Schlachthühner, Liebesbeziehungen und Obstipationen

Eine der griffigsten und pointiertesten Performances im Rahmen von „Redefining Action(ism)“ des ImpulsTanz Festivals in Kooperation mit dem mumok lieferte bislang die Tänzerin und Choreografin Elisabeth Bakambamba Tambwe. „Fit in“ hieß ihre halbstündige Aktion, in welcher der gesellschaftswiderständige Geist der Aktionistinnen und Aktionisten der 60er und 70er-Jahre eine neue, aktuelle Seele eingehaucht bekam.

Tambwe ist nicht nur für Kooperationen mit namhaften Choreografinnen und Choreografen wie Robyn Orlin oder Faustin Lyniékula bekannt. In Wien erregte sie erst im vergangenen Jahr mit ihrer Produktion „Symposium“ Aufsehen. Eine Vorstellung, die auch in das 8:tension-Programm von ImpulsTanz aufgenommen wurde. Wer Tambwe kennt, wusste, dass eine von ihr gestaltete Performance nichts mit einem Wohlfühlprogramm gemein haben würde. Vielmehr ist die Künstlerin dafür bekannt, keine Tabus anzuerkennen. Weder gesellschaftspolitische, noch körperliche.

Singend, in einem grellroten, weit fallenden Minikleid, begrüßte sie ihr Publikum im Raum, in welchem sonst das mumok seine Filmvorführungen abhält. Ausgestattet mit einem Mikrofon war von ihr ein Singsang zu vernehmen, dem ein Nonsens-Text, gebildet aus Vokalen, unterlegt war. Gestik und Mimik verrieten bald: Hier handelt es sich um eine Vorführung, die der hehren Kunst gewidmet ist, aber auch: Das, was hier geboten wird, sollte nicht bierernst genommen werden. Zu stark waren die das Geschehen karikierenden Elemente, welche bald die ersten Lacher auslösten. Die Diva, die hier zugange ist, nimmt sich selbst nicht wirklich ernst. Diese Aussage stand in krassem Gegensatz zum Surrounding, das den Geist eines Frankensteinlabors verströmte.

Ein kleiner, metallener Tisch auf dem allerlei Zubehör penibel angeordnet ist. Schere, Nadel, Faden, ein Parfumfläschchen, Messer. Auf dem Boden und auf hohen metallenen Stangen Glasballons, fein säuberlich mit Metallhülsen verschraubt. Darin, in einer durchsichtigen Flüssigkeit konserviert, undefinierbare Objekte, ähnlich naturwissenschaftlichen Präparaten in Museen, deren Gestalt jedoch nicht wirklich erkennbar ist. Hier Haare, dort Stoff, nackte Haut, die durch das Glas schimmert.

Weite Gewänder sind bei Tambwe meist ein Zeichen, dass sich darunter allerhand verbirgt. So auch in diesem Auftritt. Den Rock nach ihrer Gesangsdarbietung einmal kurz angehoben, kommt ein nacktes, kopfloses Huhn zum Vorschein und wird, wie in schmerzlichen Geburtsvorgängen, von der Künstlerin ins Scheinwerferlicht befördert. Ein zweites hat sie so um den Leib geschnallt, dass es mit ausgebreiteten Flügeln, den Hals nach unten, vor ihrer Scham hängt. Langsam wird es mit Salz bestreut und von ihr genüsslich nach allen Regeln der Kunst damit eingerieben. Das Bild, das hier gezeigt wird, eine Frau mit leicht gespreizten Beinen, die leicht wippend das an ihr befestigte Huhn massiert, ist vollgepackt mit sexuellen Konnotationen. Tambwe massiert und penetriert das Huhn, dass man gar nicht anders kann, als die Kopfschere hin zu Masturbationsszenen zu öffnen. Um das Kopfkino noch anzukurbeln, bekommt das leblose Vieh eine blonde Perücke angenäht. So ausgestattet, darf es dann, vom Leib losgelöst, in den Händen von Tambwe vor sich gehalten, zu den Klängen von Franz Léhars Duett „Lippen schweigen, ‘s flüstern Geigen: hab mich lieb!“ aus der „Lustigen Witwe“ im Walzertakt durch die Luft schweben. Eine stärkere Klimax zwischen der Lust zu essen und einer tabulos ausgelebten Sexualität und der ursächlichen Verbindung dieser beiden menschlichen Lebensäußerung hätte wohl kaum gefunden werden können.

