Schlüpferstürmer.
Dieses Wort habe ich bei Synapse geklaut, die es gestern in einem sehr zutreffenden Kommentar auf meinen post Schlampe verwendet hat. Es passt einfach perfekt auf den Hauptprotagonisten meines heutigen posts.
Jörg.
Jörg war mein erster. Mein erster, na, ihr wisst schon. Wie ich jetzt darauf komme? Er lief mir vor ein paar Wochen zufällig über den Weg. Nach 25 Jahren. Und sofort war die Erinnerung wieder da.
Jörg war ein paar Jahre älter als ich und hatte etwas von einem französischen Poeten an sich. Schlank, eine wilde Tolle, die ihm die Augen fiel, eine markante Nase und einen fiebrigen Glanz in seinen Augen. Ich war hin und weg von ihm. Er schlug sich zur damaligen Zeit mit Gelegenheitsjobs durch, als ich ihn kennenlernte war er gerade Bauarbeiter. Seine wahre Berufung aber war die eines leidenschaftlichen Poeten und Schauspielers. Eines großen Bühnenschauspielers! Er schrieb heißblütige Gedichte voller Leidenschaft und Schmerz und liebte es, sie im dramatischen Umfeld zu rezitieren. So zum Beispiel vor seinen damaligen Bauarbeiterkollegen. In der Mittagspause gab er mit wehendem, schwarzem Umhang, großem Schlapphut und schwarz umrandeten Augen den Hamlet, während seine Jungs mit Klappstullen und Kaffee in der Thermoskanne zusahen und Kommentare abgaben, wie:
„Schwein oder nicht Schwein, DAS ist die Frage!“
Er war romantisch wie kein zweiter und liebte es, mitten in der Nacht bei Sturm und Gewitter vom Nachbarort zu Fuß zu unserem Haus zu laufen, durch den Wald und an mein Fenster zu klopfen um mir dann mit glühendem Blick, triefend nass im Regen stehend, seine Liebe in Gedichtform darzubringen. Das hatte was. Ich war damals auch sehr froh, dass mein Vater keinen Waffenschein hatte. Mit dieser Mischung aus Romantik und Leidenschaft stürmte er zuerst mein Herz und etwas später dann auch, nun ja, meinen Schlüpfer. Er war zusagen der Erstbezwinger meines Schlüpfers.
Bevor er diesen stürmte, musste er allerdings noch eine andere Festung stürmen. Meinen Vater. Als der ihn das erste Mal sah, wusste er gleich, was Sache ist. Mein Vater wusste sich schon immer in jeder Lebenslage clever zu helfen. So auch in diesem Fall.
„Hallo, mein Junge,“ begrüßte er Jörg ein ums andere Mal, „Lass uns doch einen zusammen trinken.“
Mein Vater ist sehr trinkfest. Trinkfester als Jörg es damals war.
Ich erinnere mich besonders an einen Abend. Mein Vater füllte Jörg so ab, dass Jörg sich anschließend im Badezimmer bis auf die Unterhose auszog, wie ein Transvestit schminkte, sich auf die Waage stellte und 1 ganze Flasche Mineralwasser auf Ex trank, nur um herauszufinden, ob die Waage dann 1 Kilo mehr anzeigen würde. Anschließend schlief er in der Badewanne. Der Papa. So isser. Unter anderem dafür liebe ich ihn wie keinen zweiten.
Irgendwann waren meine Eltern für ein Wochenende weg. Das war dann die Stunde des Schlüpferstürmers. Man muss ihm zu Gute halten, dass er sich das redlich verdient hatte.
Wir blieben nicht zusammen aber behielten uns in lieber Erinnerung. Als wir uns nun wiedersahen, zufällig auf der Straße, war ein vertrautes Gefühl zwischen uns. Seine Tolle hat er nicht mehr und insgesamt auch eher wenig Haare. Und Poet ist er auch nicht geworden. Stattdessen Krankenpfleger. Aber er wirkte rundum zufrieden. Und seine Augen hatten tatsächlich noch etwas von dem fiebrigen Glanz
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