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Notwehrhandlung
Die Notwehrhandlung, also die Abwehr eines Angriffes, darf sich nur gegen den Angreifer richten. Sie muss sowohl erforderlich, als auch geboten sein (sog. Grenzen der Notwehr).
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Erforderlichkeit
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Erforderlichkeit bedeutet, dass die Notwehrhandlung geeignet ist und das mildeste Mittel zur Abwehr darstellt.
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Geeignet ist eine Maßnahme dann, wenn sie den Angriff beendet oder wesentlich zur Beendigung beiträgt.
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Der Angegriffene muss stets das schonendste Mittel verweden. D.h. das mildeste gleichwirksame Mittel zur Abwehr des Angriffes.
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Gebotenheit
Geboten ist die Notwehrhandlung dann, wenn es sich dabei nicht um eine rechtsmissbräuchliche Ausübung des Notwehrrechts handelt. Siehe Fallgruppen unten.
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Erforderlichkeit
- Subjektives Rechtfertigungselement
Notwehr / Nothilfe
Notwehr liegt vor, wenn der Angegriffene einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff gegen seine eigenen Rechtsgüter abwehren will gem. § 32 Abs. 2, 1. Alt StGB. Möchte der Angegriffene (eher Verteidiger) Rechtsgüter von Dritten schützen, spricht man von Nothilfe gem. § 32 Abs. 2, 2. Alt. StGB. Dementsprechend spricht man auch von Nothilfelage und Nothilfehandlung anstatt Notwehrlage bzw. Notwehrhandlung.
I.2 - Gegenwärtig
Es darf sich bei der gegenwärtigen Gefahr nicht um eine Dauergefahr handeln (Unterschied zum rechtfertigenden Notstand gem. § 34 StGB).
Für die Gegenwärtigkeit eines Angriffes sind ausschließlich objektive Anhaltspunkte maßgeblich. Subjektive Vorstellungen des (vermeintlichen) Angegriffenen sind unerheblich.Handelt jemand auf Grund einer falschen Vorstellung einer Notwehrlage sind deren Maßnahmen zur Abwehr rechtswidrig (sog. Putativnotwehr).
I.3 - Rechtswidrig
Rechtfertigungsgründe schaffen Duldungspflichten. Ist der Angreifer seinerseits gerechtfertigt, z.B. selbst aus § 32 StGB, so muss der Angegriffene den Angriff hinnehmen (dulden). Duldungspflichten werden nur von Rechtfertigungsgründen geschaffen, nicht jedoch bei Entschuldigungsgründen.
Streitig jedenfalls dann, wenn der Angreifer sorgfaltsmäßig handelt, dennoch Rechtsgüter anderer Personen zu verletzen droht.
- Eine Meinung stellt auf den sog. Erfolgsunwert ab und bejaht die Rechtswidrigkeit.
- Eine andere Meinung stellt auf den sog. Handlungsunwert ab und verneint die Rechtswidrigkeit. In Betracht kommen dann Entschuldigungsgründe nach §§ 34, 35 StGB.
II.1 - Erforderlichkeit - mildestes Mittel
Eines der Grundsätze der Notwehr ist das sog. Rechtbewährungsprinzip: dasRecht braucht dem Unrecht nicht zu entweichen. D.h. der Angegriffene muss Mittel verwenden, die gleichzeitig die mildesten aber auch gleicheffektiven sind. Ist jedoch der Angegriffene sich über die Wirksamkeit seiner Verteidigungsmaßnahme unsicher, so muss er das Risiko eines Schadens gegen seine Rechtsgüter durch den Angreifer nicht hinnehmen.Als Argument wird vorgetragen, dass das originäre Aggressionspotenzial vom Angreifer ausgeht.
Problematisch wird es bei dem Gebrauch von Waffen, insbesondere Schusswaffen und Messer. Verteidungshandlungen, die zum Tot des Angreifers führen, müssen idR ultima ratio sein!Daher gilt zu dem Grundsatz der möglichsten Schonung des Angreifers das sog. 3-Stufen Modell:
Merken kann man sich das 3-Stufen Modell mit der Eselsbrücke „AST". Als Beispiele für die erste Stufe könnte beim Schusswaffengebrauch ein Warnschuss sein. Sollte dies keine Wirkung seitens des Angreifers zeigen, könnte für die zweite Stufe, also Schutzwehr, ein Schuss in ein nicht lebensbedrohliches Körperglied sein. Beispielsweise ein Schuss ins Bein. Als letzte Stufe kommt somit ein tödlicher Schuss in Betracht.
