Kennt Ihr sie? Die vielen Fotos mit Sprüchen, die Tag für Tag auf Facebook und Instagram grasieren, in denen definiert wird, was einen Touristen von einem Reisenden unterscheidet? Meistens sind die Sprüche auf Englisch, so dass dann von „tourists“ und „travelers“ die Rede ist. Der Inhalt ist aber immer irgendwie derselbe: Reisende sind toll, Touristen sind Idioten.
Gut, diese Darstellung ist vielleicht etwas überspitzt. Aber diese Sprüche und das kontinuerliche Touristen-Bashing nerven mich. Ich gehe sogar noch weiter: Die Überheblichkeit der vermeintlichen Reisenden nervt mich.
Wenn man sich die Definition des Wortes „Tourist“ bei Google ansieht, stellt man fest: „Ein Tourist ist jemand, der als Urlauber ein Land besucht.“ Wer es noch genauer wissen möchte, liest sich die Definition der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen durch: „Touristen sind Personen, die zu Orten außerhalb ihres gewöhnlichen Umfeldes reisen und sich dort für nicht mehr als ein Jahr aufhalten aus Freizeit- oder geschäftlichen Motiven, die nicht mit der Ausübung einer bezahlten Aktivität am besuchten Ort verbunden sind.“
Fakt ist also: Sobald ich in ein anderes Land reise, um dort für einige Tage, Wochen, oder Monate zu bleiben, und keinen bezahlten Job am besuchten Ort ausübe, bin ich ein Tourist. Und nein, ein ortsunabhängiger Job, der es einem ermöglicht, auch auf Bali, Sardinien oder Cozumel Emails zu beantworten, Angebote zu schreiben, Fotos zu bearbeiten, und Texte zu verfassen, sorgt nicht automatisch dafür, dass man aus dem Touristen-Raster herausfällt.
Warum also bestehen so viele darauf, dass sie keine Touristen, sondern Reisende sind? Weil auch hier ein typischer Fall von Schubladen-Denken vorliegt: Touristen sind in den Augen vieler diejenigen, die in eine All-inclusive-Anlage fliegen, diese 14 Tage lang nicht verlassen, und dann mit einem ordentlichen Sonnenbrand, drei Kilos Bauchfett mehr, einer zweistelligen Anzahl von Shampoo-Fläschchen aus dem Hotel, und einem lustigen Strohhut in die Heimat zurückkehren.
Momentan ist es im Trend, viel und vor allem individuell zu verreisen. Seine Kollegen, Freunde und Verwandte kann man schon lange nicht mehr mit einem zehntägigen Urlaub auf Teneriffa beeindrucken. Dafür muss heutzutage schon mindestens der dreiwöchige Trip durch Laos und Kambodscha her, am Besten mit Übernachtungen in Klöstern. Ich bin da ja selbst nicht anders. Italien, Spanien und Portugal reizen mich schon lange nicht mehr. Weit weg muss es sein, und bitte exotisch. Trotzdem sind meine Trips genau das, was viele Reisende sicherlich in die Kategorie typisch touristisch einordnen würden: Ich reise mit dem Koffer, buche alle Übernachtungen im Voraus (und diese bevorzugt in Vier- bis Fünf-Sterne-Häusern), bewege mich vor Ort mit dem Taxi oder in sicheren Ländern mit dem Mietwagen voran, und halte mich praktisch nie an abgelegenen, in keinem Reiseführer zu findenen Orten auf, sondern in der Regel dort, wo auch viele andere Urlauber verkehren.
Wenn ich die Wahl habe zwischen einem leicht überteuerten Restaurant direkt an der Strandpromenade, das häufig von Touristen besucht wird, und einem schwer zu erreichenden aber sehr günstigen und nur von Einheimischen besuchten Restaurant, das fantastisches Essen serviert, wird meine Wahl wohl auf die Touristen-Bude fallen. Meine Gedankengänge dazu mögen zwar völlig irrsinnig und neurotisch erscheinen, aber für mich erscheinen sie dennoch logisch: Wenn ich in ein Restaurant gehe, in dem sonst nie Touristen verkehren, rechnet man dort nicht mit mir. Da ich selbst die Landessprache nicht beherrsche, außer sie ist zufällig Englisch oder Spanisch, werde ich also wahrscheinlich auch die Speisekarte nicht verstehen. Natürlich kann ich nicht erwarten, dass der Kellner oder sonstige Mitarbeiter eine der Sprachen sprechen, die auch ich kann. Also werde ich nicht wissen, was ich mir bestellen soll. Vielleicht nimmt der Kellner es mit Humor. Vielleicht versetze ich ihn dadurch aber auch in eine unangenehme Lage. Vielleicht schmeckt mir mein auf gut Glück bestelltes Essen. Vielleicht enthält es aber auch Koriander, Lamm, oder eine der anderen (wenigen) Zutaten, vor denen ich mich ekle. Vielleicht freuen sich die anderen Restaurantbesucher darüber, ein neues Gesicht zu sehen. Vielleicht sind sie aber auch genervt davon, dass die Touris jetzt auch schon ihre Lieblingskneipe einnehmen. Das kann man jetzt gerne auf beliebige andere Orte und Lokalitäten anwenden.
