Schenken wir den Patienten doch einfach reines Wasser ein
Es gibt Dinge, gegen die kann eigentlich, zumindestens öffentlich, nichts sagen:
die treuherzigen Augen kleiner Hunde
Ökonomisierung durch Privatisierung,
Qualitätsmanagement und
alles was mit Ökologie zu tun hat.
OK, gegen die Privatisierung im Gesundheitswesen wird hier laufend polemisiert (http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=53958 , http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=54026)
am Qualitätsmanagement ließ ich unter dem Titel “Im Wiener Gesundheitswesen sind Zertifizierungen wie Totenscheine” (http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=74818) auch kein gutes Haar, bleiben also noch die Hunde und die Ökologie.
Nun, Hunde mag ich einfach, da wird nichts zu machen sein und die Ökologie ist mir seit vielen Jahren ein persönliches Anliegen (auch wenn das Grüne Nationalratsabgeordnete nach meinen Bemerkungen über die Wiener Parkraumbewirtschaftung (http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=65272, http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=75443) nicht verstehen wollten.
Trotzdem oder gerade deswegen möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, auf die mich ein Tweet des Gesundheitsökonomen @EPichlbauer erinnert hat, in dem er sich darüber aufregte, dass der oberösterr. Krankenhausträger GESPAG ab sofort Fruchtsäfte und Sodawasser nur mehr Privatpatienten vorbehalten will (http://www.heute.at/news/oesterreich/ooe/art23653,809463).
Es ergab sich einst, dass der Wiener Gemeinderat u.a. den Wiener Krankenanstaltenverbund beauftragte in allen seinen Häusern ein Umweltmanagementsystem zu etablieren (5. November 1999, PrZ. 319/99-GUV, das “Klimaschutzprogramm Wien-KliP”)
und mit Prof. Bruno Klausbruckner ein Extrembergsteiger und Greenpeaceaktivist als Leiter des Umweltschutzes der Generaldirektion des Wiener Krankenanstalten Verbundes tätig war.
In allen KAV Häusern wurden rasch Umweltkoordinatoren rekrutiert, die (selbstverständlich zusätzlich zu ihrer bisherigen Arbeit) ein multiprofessionelles Umweltteam um sich versammelten.
Die ersten Zertifizierungen und Auszeichnungen wurden vom KAV werbewirksam verkündet:
Als erstes Wiener Spital wurde das Preyer´sche Kinderspital im August 1999 nach EMAS und ISO 14001 zertifiziert. Neben deutlichen Umweltentlastungen konnten durch das Umweltmanagementsystem beachtliche Kosteneinsparungen und zahlreiche Verbesserungen in der Kommunikation, Zusammenarbeit und bei den Arbeitsabläufen erzielt werden.
Dazu kommt eine hohe Werbewirksamkeit nach außen.
Seit Juni 2005 besitzt die Serviceeinheit Wäsche und Reinigung ein Integriertes Managementsystem (Umweltmanagementsystem nach EMAS und ISO 14001, Qualitätsmanagementsystem nach ISO 9001). Seit dem Jahr 2006 nehmen fast alle Spitäler und Pflegewohnhäuser des KAV im Rahmen des ÖkoBusinessPlan Wien am Ökoprofit Programm teil.
Seit Februar 2008 ist das Sozialmedizinische Zentrum Floridsdorf nach der Norm ISO 14001:2004 zertifiziert und nach EMAS validiert.
Seit 30. September 2008 ist das Sozialmedizinische Zentrum Baumgartner Höhe nach der Norm ISO 14001 zertifiziert und EMAS validiert.
http://www.wienkav.at/kav/umweltschutz/ZeigeText.asp?ID=6671
Später wird das Kontrollamt der Stadt Wien über die anlaufenden Aktivitäten eher resigniert vermerken:
Die Befassung mit den Maßnahmen zur Einführung von Umweltmanagementsystemen (UMS) in den Krankenanstalten der Teilunternehmung “Krankenanstalten der Stadt Wien” der Unternehmung “Wiener Krankenanstaltenverbund” (WKAV) ergab, dass im Jahr 2001 ein “Umweltentwicklungsplan für den Wiener Krankenanstaltenverbund” erstellt worden war. Dieser enthielt allerdings zu wenig konkrete Vorgaben für die Krankenanstalten, weshalb nicht unerhebliche Unterschiede in den einzelnen Krankenanstalten hinsichtlich der Fortschritte in Bezug auf die Etablierung von Umweltmanagementsystemen festzustellen waren. Für eine gezielte und erfolgreiche Umweltarbeit wäre auch die Schaffung entsprechender organisatorischer und personeller Rahmenbedingungen eine unumgängliche Voraussetzung.
