Splitterfasernackt
Lilly Lindner
Knaur, 2013
978-3426784884
9,99€
Lilly Lindner ist sechs, als der Nachbar beginnt, sie regelmäßig zu vergewaltigen. Er droht ihr mit dem Schlimmsten, falls sie etwas ihren Eltern erzählen sollte. Und so schweigt das kleine Mädchen. Schließlich zieht der Mann weg – doch Lillys Leben ist längst aus dem Lot. Mit 13 Jahren fängt sie an zu hungern – damit von ihrem geschundenen Körper möglichst wenig übrig bleibt. Doch die Schande macht sie damit nicht ungeschehen. Und so beschließt Lilly als junge Frau, ihren Körper, der ihr schon lange nicht mehr gehört, in einem Edel- Bordell zu verkaufen. Und ausgerechnet hier beginnt sie, ihre ungeheuerliche Geschichte aufzuschreiben – und verfasst ein beeindruckendes, provozierendes Buch von großer Sprachgewalt.
Es ist ein schockierendes Leben, aber auch ein selbstverständliches und ein verständliches. Lilly Lindner hat viel erlebt, viel gelitten und sich selbst gegeißelt.
Sie zeigt auf, was mit jemandem passiert, der nicht spricht, nicht geliebt wird und fast auf sich alleine gestellt ist. Der Leser merkt, wie schwierig es für sie ist, zu vertrauen und einzusehen, dass es da doch vielleicht jemanden gibt. Ihre spätere “Berufswahl” ist für mich zum Einen nachvollziehbar – sie macht etwas mit Kindern. Lilly gibt ihnen schöner Erinnerung mit auf dem Weg und will an ihrem kleinen Mädchen, dem so viel gestohlen wurde, vielleicht auch etwas damit gut machen. Zum Anderen wird sie Prostituierte, um ihren Körper zurückzubekommen. Eine verquere Strategie und Sichtweise, die ich zuerst nicht verstehe. Lange hadere ich mit mir. Bin ich erschüttert, bin ich einfach nur still vor Wut?
Manchmal konnte ich in Worte fassen, was ich dachte, dann sprach ich mit meinem Freund über die verquere Gedankenwelt. In anderen Momenten dachte ich, dass ich eine Pause bräuchte und las einen ganzen Tag gar nicht. Was aber fest steht ist, dass es faszinierend ist, was Lilly Lindner geschaffen hat. Trotz erschütternder Momente erzählt sich klar und deutlich mit Abstand von ihren Gefühlen, die den Leser trotzdem treffen. Es sind die Wortspielereien, die immer wieder auffallen, an denen ich hängenblieb und manchmal leicht lächelte. Da war sie: die Wortkünstlerin, die ich schon aus “Bevor ich falle” und “Da vorne wartet die Zeit” kannte und liebte.
Es ist anders und ich will das Leben nicht beurteilen, aber etwas hat mir persönlich gefehlt. Ich stelle einfach fest, ihre anderen Bücher mochte ich lieber. Vielleicht auch einfach nur, weil sie nicht so grausig und lebensecht waren.
Es ist ein Gesicht, das berührt. Auch ohne den Titel. Ich bin gespannt, was ich bei “Winterwassertief” empfinden werden, denn das liegt noch auf meinem SUB.
Diese Biografie, dieses Leben konnte ich eigentlich gar nicht bewerten. Wer bin ich, der so etwas tun sollte? Aber irgendwie damit es in ein Raster passt vergeben ich 3 Bücherpunkte. Nicht weil es nicht ihr Leben ist, aber es hat mich zutiefst erschreckt, aber nicht so mitgenommen, wie ihre anderen Bücher.