Schnellkommentar zu Griechenland

Nach der Griechenlandwahl, die kaum noch Wellen schlägt, habe ich gestern für den Ohrfunk folgenden Kurzkommentar geschrieben:

In Griechenland ist die alte Regierung, die im August auseinandergebrochen war, wiedergewählt worden. Die zweite Wahl des Jahres ging aus wie die erste, und nach einmonatigem Intermezzo kehrt Alexis Tsipras auf den Sessel des Ministerpräsidenten zurück. Ihn einzuschätzen ist nicht leichter geworden. Nach seiner ersten Wahl hat er einen Kampf bis zum Ende gegen die Sparpolitik der europäischen Institutionen angekündigt und sich im Sommer letztlich doch ihrem Spardiktat unterworfen, nachdem die Bevölkerung in einem Referendum genau das abgelehnt hatte. Daran zerbrach die Regierung, die Tsipras jetzt fortsetzt, wieder, und das ist bemerkenswert, mit der rechtspopulistischen Aneel-Partei. Europaweit spekulieren nun die Medien, wie Tsipras mit seinem neuen Rückenwind umgehen wird: Wird er jetzt härter gegen Europa auftreten und die bisherigen Verhandlungsergebnisse gefährden? Wird er doch vor den sparwütigen Neoliberalisten einknicken und sich ihrem Willen beugen? Wenn letzteres zutrifft, hätte es der beiden Wahlgänge und der Volksabstimmung dieses Jahres nicht bedurft, dann hätte nur eine korrupte Clique die Andere abgelöst. Manches spricht dafür, dass die einst so gefeierte Syriza-Bewegung auch nur Teil des griechischen Machtpokers und Nepotismusklüngels geworden ist. Millionen linker europäischer Wähler mit Utopien, gemeinhin als Gutmenschen verlacht und verhöhnt, hätten damit erneut all ihre Hoffnungen auf ein künftiges linkes Gegengewicht zur herrschenden neoliberalen Alternativlosigkeit eingebüßt. Europäische Zeitungen hoffen, dass Tsipras sich vom frechen Jungen zum Realpolitiker gemausert hat. Dabei braucht man in der Politik dringend Utopien und Alternativen. Realpolitik bedeutet doch nur, nichts mehr versuchen zu wollen, nichts mehr riskieren zu können. Es ist möglich, dass Tsipras im letzten halben Jahr genau diese Lektion gelernt hat. Es hat ihm ja auch nichts genützt, dass er mit Gianis Varoufakis einen Finanzminister an seiner Seite hatte, der die Probleme des Landes wie kein zweiter durchschaute. Dieses Lob stammt nicht von linken Träumern, sondern von
Wirtschaftswissenschaftlern, die nicht für linke Experimente bekannt sind. Bei diesem Spiel geht es nicht um die Frage, wie die griechische Krise möglichst gut gelöst werden kann, sondern es geht um die Machtfrage. Die einzig verbliebene starke Ideologie, der Neoliberalismus, kämpft um die Deutungshoheit über die Politik, denn heute ist wahre Politik die Wirtschaftspolitik, früher war es einmal die Außenpolitik. Dieser mächtigen und unangefochtenen Ideologie steht der nebulöse Grundgedanke gegenüber, dass es auch anders gehen muss, wenn man auch noch nicht weiß, wie man das anstellen soll. Vermutlich wird Alexis Tsipras nicht in die Rolle des lauten, sympathischen und jungen Querkopfes zurückkehren. Wahrscheinlich werden die ideologischen europäischen Institutionen in ihm jetzt einen relativ ruhigen Erfüllungsgehilfen finden, der ab und an ein wenig Rhetorischen Krawall macht, um seine Existenzberechtigung zu beweisen. So geht die griechische Tragödie in ihren nächsten Akt, die Komödie dürfte beendet sein.

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