Während andere Reisende um jeden Preis typische Touri-Orte meiden, ist es bei mir eher umgekehrt: Eben weil ich mich als Touristin sehe, weiß ich, dass ich im besuchten Land zu Gast bin. Als Gast will ich nur ungern unangenehm auffallen. Dazu gehört, dass ich als Touristin nicht in Lebensbereiche der Einheimischen eindringe, in denen ich nichts zu suchen habe. Das mag Quatsch und völlig übertrieben sein, und ich weiß, wie freundlich einem in der Regel auch außerhalb der Touristenpfade begegnet wird. Trotzdem mache ich es nicht gerne. In jeder Gegend gibt es Orte, die mehr oder weniger häufig von Touristen frequentiert werden. Daran haben sich über die Jahre meistens auch die Einheimischen gewöhnt. Für mich ist es in gewisser Weise auch eine Sache der Höflichkeit, mich in einem Land, in dem ich zu Gast bin, an diese über die Jahre etablierten Gepflogenheiten zu halten.
Sicherlich kann man auch in die andere Richtung argumentieren, und es falsch finden, immer nur diejenigen zu unterstützen, die das Glück haben, an den Touristen-Hotspots ihre Läden, Hotels und Restaurants zu haben. Ich sage auch nicht, dass man die Orte abseits der Touristenpfade meiden sollte wie der Teufel das Weihwasser. Und noch weniger will ich behaupten, dass meine Art zu reisen die richtige ist. Aber mich kann niemand damit beeindrucken, der voller Stolz damit prahlt, während seiner Reise nur dort gewesen zu sein, wo er unter Garantie keinen Touris über den Weg laufen musste.
Für mich ist das Wort „Tourist“ kein negativ behaftetes Wort. Ich bezeichne mich gerne als Touristin. Warum auch nicht? Wem will ich denn etwas vormachen? Trotzdem möchte ich mich beim folgenden Vorwurf gerne mit einschließen:
Ich finde, wir, die wir uns selbst – egal ob selten, ständig, oder immer mal wieder – für den Touristen um Welten überlegene Reisende halten, sollten ganz dringend und schnell von unserem hohen Ross steigen. Fragen wir doch mal die Nepalesen, Mexikaner oder Philippiner, ob es für sie irgendeinen Unterschied macht, ob wir mit dem Rucksack von Hostel zu Hostel tingeln, oder ob wir uns mit einem Designerkoffer vom Taxi ins nächste Luxusresort chauffieren lassen. Ich glaube, wir alle kennen die Antwort.
Nur weil man mehr als zwei Länder pro Jahr bereist, berechtigt das meiner Meinung nach nicht dazu, jeden, der Jahr für Jahr in sein Lieblingshotel in die Türkei oder nach Ägypten fliegt, abschätzig zu behandeln. Und für den Fall, dass Ihr anderen gerne vorwerft, dass sie so wie sie reisen doch gar nichts von der Welt sehen: Die Welt hat knapp 200 Staaten. Sie verteilen sich auf eine Landfläche von ungefähr 150 Millionen Quadratkilometern. Das sind 150 Billionen Quadratmeter. Wenn Ihr jetzt berechnet, wie viel davon Ihr schon gesehen habt, werdet auch Ihr wahrscheinlich auf das Ergebnis „so gut wie nichts“ kommen.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir mit diesem Artikel Feinde mache: Diese Arroganz sollte aufhören. Denn sie ist völlig unangebracht. Auch Reiseblogger, Vielreisende und Backpacker sind Touristen. Ich sage ja nicht, dass man sich nicht als Reisenden bezeichnen darf. Aber die überhebliche Abgrenzung von Touristen muss meiner Meinung nach nicht sein.
Darüber zu diskutieren, welche Art zu reisen die wahre ist, ist ungefähr so sinnlos, wie darüber zu streiten, welche Farbe die schönste, welche Apfelsorte die leckerste, und welche Gesichtsform die attraktivste ist. Wie so oft liegt die Antwort im Auge des Betrachters.