© Gerd Altmann / pixelio.de
Am 16.06.2010 hat das Sozialgericht Rostock unter dem Az. S 1 KR 7/07 sein Urteil gegen die Barmer GEK verkündet, und seit 17.11.2010 liegt es nun schriftlich vor: die Mühlen der Sozialgerichtsbarkeit mahlen langsam, aber gründlich, und (nicht nur) in diesem Fall günstig für die Leistungserbringer:
In dieser Entscheidung kam das Sozialgericht zu dem Ergebnis, dass die Krankenkasse in der „Schaleneinlagen-Affäre“ keine Aufrechnungen mit laufenden Forderungen durchführen durfte, weil sie nicht ansatzweise die behaupteten Falschabrechnungen des Leistungserbringers nachgewiesen hatte.
Und so geht – zumindest erstinstanzlich, denn bei der Barmer GEK weiss man nie, ob sie das Verfahren nicht noch in die nächste Instanz treibt – jetzt auch juristisch dieser Streit um Schaleneinlagen zu Ende, der die Orthopädie- und Orthopädieschuhbetriebe über einen langen Zeitrum in Atem gehalten hat.
Schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hatte das Gericht in der ersten Instanz zu Gunsten des Leistungserbringers geurteilt, doch sah sich die Barmer GEK erst nach massivem Druck durch das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern bemüssigt, dass rechtswidrge einbehaltene Geld in Höhe von mehreren 10.000,00 EUR auszuzahlen – und schon in diesem Verfahren waren einige Rechtsgrundsätze der Krankenkasse ins Gewissen geschrieben worden, die durchaus Schule machen sollten (Klick).
Jetzt stellt das Sozialgericht Rostock erstinstanzlich in Hauptsache fest (und zwar nicht nur aus dem Gesichtspunkt der Verjährung, wie in den hier beschriebenen Verfahren), dass für die Krankenkasse eine Aufrechnungslage gem. 387 BGB nicht bestanden habe.
Die Barmer GEK trage nämlich wie jeder, der sich einer Forderung berühme, die volle Darlegungs- und Beweislast für ihren Anspruch. Die Krankenkasse habe jedoch lediglich Verordnungen und Abrechnungen benannt, die sie für unzutreffend halte, sie habe aber nicht ansatzweise dargelegt, warum diese Abrechnungen fehlerhaft seien oder warum es sich um fehlerhafte Leistungen gehandelt habe. Sie sei dazu aufgerufen, dies substantiiert darzulegen, und zwar durch Vortrag zu jeder einzelnen Abrechnung unter Einbeziehung der medizinischen Indikation der Verordnung und Vorlage eines Belegs der Falschabrechnung.
Tatsächlich seien sämtliche Leistungen offenbar mangelfrei erbracht und sodann abgenommen und vergütet worden.
Das Gericht wies ergänzend darauf hin, dass der zum damaligen Zeitpunkt in Mecklenburg-Vorpommern geltende Vertrag überhaupt keine Rückforderungen vorsehe. Deswegen könne sich die Krankenkasse nur auf §280 BGB iVm. §69 SGB V stützen, und dazu müsse sie jede einzelne Pflichtverletzung des Leistungserbringers nachweisen, die dieser auch zu vertreten habe. Der Leistungserbringer habe aber das abgerechnet, was er geliefert habe, und zwar mangelfrei; und seine Leistungen seien eben auch ohne Beanstandungen abgenommen und vergütet worden.
Besonders wichtig dürfte sein, dass das Sozialgericht Rostock noch einmal bestätigte, dass der Leistungserbringer sich auf die ärztliche Verordnung verlassen dürfe. Leistet er aufgrund einer solchen, dann fehle es in jedem Fall am Verschulden, nicht zuletzt deswegen, weil der Vertrag zwischen der Barmer GEK und den Leistungserbringern eine solche ärztliche Verordnung vorsehe.
Das Gericht sah keinerlei Recht und Pflicht des Leistungserbringers, die ärztliche Verordnung zu überprüfen, denn die Vertragsärzte seien für die Verordnung der Hilfsmittel zuständig und trügen dafür die Verantwortung.
Soweit die Krankenkasse Genehmigungsfreigrenzen vereinbart hätte, müssten sie für zeitnahe Kontrollen sorgen, versäumten sie diese, falle dies in ihr Risiko; eine Rechtsgrundlage für spätere Prüfungen seien nicht ersichtlich.
Auch stellte das Sozialgericht Rostock noch einmal ausdrücklich klar, dass die Krankenkassen keinen Anspruch auf sogenannte „Verwaltungspauschalen“ haben.
Man kann also Folgendes zusammenfassen:
- Eine Krankenkasse hat bei einer Rückforderung aufgrund angeblicher Falschabrechnung jeden einzelnen Fall vollständig und lückenlos nachzuweisen, sie trifft die volle Darlegungs- und Beweislast.
- Die Krankenkasse hat dabei für eine zeitnahe Prüfung aller Abrechnungen zu sorgen, und zwar insbesondere für solche im Rahmen der Genehmigungsfreigrenzen.
- Der Leistungserbringer darf sich auf die ärztliche Verordnung verlassen und hat weder das Recht noch die Pflicht, diese zu überprüfen, denn der Arzt ist für die Verordnung zuständig und trägt dafür die Verantwortung.
- Für das Verlangen von sogenannten „Verwaltungspauschalen“ besteht keine Rechtsgrundlage.
Es bleibt zu hoffen, dass sich in Zukunft die Krankenkassen (die Rechtskraft der Entscheidung vorausgesetzt) an diese Grundsätze halten und es deswegen diese unseligen Rückforderungsverfahren mit teilweise abstrus hohen und häufig sogar pauschalierten Schadensersatzforderungen nicht mehr gibt. Sollten allerdings Kassen trotzdem wieder in ähnlicher Weise gegen Leistungserbringer vorgehen, sollten sich die Betroffenen dagegen zur Wehr setzen, denn ihnen steht das Recht zur Seite.
Natürlich sollen falsche Abrechnungen auch in Zukunft geahndet werden, aber eben nur dann, wenn sie auch tatsächlich im Einzelnen dargelegt und nachgewiesen sind; der Pauschalvorwurf der Falschabrechnung gegen Leistungserbringer, der teilweise sogar von eigenen Interessenvertreterinnen und -vertretern unterstützt wurde, muss der Vergangenheit angehören.