Scharlatane im Vollzug • Demagogen auf Sendung

Berlin003

Deutschlands Demokratie der verschwommenen Begrifflichkeiten – Foto: © politropolis.de

Die Diffusion der Begrifflichkeiten zwingt dazu, weiter auszuholen und auf die theoretischen Grundlagen der parlamentarischen Demokratie zurück zu greifen. Im Gegensatz zur direkten oder Rätedemokratie gehört es zum Wesen der parlamentarischen, dass in freien, gleichen und geheimen Wahlen das Volk bestimmte Kandidatinnen und Kandidaten mit einem Mandat ausstattet. Dieses Mandat berechtigt dazu, die wählenden Bürger formal und nach Auftragsinhalt zu vertreten. Zwar sieht die deutsche Version des Parlamentarismus noch so etwas vor wie das Gewissen, gespeist aus den despotischen Imperativen des Dritten Reiches, aber die Delegation des Volkswillens gilt dennoch.

Nun, in der Ära des Post-Heroismus und der Glorifizierung des individuellen Glücks, unterliegt dieser Demokratiebegriff einer Revision.
Der wortführende Mainstream manifestiert sich in erster Linie in den öffentlich-rechtlichen Medien, deren Finanzierung über ein Staatsmonopol garantiert ist. Ausgerechnet die Verfassung des Staates, der ihre Existenz sichert, wird von ihnen dahingehend konterkariert, dass sie Sinn und Legitimation der politischen Delegation infrage stellen. Da die politischen Mandatsträger in den letzten Jahrzehnten zunehmend durch die Bezweiflung ihrer Legitimität und Kompetenz verunsichert wurden, geben sie tendenziell dem Wunsch nach demokratischer Erosion nach. Diese verläuft nicht direkt, d.h. das formale System der Demokratie wird nicht kritisiert, sondern die Ausführung der politischen Entscheidungen. Diese Taktik ist subversiver als offene Sabotage und Bomben.

Zu einem politischen Mandat zählt nicht nur das Recht auf eine Entscheidung, was politisch umgesetzt werden soll, sondern auch auf das Wie. Die Bewertung der Qualität der Wahrnehmung des politischen Mandats bezieht sich auf beides und wird in den nächsten Wahlen vorgenommen. Durch die zunehmende Beeinflussung der Ausführung, d.h. des operativen Geschäftes der Regierungsführung ist der Dilettantismus zu einem festen Bestandteil des politischen Systems avanciert.

Das, was als Basisdemokratie vom Tenor der opportunistischen Weltanschauung gepriesen wird, führt zum einen zu einer Explosion des bürokratischen Apparates, d.h. unzählige und aufgeblähte Gremien der Partizipation schießen wie die Atompilze aus dem Boden, sie repräsentieren vor allem die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft und zeichnen sich dadurch aus, dass im besten Falle der Minimalkonsens zum Tragen kommt, was in der Regel Dekonturierung und Mediokrität zur Folge hat. Zum anderen revidieren sie den durch Wahlen manifestierten Willen von Mehrheiten, indem Nischenaspekte in der Realisierung in den Mittelpunkt geraten. Neben dem Verlust an Kontur leidet das ganze Verfahren noch an einer chronischen Verzögerung. Der Todesstoß für die parlamentarische Demokratie liegt in der Demokratisierung der Detailausführung.

Wer dem durch eigene Beobachtung nicht zustimmen kann, der sehe sich noch einmal die vom Oberdemagogen Geisler inszenierten Livestream-Befragungen und – Debatten anlässlich des Projektes Stuttgart 21 an, auf der Rentner und Hausfrauen aus der schwäbischen Provinz mit Ingenieuren über die Beschaffenheit und Kopfgrösse von Mineralbohrern stritten oder man vergegenwärtige sich einige der Brutalo-Brainwash-Happenings während des letzten Bundestagswahlkampfes im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, als Menschen ohne Ausbildung und Beruf in der Lage waren, Vertretern der deutschen Energiewirtschaft zu erklären, dass die bestehenden Stromnetze durch Atomstrom verseucht seien. Das klingt zwar als Reminiszenz ganz amüsant und dokumentiert die Chuzpe derer, die in diesem Lande Meinung machen, ist aber mehr als eine nur kulturell zu verortende Krise, sondern bereits ein sicheres Indiz für die rasende Auflösung des bestehenden politischen Systems respektive für das Einstürzen seiner letzten Residuen. Wir brauchen keine Scharlatane im Vollzug und keine Demagogen, die das als Demokratie verkaufen. Vielmehr sollten wir darüber ernsthaft nachdenken, was mit den ca. acht Milliarden Euro Notwendiges gestaltet werden könnte, die gegenwärtig für die ideologischen Quacksalbereien der öffentlich-rechtlichen Medien jährlich verbrannt werden.

von Gerhard Mersmann

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Quellen – weiterführende Links

Foto: politropolis.de (H.U.S.)
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