Die Aktualität der Ereignisse rund um die Flüchtlingsdramen an den Außengrenzen aber auch in den Binnenländern von Europa veranlassen viele Kulturschaffende, sich derzeit mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Dies tat auch der Junge Salon unter der Intendanz von Isabella Wolf, worauf das Augenmerk auf die Bewohnerinnen und Bewohner des 15. Bezirks gelegt wurde. Rudolfsheim-Fünfhaus ist ein Bezirk, in dem es einen hohen Anteil von Migrantinnen und Migranten gibt. Bereits zum sechsten Mal hat sich die Schauspielerin und Regisseurin mit jungen Menschen im Brick5 ans Werk gemacht und ein Programm vorgelegt, das beachtenswert ist. Gemeinsam mit dem Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst Wien lud sie Nachwuchsautorinnen und Autoren ein, ihren Blick auf das Andere, das Fremde, das in unserer Gesellschaft angekommen ist, mitzuteilen. Unter dem Titel „Der Blick des Anderen – drinnen – draussen – Heymat“ wurden Lesungen, Performances, Filme und zwei Theaterinszenierungen gestemmt.
Mohammed Ali Bas, türkischer Abstammung, in Vorarlberg aufgewachsen und nun in Wien studierend, lieferte ein höchst komplexes Werk ab. Eine Arbeit, auf die er zu Beginn, wie er meinte, nicht wirklich Lust hatte. Aufgrund seiner Herkunft hat er sich schon in vielen Texten mit dem Migrationsthema befasst und möchte einmal in jene literarischen Gefilde eintauchten, in welchen Herkunft und Zukunftsperspektiven von Migrantinnen und Migranten keine Rolle spielen. „Ich könnte mir gut vorstellen, Romeo und Julia umzuschreiben, aber ich habe schließlich dieses Angebot auch angenommen, weil ich wusste, dass das Stück auch sicher gespielt wird.“ Ivana Rauchmann setzte „NaRration“ in Szene, was aufgrund der Textstruktur sicherlich eine Herausforderung war.
Denn diese besteht aus unterschiedlichen Schichten: Einer Grunderzählung, aber auch davon unabhängigen Einschüben, wie jene Videoaufnahmen des Autors, in denen er zwar zu Wort kommt, aber nicht wirklich zu sehen ist. „Es spricht der migrantische Schreiberling“, mit dieser Selbstironie meldet sich Bas gleich zu Beginn zu Wort. Satire und Ironie sind zwei generelle Stilmittel seines Textes, die ihm helfen, sich durch das thematische Gestrüpp von Einwandererschicksalen durchzuschlagen. Zusätzlich streut er Textbausteine ein, die von Clara Diemling, in der Rolle der Hauptdarstellerin, expressiv ausgedrückt werden. Der Hauptplot besteht aus der Herausforderung, ein Stück zum Thema Migration und Fremde auf die Bühne zu bringen. Clemens Dellacher in der Rolle des jungen Regisseurs, hantelt sich mit seiner Ideengeberin oder Dramaturgin (Sophie Wegleitner) mühsam von einer Szene zur nächsten, wobei ihm schließlich die Anwesenheit der Mutter des Autors zu Hilfe kommt. Als einfache, anatolische Frau mit Kopftuch, langem Mantel und langem Kleid ausstaffiert, holt er sie kurzerhand auf die Bühne, um mit ihr vor dem Publikum zu arbeiten. Tania Golden brilliert in dieser Rolle. In keinem Augenblick wirkt sie nicht authentisch und bildet den ruhenden, anschaulichen Gegenpol zum an sonst hektischen Geschehen auf der Bühne.
Anklicken umDas Spiel mit dem Theater, auch das wird im Laufe der Inszenierung zu einem eigenen Thema. Als der Regisseur beginnt, das Publikum zu beschimpfen, fühlt man sich an die Anfangszeiten von Peter Handke erinnert. „Migrantenbegaffer und Traumata-Versteher“ ruft er in die Zuschauerreihen, ohne eine Widerrede zu erhalten. Das Spiel mit den Erwartungshaltungen, das Brechen derselben sind ebenfalls ein elementarer Teil des Textes.
Herrlich, wie Julia Bernegger dabei als Assistentin völlig ahnungslos und naiv inmitten des Regiewahnsinns ausharrt. Intelligent, wie Bas die einzelnen Charaktere aufeinanderprallen lässt und dabei zugleich die unterschiedlichen Lebenswelten verdeutlicht. Der Flüchtling, der gegen Schluss am Boden liegend aus dem Off gezogen wird, bleibt wortlos. Die Weigerung, dem Publikum hier ein zu Herzen gehendes Einzelschicksal zu präsentieren, ist eine der Kernaussagen des Stückes. Und doch erfährt man zugleich viel aus dem Leben der türkischen Migrantin, die als Putzfrau viel zu wenig Zeit für ihre eigenen Kinder hatte. Der beständige Wechsel zwischen Dada-verdächtigen Aktionen und dem Bemühen, eine Theaterproduktion auf die Beine zu stellen, schafft Tempo und Abwechslung. Die Welt, die in ihrer Komplexität nicht mehr zu verstehen ist, lässt sich heute auch auf einer Bühne nicht mehr abbilden. Das haben Bas und Rauchmann verstanden, aber auch, dass sie ohne eine große Portion Humor schwer zu ertragen ist.