Scheinselbstständigkeit und Haftung des Arbeitgebers für nicht gezahlte Sozialversicherungsabgaben

Erstellt am 5. Dezember 2011 von Raberlin

In der Praxis kommt die Scheinselbstständigkeit häufig vor. Dies gilt vor allem im Baubereich. Auf dem Bau arbeiten vor allem Personen aus Osteuropa, die genaugenommen Arbeitnehmer und nicht selbst ständig sind. Über die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmer und freien Mitarbeiter/Selbstständigen hatte ich ja bereits berichtet.

Die Frage ist nun welche Konsequenzen ist für den Arbeitgeber hat, wenn sich zum Beispiel über eine Klage des Arbeitnehmers oder über ein sozialversicherungsrechtliches Statusverfahren herausstellt, dass der „freie Mitarbeiter“ in Wirklichkeit als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist.

Konsequenzen für den Arbeitgeber bei Scheinselbstständigkeit

Neben strafrechtlichen und zivilrechtlichen Konsequenzen ist die Rechtsfolge für den Arbeitgeber vor allem im Hinblick auf  Sozialversicherungsbeiträge meistens existenzgefährdend. Dies gilt vor allem deshalb, da der Arbeitgeber grundsätzlich für die gesamten Sozialversicherungsbeiträge seit Beginn des Vertragsverhältnisses im vollen Umfang haftet (§ 28 e SGB IV). Eine Ausnahme kann bei rechtzeitigem Antrag im Statusverfahren gelten. Dies kommt in der Praxis allerdings selten vor. Insbesondere haftet der Arbeitgeber auch gemäß § 42 d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes für die gesamte Lohnsteuer.

Der Arbeitgeber muss weiter den Vorsteuerabzug aus der Umsatzsteuer des Auftragnehmers dem Finanzamt zurückerstatten

Verjährung?

Die Verjährung der Ansprüche auf Sozialversicherungsbeiträge beträgt grundsätzlich vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Zu beachten ist allerdings, dass in vielen Fällen Vorsatz seitens des Arbeitgebers vorliegen dürfte und in diesem Fall beträgt die Verjährung 30 Jahre.

Erstattungsanspruch gegen den Arbeitnehmer?

Ein Rückgriffsanspruch auf den Arbeitnehmer besteht grundsätzlich nach dem Gesetz schon, allerdings ist dieser kaum durchsetzbar. Nach § 28 g SGB IV kann der Anspruch nur durch Abzug von Arbeitsentgelt bei den nächsten 3 Gehaltszahlungen geltend gemacht werden. Weiter ist zu bedenken, dass zum Beispiel bei Ansprüchen des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer gemäß § 670 BGB (z.B. bei nachträgliche  Zahlung der Lohnsteuer auch für den Arbeitnehmer) ein Erstattungsanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer in der Praxis meistens nicht durchsetzbar ist. Dies ist deshalb so, da häufig arbeitsvertragliche beziehungsweise tarifvertragliche Ausschlussfristen gelten, die dann den Anspruch des Arbeitgebers ausschließen (z.B. im BRTV-Bau - § 15).

Schadenersatzanspruch gegen den Arbeitnehmer bei Falschangaben

Darüber hinaus  kommt ein Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer nur unter den Voraussetzungen des § 826 BGB in Betracht, wenn zum Beispiel der Arbeitnehmer vorsätzlich falsche Angaben gegenüber dem Arbeitgeber gemacht hat. Solche Fälle kommen der Praxis selten vor.

Rückforderungsansprüche bei höherer Zahlung an Arbeitnehmer?

Häufig ist es der Praxis so, dass der Arbeitgeber dem Scheinselbstständigen zuvor eine Vergütung gezahlt hat, die in der Regel höher ist als die Arbeitsvergütung (Lohn). Die Differenz zwischen dem Arbeitslohn und dieser Vergütung kann der Arbeitgeber grundsätzlich nicht mehr zurückfordern (BAG in NZA 1987,16). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn unterschiedliche Vergütungsordnung für Arbeitnehmer und freie Mitarbeiter bestehen. Dies ist in der Praxis sehr selten.

Festzuhalten bleibt, dass für den Arbeitgeber die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Scheinselbstständige zunächst lohnend erscheint, dass allerdings bei einer Klage des Arbeitnehmers beziehungsweise einem Statusverfahren, welches der Arbeitnehmer unproblematisch einleiten kann, sich erhebliche finanzielle Belastungen für den Arbeitgeber ergeben können.

Anwalt Martin