Schoko-Pfau und Kopftuchfetisch

Ich kann nicht besonders gut backen. Wenn’s sein muss, schaffe ich mal einen Käsekuchen, oder einen simplen Marmorkuchen. Weihnachtsplätzchen, Muffins und der ganze Kram sind mir viel zu aufwändig. Kochen war schon immer mehr meine Abteilung.

Umso erstaunter war ich, als mir eine Freundin aus England schrieb, ich müsste „unbedingt, sofort und unverzüglich“ bei der aktuellen Staffel von „The Great British Bake-Off“ einschalten. Wer’s nicht kennt: Eine Runde von 12 Kandidaten versammeln sich auf einem pastellig-bunten englischen Landgut und backen um die Wette. Woche für Woche bekommen sie von den Juroren Aufgaben gestellt – Brote, Hochzeitstorten, Konfekt – und müssen diese dann in der gegebenen Zeit möglichst hübsch umsetzen. Mit anderen Worten – eine Kochshow wie so viele andere, nur mit Kuchen. (Es scheint auch eine deutsche Variante zu geben, Das Große Backen, da ich aber keinen Fernseher besitze, ist diese Sendung bisher nicht in mein Leben getreten).

Jedenfalls – The Great British Bake-Off. Meine Freundin schrieb, es gäbe da eine Kandidatin, die sei ganz toll, so witzig, so unterhaltsam, und sie hätte eine Torte in Form eines Pfaus gebacken. „Musst du sehen!“. Ich bin nicht grundsätzlich avers gegen Trash-TV, ich hege eine offene Leidenschaft für die Sendung um den Kardashian-Clan und gucke auch ab und zu mal „The Voice“. Also schalte ich mal die Kuchen-Sendung ein, kann ja nicht schaden.

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Die Kandidatin, die in England offenbar im Verlaufe der Staffel ein regelrechter Star wurde, heißt Nadiya Hussain. Sie ist 30 Jahre alt, verheiratet und Mutter dreier Kinder. Die britische Presse spiegelt wieder, was sie so beliebt macht – ihr Humor, ihre Selbstironie, wenn sie mal ein Gebäck vergeigt, ihre expressive Gesichtsakrobatik und ihr lebhaftes Temperament. Auf Twitter ist sie der Hit, das Internet ist voll mit Nadiya-GIFs. Toll, ich bin schon nach 30 Minuten völlig gehookt.

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Warum aber hier drüber schreiben, fragt ihr. Ich sag’s einfach gerade heraus: Nadiya Hussain trägt Kopftuch. Im Fernsehen. In einer populären Unterhaltungssendung. Und sie redet NICHT über Islam, Gewalt gegen Frauen oder die Tatsache, dass sie ein Kopftuch trägt. Sie redet über Kuchen, Hefeteig, bunte Glasur und Marzipanrosen. Und man mag es kaum glauben: KEINEN STÖRT’S! Niemand – weder in der Sendung, noch in der Presse, die ich dazu bisher gelesen habe – verliert auch nur ein Wort über das Kopftuch, fragt nach, was ihr Mann denn dazu sagt, dass sie einfach so wagt, Kuchen zu backen, oder sucht nach dem Zusammenhang von Islam und Buttercreme.

Nadiya Hussain

Ich hab mir dann gleich mal vorgestellt, was bei uns hier in Deutschland los wäre, in einer vergleichbaren Situation. Man sieht den Bild-Titel ja schon förmlich vor sich: „Kopftuch-Frau gewinnt TV-Spektakel“. Anne Will und Günther Jauch würden sie einladen und befragen, wie das denn ist, mit Kopftuch Kuchen zu backen. Der deutsche Kopftuchfetisch würde zu voller Fahrt auflaufen und diese Frau komplett auf ihr Erscheinungsbild reduzieren. Zur Hölle mit der Tatsache, dass sie einen Pfau aus Schokolade formen kann – Wie steht sie denn zum Thema „Frauen im Islam“?

Nun ist es ja so, dass Großbritannien durch seine Kolonialgeschichte insgesamt eine viel multikulturellere (wenn auch sicher nicht unproblematische) Gesellschaft sind als wir, und das Bild einer verschleierten Frau im Abendprogramm eben auch nichts Besonderes mehr ist. Aber – ist das nicht auch herrlich und erstrebenswert? Dass man die jungen Frauen mit Schleier endlich nicht mehr reduziert auf das, was sie auf dem Kopf tragen? Dass man mal drüber weg sieht, und ihnen viel spannendere Fragen stellt – wie zum Beispiel man einen Pfau aus Schokolade formt? Ist doch schon verrückt, dass einem da dann auf einmal auffällt, wie selten so ein Fall (wenn überhaupt) mal in unseren Massenmedien vorkommt.

Mit anderen Worten: Nadiya Hussain kann für uns alle ein Beispiel sein: Raus aus der Kopftuchfetisch-Falle, hin zur Normalität. Hoffentlich sieht man das bald auch bei uns endlich mal öfter im Fernsehen – Wäre doch cool, wenn die nächste Gewinnerin bei The Voice ein Kopftuch tragen würde, und man über sie nur lesen würde, wie engelsgleich sie singt! Lasst das Kopftuch im Kopf endlich unsichtbar werden!

Und esst mehr Kuchen!


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