Ich frage mich, wie mir dieses Buch bei dem ganzen Aufsehen, das es bereits letztes Jahr erregt hat, durch die Lappen gehen konnte. Erzählt wird darin die Geschichte der 15jährigen Mary, die als fröhliches Bauernmädchen 1830/31 in einer Welt voller männlicher Gewalt aufwächst. Allein ihr Großvater scheint ihre ehrliche offene Art wertzuschätzen, bis sie eines Tages als Haushälterin beim Dorfpfarrer aushelfen soll, um deren kränkliche Frau zu pflegen. Dort erhält sie zum ersten Mal in ihrem Leben den Zugang zu Bildung. Doch was als Segen beginnt, endet in einer weiteren Bestätigung ihrer zugeschriebenen wertlosen Rolle als Frau.
Ich habe den Roman als Hörbuch gehört und bin durchweg begeistert von der Leistung der Sprecherin (Laura Maire), die mich bereits mit dem ersten Satz in ihren Bann zog. Ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand anderes die gewitzte, clevere Art der Mary, aber auch ihre schlussendliche Verzweiflung besser hätte darstellen können. Die Geschichte hat mich bewegt, ja wirklich aufgewühlt zurückgelassen und ich kann mich der allgemeinen Begeisterung nur anschließen.
Lanny ist ein sehr außergewöhnliches Buch, was vor allem am experimentellen Schreibstil des Autors, aber auch an seiner magisch-realistischen Handlung liegt. Darin geht es um ein Dörfchen in der Nähe von London, (den Naturgeist?) Väterchen Schuppenwurz und vor allem Lanny, den besonderen Jungen, den keiner so recht verstehen mag, von dem aber eine naturverbundene Ruhe ausgeht. Als der kleine Junge verschwindet, verwandelt sich das Dorf vom lieblichen Örtchen in einen Abgrund voller Vorurteile und Hass.
Ich bin mir sicher, dass nicht jeder mit Max Porters Erzählweise zurechtkommt. Sie kann einerseits verwirrend, andererseits auch ein wenig anstrengend sein, wenn man sich nicht darauf einlässt. Ich mochte diese spezielle Art des Schreibens jedoch sehr und war auch von der Thematik des Buches sehr angetan. Auf der einen Seite begegnen wir da der Scheinheiligkeit der alltäglichen Höflichkeit zwischen Dorfbewohner*innen, auf der anderen Seite werden wir mit der Frage konfrontiert, inwieweit wir heute noch im Einklang der Natur leben. Eigentlich ist Lanny eine Art modernes Märchen.
In der Flut der Dystopien, der wir in den letzten Jahren besonders im Jugendbuch ausgesetzt waren, gab es bisher keine einzige, bei der ich wirklich glaubte, dass sie die Zukunft unseres Planeten widerspiegeln könnte. Bei Die Mauer von John Lanchester verhält es sich da ein wenig anders. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht Josephs, der seinen Dienst auf der Mauer antritt. Diese dient dazu, das Land vor "den Anderen" zu schützen, die immer wieder versuchen, über die Mauer und damit ins Land zu kommen. Zwei Jahre muss er dort wachen, sich stets bewusst, dass die Lebensweise der Generationen vor ihm für diese missliche Weltlage verantwortlich ist.
Lanchester beschreibt eine Zukunft, die vor allem durch Patriotismus, Leistung und Fremdenhass geprägt wird. Schon allein die Formulierung des Wirs (Engländer) und der Anderen (wirklich alle anderen) führt dies vor Augen. Beim Hören war mir zwar schon früh klar, in welche Richtung die Geschichte gehen würde, aber das hat mich nicht weiter gestört. Besonders mochte ich die Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit sich spätere, weniger privilegierte Generationen noch mit ihren Eltern und Großeltern identifizieren können. Diese Frage erhält noch mehr Relevanz, wenn man sich vorstellt, dass diese Großeltern wir selbst sein könnten.
Ich werde nicht lange um den heißen Brei reden: Die einzige Geschichte hat mich ziemlich enttäuscht. Das liegt nicht daran, dass das Buch wirklich schlecht wäre (das ist es nämlich nicht), sondern daran, dass ich etwas ganz anderes erwartet hatte. Als ich den Klappentext las, erinnerte es mich stark an Barnes anderes Buch Vom Ende einer Geschichte, welches ich damals wirklich gern gelesen habe, und so hoffte ich auf eine ebenso starke Wendung, auf einen Twist in der Geschichte, der plötzlich alles ganz anders darstellen würde. Diese Wendung blieb allerdings aus.
Um es kurz zu fassen: Die einzige Geschichte handelt von Paul, der nun, da er alt ist, auf sein Leben und seine große Liebe zurückschaut, die er mit einer wesentlich älteren Frau teilte. Damals, mit 19 Jahren, war er jung und naiv genug, um zu glauben, dass solch starke Gefühle alles besiegen und jede Hürde meistern könnten. In drei Teilen erzählt er uns von seiner Vergangenheit als verliebter Bursche, dem gemeinsamen Leben mit seiner Geliebten und schlussendlich von seinen Gedanken und Überlegungen zum Thema Liebe. Wer gern philosophisch angehauchte Texte über das schönste Gefühl der Welt lesen möchte, wird hier auf seine Kosten kommen. Ich aber fühlte mich für dieses Buch irgendwie zu jung.