2004 wurde der Ersatz von Mineralwasser durch Hochquellwasser (Leitungswasser) in die Zielvereinbarungen zwischen Generaldirektion und den einzelnen Häusern aufgenommen, aber nicht von allen Kollegialen Führungen unterzeichnet.
Zu diesem Zeitpunkt war das Mineralwasser im Spital bereits zu einer unabdingbaren Voraussetzung für die Genesung der Patienten geworden.
Der Verbrauch stand im übrigen in keiner Relation zu Bettenzahl, so dass der Zyniker mutmaßt, dass auch andere Personen ab und an einen herzhaften Schluck aus der Flasche taten.
Vielleicht ohnehin besser, als wenn die Kohlensäure das Zwerchfell der Bettlägrifen nach oben drückt und dieser mit einem Roemheld Syndrom (http://de.wikipedia.org/wiki/Roemheld-Syndrom) auf der Intensiv landet oder der mitunter hohe Natriumgehalt mancher Wässer die medikamentöse Blutdrucksenkung konterkariert.
Wir wollen gar nicht der Frage nachgehen, weshalb das in Wien das früher so hoch gelobte Hochquellwasser von unseren Esstischen verdrängt wurde, insbesondere von Tafelwasser, das qualitativ oft schlechter ist als das was aus Wiens Hähnen tropft, von wegen langen Transportwegen und Lagerung in Plastikgebinden….
Wer das Leitungswasser anderer europäischer Metropolen einmal probiert hat, versteht den Griff zu Perrier et al., aber in Wien macht das wenig Sinn.
Böse Zungen meinten auch, dass früher der Wiener Krankenanstaltenverbund den Verbrauch von Mineralwasser gar nicht so ungern gesehen hat, solange nahestehende Institutionen Aktionäre des Lieferanten waren …
Auch gab es vereinzelte Stimmen, dass es weniger um die Ökologie als um die nicht mehr bewältigbaren Warenströme (zuerst von Mehrwegflaschen später um die Entsorgung tausender Einwegflaschen) ging, egal.
Widmen wir uns den nachfolgenden Szenen, die das Kontrollamt nur ansatzweise erfasst hat:
3.2.2 Als Beispiel für die Umsetzung WKAV-weiter Umweltschutzaktivitäten hat das Kontrollamt das Projekt “Hochquellwasser an Stelle von Mineralwasser” einer näheren
Betrachtung unterzogen und dabei festgestellt, dass der Grad der Umsetzung desselben in den Anstalten sehr unterschiedlich war. Einzelne Krankenanstalten hatten Mineralwasser zur Gänze durch Leitungswasser ersetzt und boten Patienten nur in Einzelfällen Mineralwasser an. Andere führten zum Zeitpunkt der Einschau auf einzelnen Stationen Umstellungsversuche durch, während eine Krankenanstalt noch keine konkreten Umstellungsaktivitäten gesetzt hatte. Die vorgebrachten Argumente bei Verzögerungen in der Umsetzung waren vielfältig, wobei insbesondere hygienische Bedenken ins Treffen geführt wurden. So wurde es in einer Anstalt als Auflage des Hygieneteams für notwendig erachtet, Einhandmischarmaturen durch konventionelle Mischbatterien zu ersetzen, in einer anderen wurde an der Ausarbeitung eines Hygienestandards für die Reinigung der Wasserkrüge gearbeitet.
Die tägliche Reinigung der Wasserkrüge (nicht der Trinkgläser) hätte die Geschirrspüler in Dauerbetrieb versetzt, was einen großen Teil des ökologischen Gewinns der Aktion gefährdet hätte.
2008 hat z.B. das AKH eine eigene Hygienerichtlinie “Ausgabe von Leitungswasser für Trinkzwecke“ erarbeitet.
http://www.meduniwien.ac.at/orgs/fileadmin/krankenhaushygiene/HygMappe/Richtlinien/044_Leitungswasser_Trinkzwecke.pdf (Version 2010)
Externe Berater wurden engagiert, um
Wiener Wasser als DAS Businessgetränk hochzujubeln …
(http://wenigermist.natuerlichwien.at/uploads/2010/06/Endbericht_Wiener_Wasser_2004.pdf)
Manche Abteilungsleiter weigerten sich einen einzigen Schluck des Leitungswassers zu sich zu nehmen, da “das sicher aus der Donau stammen würde”, obwohl sie wenig Bedenken hatten, genau mit diesem Wasser ihren Kaffee zubereiten zu lassen.
