So kennt man Geburten im Höllenbereich, bei den Hungergeistern, als Tier, als Mensch, als eifersüchtiger Gott oder als Gott im Begierde-, im Form- oder im formlosen Bereich. Die Ursache für jede Art dieser Geburten liegt in ganz bestimmten Geisteshaltungen. Niemals wird eine Wiedergeburt bzw. das Schaffen einer Erlebniswelt von einem Schöpfergott bewirkt. Niemals erfolgt die Wiedergeburt durch einen Willkürakt eines Schöpfergottes. Sondern nur die gewohnheitsmäßige Fortsetzung von Geisteshaltungen schafft die erlebte Welt.
Kosmologie des Erlebens
Wie kann man nun anfangs damit umgehen? Welche Botschaft liegt für einen da drinnen? Nun ist es sicher so, dass der Dharma mehrere Zugangsebenen bietet. Meditation an sich wie auch die Erkenntnis der Geistnatur sind grundsätzlich sinnvoll und nützlich. Auch widersprechen sie keinem Gottglauben. Also kann man diese Praktiken dazu auch betreiben.
Weiters ist das Bhavanachakra – das Rad des Lebens (der Daseinskreislauf) – ein bedeutsames Konzept. Während es in den Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam) einen Schöpfergott mit einem linearen Entwicklungsweg gibt, so ist dies im Buddhadharma ein wiederholtes Erschaffen von (Welt)Erlebnissen. Als Menschen haben wir diese sechs Daseinsbereiche in uns und leben mit ihnen. Eine Geburt im Höllenbereich (acht heiße, acht kalte, Ein-Tages-Hölle, Avici-Hölle) ergibt sich durch Hass. Eine Geburt als Hungergeist ergibt sich durch große Gier und durch Geiz. Eine Wiedergeburt als Tier ist das Ergebnis von Dummheit, Ignoranz, Dumpfheit – geistiger Stumpfheit. Eine Geburt als Mensch ergibt sich durch leidenschaftliches Anhaften. Eine Geburt als Gegengott ist das Resultat von Neid und Eifersucht. Auch die eifersüchtigen Götter sind hohe Wesen, die in ihren früheren Zeiten auch viel Gutes bewirkt haben, aber jetzt noch immer im Streit mit noch höheren Wesen um die Bequemlichkeit des Lebens sind. Konkurrenzdenken ist ihr bestimmender Faktor. Und eine Geburt als langlebiger Gott ist das Ergebnis von Stolz. Im Allgemeinen kann man die Götter im Buddhadharma als hohe Wesen ansehen. Eine Geburt im Götterbereich ist von großen Annehmlichkeiten, von äonenlangem Leben, Jugendlichkeit, Schönheit etc. gekennzeichnet. Wenn das positive Karma, dass diese Wiedergeburt bewirkt hat, aufgebraucht ist, dann verfallen diese Wesen (Götter) und werden schlagartig alt, die Blumengirlanden verwelken, ihr Körpergeruch wird übel, die Freunde verlassen sie und sie sehen den Ort ihrer nächsten Wiedergeburt, der definitiv niedriger sein wird. Daran leiden sie lange Zeit – eigentlich 700 Menschenjahre lang.
Landkarte des Geistes
Wenn man diese Geistesgifte pflegt, dann erschafft man diese Erlebnisräume (= Welten, Daseinsbereiche). Manchmal wird dies auch psychologisch betrachtet. So findet man bei Menschen mit Wahnvorstellungen oft das Geistesgift Hass zugrunde liegend. Sicherlich kennt ihr auch Menschen, die völlig abgehoben und arrogant sind, nichts mit dem Leben der Menschen zu tun haben; einfach über den Dingen stehen. Diese leben mit dem Bezug zum Götterbereich. Nun tja, Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall…
Wahrscheinlich kennt ihr auch den brennenden oder sogar den eiskalten Hass. Diese Arten der Ablehung des Lebens lassen unser Leben verzehren, verbrennen. Oder sie machen unser Herz eiskalt und unbarmherzig.
Kennt ihr nicht auch diesen Zustand, dass man vor lauter Gier den Hals nicht voll bekommt? Oder das Gefühl, dass man nichts mit anderen teilen mag? Dies sind Erlebnisvarianten der hungrigen Geister, die man schon jetzt als Mensch erfährt.
Manchmal ist man vielleicht blind fürs Wesentliche im Leben. In Dumpf eingezwängt und von den Trieben gesteuert, führt vorbei an jeglicher Inspiration. Zwar mag dieser Zustand ruhig und geordnet sein, aber die Möglichkeiten, die das Leben bietet werden nicht erkannt oder nicht ausgeschöpft. Leben in der Sippe, Einfügen in die Hackordnung, Karrierestreben, Fortpflanzen und Pension – welche Perspektive liegt darin? Bis auf den Genuss der Pension ist dieser Zustand dem Tierreich verwandt.
Wer von uns kennt nicht den Zustand, mit anderen im Wettstreit zu liegen, besser zu sein? Eifersüchtig auf den Besitz oder die Errungenschaften anderer zu schielen, anderen ihre Erfolge nicht zu gönnen, aber auch die eigenen Grenzen und Handlungsfähigkeiten nicht wirklich zu respektieren – all dies korrespondiert mit der Welt der eifersüchtigen Götter.
Wie ihr seht, handeln wir alle – ausnahmslos – immer wieder aus unseren geistigen „Einbahnstraßen“ heraus und gestalten unsere Erlebniswelt. Um den Zusammenhang von unserer Motivation und der ergebenden Erlebniswelt nochmals zu verdeutlichen folgt diese kurze Übersicht: Hass führt zur Schaffung der Hölle – egal ob heiß oder kalt; Gier und/oder Geiz schaffen ruhelose, hungrige Geister; Dumpfheit und/oder Ignoranz führt in die Erlebniswelt eines Tieres; leidenschaftliches Anhaften schafft die menschliche Erlebniswelt; Konkurrenz, Neid und/oder Eifersucht, Missgunst schaffen eifersüchtige Götter im Streit um den Nektar des Lebens; Stolz, Abgehobenheit aber auch zu langes Verweilen in formloser Versenkung führen zu Wiedergeburten im Götterbereich.
Konsequenz
Wenn wir also mal darüber nachdenken und die Geistesgifte als Ausgangspunkt für eine Inkarnation sehen, also für wiederholte missliche und quälende Lebenserfahrungen, dann hat dieses Konzept der sechs Daseinsbereiche einen bedeutenden Wert. Darüber hinaus zeigt es aber auch auf, dass ein angenehmeres Leben, wenn es nicht zur Befreiung (Erlösung von geistig-emotionalen Qualen) genutzt wird, immer zu irgendeiner Art des Leidens führt. Diese Idee wird von vielen Religionen – egal ob mit oder ohne Gottglauben – geteilt. Und das ist eigentlich die Essenz der Religionen – nämlich brauchbare Antworten auf Lebensfragen zu bieten. Für manche ist das Gotteskonzept wichtig, für andere ein gottfreies Konzept. Wesentlich sind die Lebensfrage und das einsichtsvolle Finden der Antwort (im Herzen).
Wenn auch Ihr Erfahrungen in diesem Zusammenhang habt, würde ich mich über Euren konstruktiven Kommentar hier freuen.