Eindringlich gewarnt, hatte Madame Lagarde die Griechen vor dem Austritt aus der europäischen Währungsunion; dies hätte verheerende Folgen für alle. Eine vernünftige pro – europäische Wahl zu treffen und sich weiterhin einer strikten Haushaltskonsolidierung zu unterziehen; das ist die einzige Alternative vor dem entgültigen Zerfall. Diese Botschaft scheint sie zusammen mit den anderen Mahnern, wie z.B. Angelika Merkel, den Griechen vermitteln zu wollen.
Die leidgeprüften Durchschnitts Griechen indes wollen sich ganz egoistisch und uneuropäisch aus der Krise wählen. Sie haben sehr gelitten, und sind zu Unrecht durch einen ruinösen Sparzwang in die persönliche wirtschaftliche Armut getrieben worden; so sehen sie es. Die eigentlichen Verursacher, korrupte Industrielle, zockende Banker und Spekulanten, Lobby gesteuerte Politiker und sich bereichernde Beamte, blieben mit ihrer Verantwortung außen vor, und haben ihre Schäfchen in Sicherheit gebracht. Vom Ausland, besonders von den Deutschen, als faul, korrupt und maßlos über die Verhältnisse lebend tituliert, sieht sich die griechische Bevölkerung am Pranger und gleichzeitig weiterhin ausgenutzt und ausgeplündert. Europa fürchtet sich vor dem griechischen Leidensdruck, der nun zur unvernünftigen Wahl führen könnte.
Nachdem Spanien unter dem ESM Rettungsschirm geschlüpft ist, und wesentlich moderatere Sparkonditionen auferlegt bekommen hat, wuchs nun auch bei den Griechen die Hoffnung, die Bedingungen neu aushandeln zu können, um die unerträglichen Folgen des Sparzwanges wenigstens etwas abzumildern. Sollte sich Europa nicht darauf einlassen, würde man wohl, aus Notwehr und durch Selbsterhaltungstrieb, radikal gegensteuern, was bedeutet: raus aus dem Euro, Verweigerung des Schuldendienstes. Für Merkels Systemrelevante Banken eine Katastrophe, sie würden Profite einbüßen. Da bisher keine positiven Signale aus Brüssel oder Deutschland zu vernehmen waren, außer dem herkömmlichen Mantra des Sparen Müssens. Sogar der sozialistische französische Staatspräsident Hollande und der italienische Präsident Monti wünschten sich bei einem Treffen, dass Griechenland in der Eurozone bleiben mögen, aber auch bitte schön seine Hausaufgaben machen müsse. Also weiter totsparen. Solidarität ist keine Einbahnstrasse, erzählte am Morgen der beste Freund allen Geldes und guten Rotweins, Brüderle; und forderte die Griechen zu weiteren Reformen auf. Da die meisten bereits unter das Existenzminimum gefallen sind und auch nicht so recht zu erkennen ist, wo denn nun die europäische Solidarität gegenüber Griechenland abgeblieben ist, neigen viele Griechen dazu, die Empfehlungen als das zu nehmen, was sie nun mal sind: kernige Propagandasprüche, für die Banken und Konzerne, gegen die Bürger. Man fühlt sich für dumm verkauft.
So gesehen ist es nicht verwunderlich, wenn nun besonders die Jugend nach radikalen Wandel schreit und beginnt sich zu wehren. Der neue Popstar der Linken, der Parteichef von Syriza, Alexis Tsipras lässt sich bei einer Wahlkampfkundgebung bejubeln – ein Meer von roten Fahnen wogt vor ihm. Merkel und das Europa der Vergangenheit will er überwinden. Gerechtigkeit soll wieder einkehren. Tsipras sieht sein Linksbündnis schon als neue Volkspartei. Die früheren einst mächtigen Alt-Parteien Passok und Nea Demokratia sind ausrangiert, die jungen Wähler sind lieber radikal links, als konservativ oder sozialdemokratisch. Sie wollen nicht mit deren gescheiterten Konzepten in Europa untergehen, sondern etwas neues aufbauen, eine Alternative für die Menschen und deren Zukunft. Ja, der Wechsel liegt spürbar in der Luft.
Für die Konservativen ist diese Stimmung natürlich nicht gut. Da musste etwas geschehen. Und in der Tat: Seit gestern ist scheinbar vor allem der Chef der Nea Demokratia, Andonis Samaras, im Aufwind. Gleich mehrere Umfragen, von denen niemand so recht weiß, wer sie in Auftrag gegeben hat, sehen die Konservativen klar vorn bei der Wahl. Sowas auch, ein Schelm, der ob der wundersamen politischen Besinnung, böses denkt.
Dann die älteren Griechen. Was sind sie hin und her gerissen zwischen Altgewohnten und Korrupten und den neuen Erfordernissen. Wer spricht noch von Pasok? Der schwergewichtige Ex-Finanzminister und Passok-Chef Venizelos gilt für viele als Vertreter des alten Griechenland. Günstlingswirtschaft, träge Strukturen, wuchernde Bürokratie – all das, so ist es immer wieder zu hören, kann aber nicht eine Partei alleine überwinden. Griechenland brauche einfach eine Koalition aus konservativ und sozialdemokratisch, meint ein älterer Herr in der Altstadt von Athen. Einige Jungen schauen ihn verständnislos an und schütteln den Kopf. Griechenland. Bei der Wahl offenbart sich ein grundlegender Konflikt zwischen alten und neuen Strukturen, zwischen Reformern und Bewahrern, zwischen Geld und Mensch.
Es ist eine Schicksalwahl, das titeln die Medien in Dutschland ganz treffend
René Brandstädter – humanicum