Unbedingt miteinbezogen müssen die Umstände der Angriffssituation. Rennt eine mit einem Messer bewaffnete Person auf eine andere Person zu mit den Worten „Ich steche dich jetzt ab Du Schwein", kann der Angegriffene direkt Trutzwehr einsetzen, angenommen ein Ausweichen und ein Schuss gegen das Bein nicht mehr möglich.Demnach richtet sich die Abwehrhandlung auch nach dem, was dem Angegriffenen in einer solchen konkreten Situation zugemutet werden kann.
Ist der Angegriffene durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt, so kann ggf. auch die Strafbarkeit des unerlaubten Führens einer Waffe gem. § 52 Abs. 1 Nr. 1 WaffG entfallen.
II.2 - Gebotenheit - Fallgruppen
- Bagatellangriffe
- Krasses Missverhältnis
- Enge persönliche Beziehung
- Angriff schuldloser
- Provokation
Bei 1) Bagatellangriffen und bei einem 2) krassen Missverhältnis ist idR keine Abwehr erlaubt, die die Grenze einer Körperverletzung übersteigt.
Übliches Beispiel ist der Hauseigentümer, der die Nachbarskinder, die immer über den Zaun steigen, um seine Kirschen zu klauen, mittels gezieltem Gewehrschuss verjagen will.
3) Einschränkungen der Notwehr kommen auch in Betracht bei Personen in engen persönlichen Beziehungen, insbesondere Ehegatten (Fallgruppe 3). Insofern steht das Recht zur Selbstverteidigung gegenüber der Beschützergarantenstellung (vgl. § 1353 Abs. 1 BGB). Nach diesem Gedanken müsste der Angegriffene sich an das 3-Stufen Modell (AST) halten. Eine andere Ansicht lehnt dies jedoch.
- Meinung 1: diese Meinung stellt auf das Beziehungsverhältnis ab: handelt es sich dabei um eine intakte Beziehung, so erfolgt keine Einschränkung des Notwehrrechts. Als Argumentation wird vorgetragen, dass sich angegriffene Ehepartner nicht angemessen Verteidigen können und somit ein Freibrief für Misshandlungen ausgestellt wird.
- Meinung 2: diese Meinung lehnt eine Einschränkung des Notwehrrechts, egal aus welchen Gründen, komplett ab mit dem Argument, dass das Gebot der Rücksichtsnahme als Beschützergarant mit dem rechtswidrigen Angriff endet.
4) Ein Angriff von schuldlos Handelnden, etwa solches, die dem Erlaubnistatbestandsirrtum unterliegen, können immer durch Schutzwehr abgewehrt werden, sofern ein Ausweichen nicht mehr möglich ist. Trutzwehr allerdings nur mit sehr großer Rücksichtsnahme auf den Grundsatz der möglichsten Schonung des Angreifers.
5) Die Fallgruppe Provokation wird in zwei Gruppen unterteilt:
- Absichtliche Provokation
- Fahrlässige Provokation
Jemand, der absichtlich eine andere Person provoziert, um unter dem Deckmantel der Notwehr eine andere Person verletzen will, handelt rechtsmissbräuchlich und kann sich nicht auf sein Recht zur Selbstverteidigung, also Notwehr gem. § 32 StGB, berufen.
Bei der fahrlässigen Provokation findet das 3-Stufen Modell Anwendung.Desweiteren wird vorausgesetzt, dass zwischen der fahrlässigen Provokation und dem daraus ergebenden Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht.
III. Subjektives Rechtfertigungselement - Verteidigungswille
Hergeleitet wird das subjektive Rechtfertigungselement aus dem Wortlaut aus § 32 Abs. 2 StGB: „[...], um einen gegenwärtigen [...]".
