Inzwischen ist geschehen, was ich niemals für möglich gehalten hätte: Ich habe keine Lust mehr, Nachrichten zu lesen. Jahre und Jahre habe ich mir gewünscht, wo und wann ich will umfassend informiert zu werden, und das Internet erfüllte mir diesen Wunsch. Aber jetzt vergeht mir die Freude daran.
Ein ganz gewöhnlicher Sonntagabend mag hierr als Beispiel dienen. Am Abend des 8. März 2015 las ich die neuesten Nachrichten, die mich zu diesem Text inspirierten. Und was las ich da?
Nachricht 1: Der Bürgermeister von Tröglitz, der sich für Flüchtlinge in seiner Stadt eingesetzt hatte, einer Stadt übrigens, die in Sachsen-Anhalt liegt, tritt zurück, weil die NPD ihn agressiv bedroht. Die rechtsradikale Partei wollte eine Großdemonstration anberaumen, die vor dem Wohnhaus des Bürgermeisters enden sollte. Bevor es zur Gewalt kam, oder bevor klar wurde, wie wenig Unterstützung der arme Mann für seinen menschenfreundlichen Kurs in seiner Stadt genoss, trat er lieber zurück. Die Gewalt, der Hass und die Menschenverachtung siegten über Solidarität und Mitmenschlichkeit, Gewaltbereitschaft triumphierte über Mitgefühl und politische Verantwortung. Und das mitten in Deutschland. Wir haben uns längst daran gewöhnt, aber mich, der von seinen Eltern noch Geschichten aus dem Krieg gehört hat, über Judenverfolgung und Konzentrationslager, dessen Großonkel noch von den Nazis ermordet wurden, weil sie Kommunisten waren, mich schmerzt es tief in der Seele, eine solche Nachricht zu lesen. Wie schnell man doch vergisst, wie wenig Menschen doch lernen können und wollen.
Nachricht 2: Benjamin Netanjahu, israelischer Ministerpräsident, rückt öffentlich von der zwei-Staaten-Lösung des Nahostkonfliktes ab. Nun werden die Zyniker unter Ihnen sagen: Das Lippenbekenntnis zum Palästinenserstaat habe den Konflikt bislang auch nicht gelöst. Und sie hätten recht damit. Nur war es seit 20 Jahren eben der einzige Punkt, auf den sich die Konfliktparteien einigen konnten, der einzige Ansatz, von dem aus Verhandlungen über irgendeine Zukunft in der Region möglich und sinnvoll waren. Dieses letzte bisschen Verständnis kündigt Israel nun auf, ohne Not und im Zuge des Wahlkampfes. Selbst wenn dies nicht zu einer schärferen Politik von Seiten Israels führen sollte, so schürt es doch den Hass der anderen Seite, und der Konflikt nährt sich selbst. Die ewige Flamme des Hasses brennt lichterloh. Nein: Wir Menschen sind zu einem evolutionären Fortschrittsprozess wohl nicht in der Lage. Niedere Instinkte und unstillbare Machtgier beherrschen uns und zerfressen unseren Geist, den eine beseelte Natur oder wer auch immer doch eigentlich mit Vernunft ausgestattet hat. Wir müssten uns nur ein wenig anstrengen.
Nachricht 3: Der griechische Verteidigungsminister Panes Kammenos, Parteiführer der rechtsradikalen Juniorpartner von Premier Tsipras, droht Europa, er werde Flüchtlinge aus islamischen Ländern, vielleicht auch Anhänger der Terrorgruppe islamischer Staat, mit Reisepapieren ausstatten, damit sie nach Berlin und Brüssel gehen könnten, wenn Europa Griechenland nicht mehr Gelder zur Verfügung stelle. Für die Folgen wäre dann Europa selbst verantwortlich. Natürlich weiß Kammenos, dass diese Drohung wirkungslos bleibt und nur den Betonköpfen um Bundesfinanzminister Schäuble nützt, aber es interessiert ihn nicht. Hauptsache, er hat auf den Putz gehauen. Dass er damit jedes Vertrauen in die griechische Regierung verspielt, die dieses Vertrauen ursprünglich wirklich einmal verdiente, scheint ihn nicht zu kümmern. Fröhlich Eskaliert der athener Rechtsaußen vor sich hin, und niemand kann etwas gegen ihn sagen. Auch scheint er gerrn einen bewaffneten Konflikt mit der Türkei provozieren zu wollen.
Na gut, dann eben nichts mit Aufbruch, neuen Ideen und so.
Dass der Ukrainekonflikt weiter geht, der islamische Staat weiter enthauptet, die Terrorgruppe Boko Haram immer noch Mädchen entführt, Libyen und ganz Afrika im Chaos versinkt, flüchtlinge im Mittelmeer vor unseren Grenzen zu hunderten ertrinken, geschenkt. Das ist inzwischen Alltag und kaum noch eine Nachricht wert, zumindest keine, die schwarze Verkaufszahlen bringt. Dass die Atomlobby, die Datenschnüffler und die Freihandelsfanatiker Morgenluft wittern und alles im Griff zu haben scheinen, ruft kaum noch ein Achselzucken hervor. Religiöser Eifer ist die Droge gegen Lethargie und Unsicherheit, Aufklärung und die Komplexität der Welt entziehen den Menschen den sicheren Halt.
Was soll ich noch twittern, was soll ich noch schreiben? Wir wissen, wohin die Reise geht, sobald wir die Zeitung aufschlagen oder Nachrichten lesen. Und wir hoffen inbrünstig, der große Krach möge nicht zu unseren Lebzeiten noch geschehen. Die wenigen, die klar sehen und den Mund nicht halten, polemisieren, schreiben und reden dagegen an, hinterlassen nachdenkliche Menschen, die am nächsten Tag ihren gewöhnlichen Tätigkeiten nachgehen, weil das Wissen nur belastet und lähmt, aber nicht aufrüttelt.
Mich auch nicht.
Es gibt Tage, da möchte ich nie nie nie wieder eine Zeitung aufschlagen oder Nachrichten lesen.