Schiller: Maria Stuart

Wolfgang Krisai: Schillers Geburtshaus in Marbach am Neckar. Tuschestift. 1988.

Wolfgang Krisai: Schillers Geburtshaus in Marbach am Neckar. Tuschestift. 1985.

Als ich 14 war, habe ich „Maria Stuart“ zum ersten Mal gelesen, natürlich nicht viel verstanden, nehme ich an. Irgendwann las ich das Werk wieder, spätestens, als ich es einmal mit einer Klasse in der Siebten als Klassenlektüre verwendete. Und jetzt habe ich es wieder gelesen, auch diesmal mit dem Hintergedanken, es vielleicht im nächsten Schuljahr als Klassenlektüre zu verwenden.

Schiller ist ein großer Dramatiker, das erweist sich auch an diesem Stück, das zügig und spannend abläuft, interessante Figuren aufbietet und eine flüssige, im Grunde leicht verständliche Sprache hat. Der Blankvers, in dem das Stück abgefasst ist, stört mich immer weniger, im Gegenteil, er trägt zum Schwung des Stücks wesentlich bei, denn er spricht sich leicht und flüssig.

Diesmal haben mich bei der Lektüre weniger die beiden Hauptfiguren Maria Stuart und Elisabeth I. oder der jugendliche Held Mortimer fasziniert, sondern Graf Leicester. Dieser ist die Figur, die mich betroffen machte: Er eiert hin und her zwischen Maria und Elisabeth, offenbar ist er von beiden angezogen, von Maria mehr im Sinne der Erotik und Liebe, von Elisabeth mehr im Sinne der Macht, an der er als Günstling der Königin partizipieren könnte. Beiden gaukelt er vor, an der jeweils anderen nicht interessiert zu sein. Mortimer, der junge Hitzkopf, der seine Chance sieht, Maria gegen alle Konventionen für sich zu gewinnen, will zunächst, dass Leicester sich entscheidet, und zwar für Maria, damit sie sie gemeinsam befreien können. Leicester willigt so halb ein und arrangiert das verunglückte Treffen zwischen den beiden Damen im dritten Akt. Als sich hier das Blatt wendet, beginnt Leicester Angst zu bekommen, denn im Gegensatz zu Mortimer ist er nicht bereit, sein Leben aufs Spiel zu setzen, ja nicht einmal seine Freiheit. Aus dieser Angst heraus verrät er Mortimer, der sich ersticht, um der Verhaftung zu entgehen.

Elisabeth zwingt Leicester, zum Beweis seiner Loyalität die Hinrichtung Marias zu beaufsichtigen, die sie aber gar nicht vollzogen sehen will. Doch der Fanatiker Burleigh reißt die Gerichtsurkunde an sich und vollstreckt sie eigenmächtig – im Beisein Leicesters, der bei dieser Gelegenheit von Maria als die jämmerliche Figur behandelt wird, als die er sich erwiesen hat. Maria sagt: „Lebt wohl, und wenn Ihr könnt, so lebt beglückt! / Ihr durftet werben um zwei Königinnen; / Ein zärtlich liebend Herz habt Ihr verschmäht, / Verraten, um ein stolzes zu gewinnen: / Kniet zu den Füßen der Elisabeth! / Mög’ Euer Lohn nicht Eure Strafe werden!“ (3832-3837). Damit lässt sie ihn stehen, vernichtet. Leicester bleibt allein zurück und sagt: „Ich lebe noch! Ich trag’ es, noch zu leben! / Stürzt dieses Dach nicht sein Gewicht auf mich! / Tut sich kein Schlund auf, das elendeste / Der Wesen zu verschlingen! Was hab ich / Verloren! Welche Perle warf ich hin! / Welch Glück der Himmel hab’ ich weggeschleudert! / – Sie geht dahin, ein schon verklärter Geist, / Und mir bleibt die Verzweiflung der Verdammten.“ (3839-3846)

Es ist ein schreckliches Gefühl, wenn man versagt hat. Das kommt hier mehr als packend über die Bühne.

Leicester weiß, dass es nun unmöglich ist, Elisabeth gegenüberzutreten. Er ergreift die Flucht ins französische Exil. Dort wird er aber auch nicht gerade willkommen sein.

Wenn Kunst dazu da ist, die „conditio humana“ vor Augen zu führen: Schiller ist das gelungen, zumindest in der Figur des Leicester.

Friedrich Schiller: Maria Stuart. Trauerspiel in fünf Aufzügen. In: Schillers Sämtliche Werke, Säkular-Ausgabe, 6. Band, Stuttgart und Berlin, Cotta, o. J. (1905, nehme ich an), Seite 1-186.

Zum Teil benützte ich auch die Ausgabe der Suhrkamp Basis Bibliothek.



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