Problematisch ist, wenn der Angegriffene ohne Verteidigungswille gehandelt hat, die objektive Rechtfertigungslage vorliegt, die subjektive jedoch nicht.
- Meinung 1: Vollendungslösung
- Meinung 2: Versuchslösung
1) Bei der Vollendungslösung müssen sowohl die objektiven (Notwehrlage & Notwehrhandlung), als auch die subjektiven Rechtfertigungselemente (Verteidigungswille) vorliegen, um eine Rechtfertigung auszulösen. Fehlt der Verteidigungswille, ist nach dieser Ansicht die Notwehr nicht einschlägig und die Tat des Angegriffenen somit rechtswidrig.
2) Die Versuchslösung differenziert zwischen dem Erfolgs- und Handlungsunrecht. Demzufolge soll lediglich ein Versuch vorliegen. Als Begründung wird vorgetragen, dass objektiv die Tat gerechtfertigt sei und das Erfolgsunrecht dadurch entfallen ist. Es bleibt jedoch lediglich das Handlungsunrecht bestehen, welches der Konstellation des Versuches entspricht.
- Bei Vorsatzdelikten: Versuch, § 22 StGB
- Bei Fahrlässigkeitsdelikten: mangels Versuchsstrafbarkeit somit Straflosigkeit des Angegriffenen
Die objektive Rechtfertigung kompensiert den in der Erfüllung des objektiven Tatbestand liegenden Erfolgsunwert. Die subjektive Rechtfertigung kompensiert den Handlungsunwert.
Nach der Veruchslösung käme keine Strafbarkeit wegen Vollendung in Betracht, sondern wegen Versuches.
1 - Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 43. Auflage 2013, § 8, Rn. 325.
2 - Wessels/Beulke/Satzger,(Fn. 1), § 8, Rn. 328.
3 - Wessels/Beulke/Satzger,(Fn. 1), § 8, Rn. 331.
4 - Wessels/Beulke/Satzger,(Fn. 1), § 8, Rn. 332.
5 - BGHSt 5, 245, 248.
6 - Wessels/Beulke/Satzger,(Fn. 1), § 8, Rn. 333.
7 - Wessels/Beulke/Satzger,(Fn. 1), § 8, Rn. 335.
8 - Supra.
9 - Supra.
10 - BGHSt 39, 374, 378.
11 - Wessels/Beulke/Satzger,(Fn. 1), § 8, Rn. 350a.
12 - NJW 92, 850.
13 - Wessels/Beulke/Satzger, (Fn. 1), § 8, Rn. 351; Vgl Putativgefahr im Polizei- und Ordnungsrecht, bei der ein Beamter subjektiv von falschen Umständen ausgeht und glaubt, eine Gefahr liege vor, obwohl tatsächlich keine Gefahr vorliegt.
14 - Wessels/Beulke/Satzger,(Fn. 1), § 8, Rn. 324a; BGHSt 48, 207, 212.
15 - Wessels/Beulke/Satzger, (Fn. 1), § 8, Rn. 339; Vgl vim vi repellere licet.
16 - BGHSt NStZ 09, 626.
17 - Joecks, Strafgesetzbuch: Studienkommentar, 11. Auflage 2014, § 32, Rn. 13 ff.
18 - BGH NStZ 06, 152.
19 - BGHSt 27, 336, 337; BGH StV 13, 503.
20 - BGH NStZ 12, 272 (Hells Angels Fall).
21 - BGH NStZ 11, 82 m. Anm. Hecker, JuS 11, 272 u. Kretschmer, Jura 12, 189; BGH StV 12, 338.
22 - Wessels/Beulke/Satzger,(Fn. 1), § 8, Rn. 343.
23 - Wessels/Beulke/Satzger,(Fn. 1), § 8, Rn. 345.
24 - Supra.
25 - BGHSt 3, 217; Wessels/Beulke/Satzger,(Fn. 1), § 8, Rn. 344.
26 - BGHSt 48, 207; BGH StV 11, 588; Wessels/Beulke/Satzger(Fn. 1), § 8, Rn. 347.
27 - Wessels/Beulke/Satzger,(Fn. 1), § 8, Rn. 348.