…der Prinz setzte die Prinzessin auf sein Pferd und gemeinsam ritten sie zu seinem Schloss”. So oder ähnlich enden viele Märchen und machen Schlösser zu sagenumwobenen Wunschorten für “kleine Prinzessinnen” oder zumindest zum Symbol für ein sorgenfreies, prunkvolles Leben. Noch dazu wenn die Schlosstürme an exponierten Standorten wie markanten Felsen oder rebenbewachsenen Hängen aufragen. Die wechselvollen Geschichten der Bauwerke zeichnen fast immer ein weitaus weniger verklärtes Bild von “Märchenschloss” und Ritterburg.
Durch die Abgeschiedenheit von wirtschaftlichen und städtebaulichen Entwicklungen genossen die Schlösser und Burgen in der Bodenseeregion eine Art natürlichen Denkmalschutz, lediglich bei diversen Raubzügen und einige wenigen kriegerischen Belagerungen, gingen einige von ihnen in Flammen auf. Und so wurden die vielfach unbewohnten, “aus der Zeit gefallenen Schlösser und Burgen” zwischen sanften Hügeln, pittoresken Dörfern und markanten Höhen mit Aufkommen des Fremdenverkehrs nach 1800 zu wahren Sehnsuchtsorten für reisende Romantiker.
“Was hätte ich nicht darum gegeben, Hand in Hand mit Dir diese Gegenden zu durchwandern, deren Reize genügend zu beschreiben, ich mich nur zu unfähig fühle” schreibt beispielsweise Hermann von Pückler-Muskau 1808 seinem Freund während einer Reise am Bodensee. Von üppigen Wiesen und bunt-beblühten Matten ist im begeisterten Reisebericht die Rede, von heimlichen Wäldchen und lachenden Weinbergen, von dichten Alleen sowie von alten verwüsteten Schlössern, weitläufigen Klöstern und freundlichen Dörfern.
Auch der Cotta’sche Verlagsmitarbeiter Gustav Schwab bemerkt auf seiner Schifffahrt von Friedrichshafen nach Rorschach das “gethürmte Mörsburg”, das “helle Schloß von Friedrichshafen” und ein “modernes Schlösschen” in Romanshorn – romantische Verzückung allerorten, doch “je geringer die Kenntnis von realen feudalen Herrschaftsverhältnissen ist, desto poetischer klingen auch heute noch die Geschichten von Burg und Schloss” bemerken die Autoren in ihrem Vorwort. Trotzdem: Schlösser und Burgen sind nach wie vor Sehnsuchtsorte für Freunde der Baukultur und der Schönen Künste und der Phantasie ist es sowieso egal, ob die Schlossbewohner ihre Räume nur im Sommer bewohnten, ob sie unglücklich verheiratet waren oder ob sie finanzielle Engpässe hatten.
Neben kulturhistorischen Betrachtungen enthält der Band auch zahlreiche Schlossgeschichten: “Noch immer umwehen mündlich überlieferte Sagen und Anekdoten die alten Gemäuer und ihre oft ausgedehnten Parkanlagen”, schreibt Tobias Engelsing. “Gerne erzählen Dorfbewohner von geheimen unterirdischen Gängen, Kerkern, Mordtaten und ruhelosen Schlossgeistern.”
Tatsächlich war es zum Bespiel ziemlich grauenhaft, was der böhmische Reformator Johannes Hus auf Schloss Gottleben in Tägerwilen hinter erlebte: er wurde im Frühjahr 1415 auf Veranlassung des in Konstanz tagenden Kirchenkonzils im Westturm festgesetzt, um “diesen widersetzlichen Geist zu brechen” und “ihn zum Widerruf seiner theologischen und kirchenkritischen Thesen (zu) nötigen”. Nach qualvollem Aufenthalt und einem fehlerhaften Prozess wurd Hus schließlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Noch in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhundert legten tschechische Patrioten Gedenk-Kränze an seinem Gefägnis nieder.
Auch das Ritterfräulein Fortunata wurde trotz ihres Namens auf ihrer Burg nicht glücklich: ihr Vater missbilligte ihre Liebe zum jungen Herrn von Hohenfels auf der anderen Seite des Sees. So durchschwamm der Verehrer den Überlinger See in sternlosen Nächten und orientierte sich an einer Laterne im Fenster der Geliebten. In einer stürmischen Nacht erlosch das Licht allerdings und Fortunatas Liebhaber ertrank. Voll Kummer trat sie in ein Kloster ein. Ihr Geist soll heute in der Ruine Kargegg am Bodanrück spuken und wer ihn erlöst, bekommt zur Belohnung ein Kegelspiel aus purem Gold, das angeblich in den verschütteten Gewölben der Burg liegt.
Erfreulicher lesen sich dagegen Episoden aus der Meersburg, wo Annette von Droste-Hülshoff die nötige Einsamkeit für ihre Arbeit fand und ihre Novelle “Die Judenbuche” entstand. Glaubt man ihrem Schwager, dem Literaturhistoriker Joseph von Laßberg, ist die Meersburg im 19. Jahrhundert die älteste noch bewohnte Burg Deutschlands. Nachdem sich vor der Droste hier vorwiegend die Konstanzer Bischöfer vor diversen Gegnern verschanzten, erwarb der Münchner Heraldiker Karl Ritter Mayer die Burg im Jahr 1878 und richtete dort ein Mittelaltermuseum ein, dessen Exponate heute noch ausgestellt sind. Noch heute leben Mayers Erben auf der Meersburg, wo während der Öffnungszeiten 30 Räume besichtigt werden können.
Ob Prestigeobjekt, Einnahmequeller oder Rückzugsort: rund 50 Schlösser, Burgen, Prachtvillen und Landgüter stellen die Autoren im Buch vor, von denen heute einige nur noch Ruinen sind, andere sind als Museum, Restaurant, Hotel oder Tagungsort besuchbar. Gott sei Dank wenige Bauwerke verfallen derzeit aus verschiedensten Gründen, überraschend viele befinden sich immer noch in Privatbesitz und sind öffentlich nicht zugänglich. Schloss Bernegg in Kreuzlingen ist allerdings der einzige Herrensitz, der noch einer alteingesessenen Adelsfamilie gehört: 1795 wurde das Schloss zum “unveräußerlichen und unteilbaren Familienvermögen erklärt” und bis heute hält man sich an diese Vereinbarung. Mehrere Wohnungen im Schloss sind vermietet, doch der weit verzweigten Familie Bernegg steht nach wie vor eine Ferienwohnung zur Verfügung.
“Schlösser am See” ist ein schön gestaltes Buch über Mauern und Gebäude mit teilweise erstaunlichen Bewohnern und nicht zuletzt interessante Kulturgeschichte des westlichen Bodensees.
Tobias Engelsing, Anne-Kathrin Reene “Schlösser am See. Burgen und Landsitze am westlichen Bodensee”, 168 Seiten, Hardcover mit Leinenrücken, 150 farbige Abbildungen, 28 Euro, südverlag