Einmal mit dem Rücken zum Publikum metaphorisch „einverleibt“, darf das Schlachtvieh schließlich abseits des weiteren Geschehens am Boden Platz nehmen. Während Tambwe unter offensichtlichen Mühen und Plagen ihren von Obstipationen geplagten Darm mit lautem Gestöhne und herabgelassenem Slip mitten auf der Bühne zu entleeren versucht, bleibt es dort unbeachtet. Und zwar so lange, bis es schließlich von ihr in ein mit Flüssigkeit gefülltes Gefäß getaucht wird, das mit all den anderen schon gefüllten Glasballons korrespondiert. Schlagartig wird klar: Das, was dort schwimmt, sind auch Hühner. Vorangegangene Liebesbeziehungen, menschliche oder kulinarische, die unter wahrscheinlich ähnlichen Mühen wieder ausgeschieden wurden. Optisch begleitet diese Vorgänge ein Video (Nicolas Spencer), das den Weg einer Kamera durch das Innere eines Magen-Darm-Traktes festhält.

Die kleinen Kekskrümel, die von der misslungenen Darmentleerung übrig bleiben, künden von viel mehr als nur von wie immer geartetem Beziehungsverlust. Tambwe öffnet mit dieser Aktion den Ideenhorizont hin zu unserer Lebensmittelindustrie und den von uns vertilgten Dingen, die das Wort „Leben“ eigentlich nicht verdienen. Nackte Hühner, kopflos, werden nur in Ländern verkauft, in welchen die Massentierhaltung längst jedes menschlich vorstellbare Maß übertroffen hat. Angeekelt wenden sich Touristen meist ab, wenn sie auf südamerikanischen oder asiatischen Märkten zusammengebundenes, lebendes Federvieh entdecken. Nicht wissend, dass die Schlachtungen erst kurz vor dem Zubereitungsvorgang vorgenommen werden. Eine auf den ersten Blick vielleicht brutale, nichtsdestotrotz aber wesentlich ökologischere Tierverwertung, die nicht im Vorhinein tötet, um später nicht gekaufte Hühner zu schreddern. Nicht erst seit den Fastfood-Ketten herrscht in der westlichen Welt das Shit-in- shit-out-Prinzip. Die Denaturierung unserer Speisen wird in der Performance sowohl durch die Laborsituation an sich, als auch durch das Versprühen von Parfum angezeigt, das unangenehme Gerüche während der Hühnerzubereitung tunlichst fernhalten soll.

Tambwes Performance hat nichts gemein mit Ana Mendietas „Death of a chicken“ von 1972, wenngleich das Video dieser Performance wenige Meter von ihrer Aktion in der Ausstellung „Mein Körper ist das Ereignis“ zu sehen ist. Bei „Fit in“ der in Österreich lebenden, aus der Demokratischen Republik Kongo stammenden Künstlerin wird kein Gewaltakt gezeigt und es wird kein Blut vergossen. All das ist ihr zuvor schon in einem Hühnerschlachthof abgenommen worden. Die Verbindung zum Wiener Aktionismus und den internationalen Performances aus dieser Zeit ist lediglich, wenn man möchte, als Subtext präsent. Ihr eigener sozialkritischer Ansatz, in dem sie das menschliche Konsumverhalten der westlichen Welt, die Massentierhaltung und sexuelle Tabus zugleich anspricht, hat nichts Epigonenhaftes an sich. Die große Leistung, die von dieser Aktion ausgeht, liegt einerseits im Verstehen, was eine sozialkritische Aktion auslösen soll, welche Register gezogen werden müssen, um auch heute noch für Diskussionsstoff und Verstörung zu sorgen. Andererseits ist es die kunstvolle Verzahnung von multiplen Layern, die, je nach eigener Interpretationsweise, verstärkt bei der Rezension in den Vordergrund geholt werden können.

Elisabeth Bakambamba Tambwe, das zeigte auch ihre Arbeit „Symposium“, ist weit davon entfernt, den historischen Aktionismus neu definieren zu müssen. Vielmehr sind ihre Performances notwendige, aus ihrer eigenen Vermittlungssprache heraus gefundene, künstlerische Darstellungsformen, die aufgrund ihrer Komplexität, Plakativität und Tabulosigkeit das Publikum fordern. Auf eine Weise fordern, wie es in den 60er und 70er-Jahren auch der Fall war.


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