Schlachtfeldarchäologie - eine junge Disziplin

Von Ingo Bading @ingo_34
"Seit einigen Jahren befindet sich die vergleichsweise junge Disziplin der Schlachtfeldarchäologie auch in Deutschland im Aufwind. Ausschlaggebend dafür sind die Untersuchungen mehrerer archäologischer und historischer Schlachtfelder, von denen diejenigen im Tollense-Tal, bei Kalkriese, am Harzhorn und in Lützen hier stellvertretend genannt seien."
So heißt es auf der Internetseite des Archäologischen Landesmuseums Brandenburg, das derzeit im Paulinerkloster der Stadt Brandenburg eine Ausstellung zu diesem Thema anbietet (1636.de). Im Zusammenhang mit dieser Ausstellung fand im November 2011 auch eine internationale wissenschaftliche Tagung zur Schlachtfeldarchäologie statt. Auf 42 Seiten sind die Kurzfassungen der vielen dort gehaltenen Vorträge zugänglich (pdf) - eine Fundgrube, um sich einen Überblick über die wirklich vielfältigen gegenwärtigen Forschungen auf dem Gebiet der "Schlachtfeldarchäologie" zu verschaffen. Von Estland, Schottland und Irland bis Wien waren Forscher angereist, um von ihren örtlichen Forschungen zu berichten. Welche Fülle an Themen, an Zeitepochen und Schlacht- und Gräberorten ist da angesprochen worden!

AiD, Heft 1/2009

Nicht nur hat sich die immer wieder begeisternde Zeitschrift "Archäologie in Deutschland" schon im Jahr 2009 dieses Themas angenommen (siehe links), auch auf der Wikipedia-Seite zu dieser jungen Disziplin findet man gegenwärtig schon viele erforschte Schlachtfelder aufgelistet. Von diesen haben wir auch schon hier auf dem Blog viele in eigenen Beiträgen zumeist - schon kurz nach ihrer Entdeckung behandelt und gerade unter dem neuen Schlagwort "Schlachtfeldarchäologie" verschlagwortet. Im folgenden soll eine ganz willkürliche Auswahl von spannenden derzeit erforschten Schlachten und Massengräbern gegeben werden:
4.900 v. Ztr. Massengräber aus der Endzeit der Bandkeramik (der ersten Bauernkultur Europas) 1250 v. Ztr. Schlacht im Tollense-Tal (in Mecklenburg) 1180 v. Ztr. Schlacht im Nil-Delta (Wandreliefs in Medinet Habu in Theben/Ägypten a.d.J. 1176 v. Ztr.) (vgl. Wiki, Studgen) 490 v. Ztr. Schlacht bei Marathon, Griechenland 9 n. Ztr. Schlacht im Teutoburger Wald (Varusschlacht bei Kalkriese) 235 n. Ztr. Schlacht am Harzhorn 900 n. Ztr. Massengrab von erschlagenen Wikingern in Wymoth (Südengland) (Studgenpol) 1632 Schlacht bei Lützen 1636 Schlacht bei Wittstock 1814 Massengrab eines Militärlazaretts in Kassel (Studgenpdf, S. 27f) 1945/46 Massengrab auf der Marienburg in Westpreußen
Auf das Massengrab Deutscher auf der Marienburg aus dem Jahr 1945 (oder später) sei in diesem Zusammenhang auch deshalb hingewiesen, weil diese Opferkategorie "deutsche Vertriebene" gegenwärtig noch zu einem der größten Tabu-Gegenstände der wissenschaftlichen Forschung zu zählen scheint. Obwohl diese Opferkategorie sehr umfangreich ist (2,5 Millionen). In den Grenzen des heutigen Tschechien sind viele Massengräber bekannt, im heutigen polnischen Machtbereich werden viele vermutet, ebenso auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Bezeichnenderweise ist das Massengrab auf der Marienburg nicht wissenschaftlich oder kriminologisch erforscht und ausgewertet worden, weil man glaubte, es könne die "gutnachbarlichen" Beziehungen zwischen dem heutigen Polen und dem heutigen Deutschland gefährden. Eine Überlegung, die einem humanen Europa nicht angemessen ist.
(Dem Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge wurden diese menschlichen Überreste "in aller Stille" anvertraut, obwohl sein Arbeitsschwerpunkt die Anlage und die Pflege von Soldatengräbern ist, nicht das Gedenken an Massenverbrechen.)
- - - Spannend unter den oben genannten Tagungs-Zusammenfassungen sind etwa auch der Bericht von André Schürger über die derzeitigen Forschungen auf dem Schlachtfeld von Lützen (1632), in der König Gustav Adolf von Schweden gefallen ist: Auf dem Schlachtfeld verteilte Bleikugeln konnten verschiedenen Waffen zugeordnet und so zumindest Ausschnitte der Schlacht rekonstruiert werden (S. 13). Spannend ebenfalls etwa die Forschungsergebnisse zum Massengrab in Kassel aus dem Jahr 1814 (S. 27f), mit dem wir uns hier auf dem Blog auch schon beschäftigt hatten: Genetisch weisen die Skelette die höchste Ähnlichkeit mit den Menschen in den heutigen Beneluxländern auf, was in der Tat die Vermutung bestätigt, daß es sich um Angehörige der in Rußland geschlagenen "Großen Armee" Napoleons gehandelt hat.
Der Maler Ludwig Richter gibt in seinen hier auf dem Blog schon behandelten Lebenserinnerungen auch einen anschaulichen Bericht davon, wie er unmittelbar nach kriegerischen Auseinandersetzungen rund um seine Heimatstadt Dresden im Jahr 1814 mit seinem Vater über das Schlachtfeld gegangen ist, wo Gefallene und Verwundete eingesammelt wurden. - Die junge Disziplin der Schlachtfeldarchäologie stellt sicherlich den denkbar größten Gegensatz dar zur nicht mehr ganz so jungen Disziplin der Alltagsgeschichte. Sie ergänzt auf einem sehr wesentlichen Gebiet unser Geschichtsbild, in dem es mit den Thesen Steven Pinkers zum Rückgang der Gewalt im Verlauf der Menschheitsgeschichte inzwischen auch zu einer wichtigen theoretisch-anthropologische Debatte gekommen ist. Posted by Ingo Bading um 10:31 Diesen Post per E-Mail versendenBlogThis!In Twitter freigebenIn Facebook freigeben Labels: Schlachtfeldarchäologie

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