Schopenhauer

Von Lyrikzeitung

ARTus-Kolumne  »SO GESEHEN« 612 • 2. März 2013

von Walter G. Goes (Bergen/Rügen)

Aus einer im Herbst 2012 auf dem Bergener Flohmarkt erspähten Bücherkiste fischte ich das kleine Schopenhauer-Bändchen Aphorismen zur Lebensweisheit. Ein Fund, der schon beim ersten flüchtigen Lesen Freude bereitete.

Der 1919 von Dr. Felix Groß für die Deutsche Bibliothek herausgegebene Band war ohne Diskussion für einen einzigen Euro zu haben. So gesehen ein Schnäppchen, das ich für kommende Leseabende beiseite legte. Die erhofften Abende wollten und wollten sich allerdings nicht einstellen. Erst das Februarblatt meines neuen Literaturkalenders verwies auf den Geburtstag des Philosophen und brachte damit die Erinnerung zurück an meinen Bücherfund.

Der nachfolgende Passus fand sich genau am 22. Februar, dem 225. Geburtstag Schopenhauers. Erstaunliche Bezüge unserer Gegenwart spiegelten sich da, die wir nach Schopenhauer bewusster leben sollten:

»Die, welche mittels Streben und Hoffen nur in der Zukunft leben, immer vorwärts sehen und mit Ungeduld den kommenden Dingen entgegeneilen, als welche allererst das wahre Glück bringen sollen, inzwischen aber die Gegenwart unbeachtet und ungenossen vorbeiziehen lassen, sind, trotz ihren altklugen Mienen, jenen Eseln in Italien zu vergleichen, deren Schritt dadurch beschleunigt wird, dass an einem ihrem Kopf angehefteten Stock ein Bündel Heu hängt, welches sie daher stets dicht vor sich sehen und zu erreichen hoffen. Denn sie betrügen sich selbst um ihr ganzes Dasein, indem sie stets nur ad interim leben – bis sie tot sind. – Statt also mit den Plänen und Sorgen für die Zukunft ausschließlich und immerdar beschäftigt zu sein oder aber uns der Sehnsucht nach der Vergangenheit hinzugeben, sollten wir nie vergessen, dass die Gegenwart allein real und allein gewiß ist; hingegen die Zukunft fast immer anders ausfällt, als wir sie denken; ja, auch die Vergangenheit anders war; und zwar so, dass es mit beiden, im ganzen, weniger auf sich hat, als es uns scheint. Denn die Ferne, welche dem Auge die Gegenstände verkleinert, vergrößert sie dem Gedanken. Die Gegenwart allein ist wahr und wirklich: sie ist die real erfüllte Zeit, und ausschließlich in ihr liegt unser Dasein.«  ARTus

Am 22. Februar hatte der Philosoph Arthur Schopenhauer seinen 225. Geburtstag.