Die Gefahr der Bleivergiftung durch Trinkwasser wurde ausführlich diskutiert, obwohl in Neubauten schon längst keine Bleirohre mehr verlegt werden und die Hauptrohre in ganz Wien schon längst “bleifrei” sind.
Die Pflegeleitungen boykottierten das Projekt mit dem Hinweis auf mögliche Revolutionen unter den Patienten auch dann noch, als dies auf den ersten Musterstationen ausgeblieben war.
NephrologInnen bestanden auf das tägliche Mineralwasser für ihre Patienten, da “diese sonst austrocknen würden”, auch wenn man sie auf das ungünstige Elektrolytprofil hinwies.
Engagierte Küchenleitungen boten eine Fülle von Säften und Tees als Ersatz an, was wiederum die Pflege im Namen der Stationsgehilfinnen boykottierte, da “das alles aus Zeitgründen niemand zubereiten könne”.
Mit Hinweis auf die Legionellengefahr in nicht regelmäßig mit heissem Wasser gespülten Leitungen wurden “Spülpläne“ hunderter Wasserhähne erstellt, was bei einmaliger Befolgung zu einer ziemlichen Dampfbelastung in manchen Räumen führte und anschliessend nicht mehr befolgt wurde
Selbstverständlich waren “Klassepatienten” ausgenommen, weil die in ihrem Vertrag – wie hier schon öfters erwähnt – einen Passus haben, dass ihnen zur täglichen (Kronen-)Zeitung ein Getränk nach Wahl zusteht.
Nach Monaten mit vielen Gesprächen, Foldern und Expertisen konnte in einigen Häusern eine massive Reduktion des Mineralwasserverbrauches erreicht werden, ohne dass es zu Patientprotesten oder ungeklärten Todesfällen kam.
Von 2003 auf 2004 jubelte man über: 117.000 € Einsparungen und träumte von 467.000 €, die eingespart werden könnten, wenn der gesamte KAV auf Leitungswasser umgestellt wäre.
http://www.wienkav.at/kav/gzw/texte_anzeigen.asp?id=5773
Aus der Verwaltung eines Hauses war aber nach einigen Monaten zu vernehmen, dass man den Patienten das Mineralwasser doch nicht vorenthalten kann und der Verbrauch stieg wieder.
Ob das etwas mit einem neuen Lieferantenvertrag zu tun hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Auf alle Fälle werden nun weiterhin viele Einwegflaschen in die Spitäler gebracht und von der MA 48 entsorgt.
Und ich mach mir nun einen Tee mit Wiener Hochquellwasser und lese, was sich die GESPAG so zur Frage “Welches Wasser WOLLEN wir unseren Mitarbeitern/Patienten anbieten?”
einfallen hat lassen: http://www.oegkv.at/fileadmin/docs/Hygienetage_2008/Palmisano_Wasser.pdf ….
Nur Laien glauben, dass alles eigentlich nichts mit den wahren Problemen im Spital zu tun hat.
Als die Berliner Charitè 2006 den Mineralwasserkonsum einschränkte, war das für die Berliner Morgenpost ebenso ein Thema, wie jetzt HEUTE über die GESPAG herzieht und prompt erklärte die Spitalsleitung, dass natürlich “Keinem Patienten die Flasche weggenommen wird“.
http://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article251236/Charite-rationiert-Mineralwasser.html
Und wenn Ihnen, als Laie wie ich annehme, das immer noch als Randproblem vorkommt, dann fragen Sie einmal Ihren Spitalsombudsmann,
welchen Anteil an den Gesamtbeschwerden über ein Krankenhaus der Bereich der Verpflegung einnimmt
Essen “zu kalt – zu heiß”, “zu viel – zu wenig”
Kaffee “zu stark – zu schwach”
Links:
Kontrollamtsbericht: http://www.kontrollamt.wien.at/berichte/2005/lang/3-07-KA-II-WKAV-1-5.pdf
Umweltschutz im KAV: http://www.wienkav.at/kav/umweltschutz/
Drei Liter Regel gegen Legionellen: http://www.dvgw.de/fileadmin/dvgw/wasser/gesundheit/1202gerhardy.pdf
http://www.dvgw.de/wasser/trinkwasser-und-gesundheit/legionellen/