Tony Montanas bizarrer Kampf gegen sich selbst, und gegen die Welt, die er sich gefügig zu machen versucht, bis zum Anschlag, bis zum Verderben, bis zum Sturz in den Pool. Al Pacino spielt Tony Montana ambivalent zwischen verstörend-unheimlich und fürsorgend-besessen, personifiziert einen explodierfreudigen Vulkan und einen angriffslustigen Tiger ("Antonio Montana!") auf Ego komm' raus in Narzissmus und Egomanie, und stets mit ein bisschen Irrsinn und Wahnsinn in den Augen, indem er all diejenigen beschimpft ("Kackvögel!"), die Leute wie ihn als fingerzeigenden Bösewicht brauchen, damit das System so funktioniert wie es funktioniert, ohne aus der Sicht Montanas zu wissen, dass Berge an Drogen, Stapel an Geld und Unendlichkeit an Macht am Thron menschlicher Selbstzerstörung sägen.
Am Ende wird Montana demontiert, sein letztes Aufbäumen zur Unsterblichkeit von Kugeln durchlöchert; Montana sollte schießen, Montana nahm das Angebot an und stürzte vom amerikanischen Traum, der sich schlagartig ausgeträumt hat, zum amerikanischen Alptraum; Höhepunkt einer tragischen Figur, die De Palma nicht heroisiert, sondern auf Distanz hält, um sie mit all den Schattenseiten des Geschäfts zu konfrontieren. Abgesang auf einen Gangsterfilm in Neon. Diese Szene hat immer noch etwas Universelles, Gewaltiges, etwas Kraftvolles, sie überrumpelt. Elegant vor allem das Miami der 80er, exotisches Hawaiihemdenflair, fast eine Karikatur jener fatalistischen Umgebung, wo sich Nadelstreifengangster in schwarzen Anzügen in Hinterhöfen treffen. De Palma schüttelt alle Asse aus dem Ärmel, indem er seinen Ruf als vernarrter Kamera-Fetischist zementiert – überbordende Plansequenzen (die Kamera kreist in der Eingangssequenz schier sekundenlang um Montanas Gesicht), insbesondere dann, wenn der Regisseur mit der Suggestion experimentiert.
So schwebt die Kamera (John A. Alonzo) in der berühmt-berüchtigten "Kettensägen-Szene" kurz vorm entscheidenden Moment einfach durchs mit Jalousien verrammelte Fenster, um kurz darauf, also ungeschnitten im selben Take, einfach wieder zurück zu schweben. Die Pointe: Blutspritzer sind zu sehen, nur Blutspritzer, alles andere fungiert ausschließlich als merklich grauenerregendere Imagination dessen. Unabhängig davon gefallen der überkandidelte Dekor grotesk verschwenderischer Genusssucht sowie die schmissigen Kulissenstücke beträchtlich. Der Film versammelt einige nuancierte Nebenrollen. Michelle Pfeiffer überzeugt als verruchtes wie reizvolles Flittchen (sexy!), Mary Elizabeth Mastrantonio als Tonys glücklose Schwester (samt offensiv angedeutetem Inzest), Robert Loggia als Schampus saufender Mafiastratege und F. Murray Abraham als dessen schmieriger Handlanger.
Diametral all jener popkulturellen Errungenschaften, die "Scarface" meist zu Recht Kultstatus verliehen, brilliert weder der Soundtrack (seine honigsüße Seifigkeit nervt gehörig, als dass sie die Szenerie verdichtet), noch ist Pacinos heimlicher Choleriker stets mit Wohlwollen zu ertragen. Das Erfinden, Erlernen und Brüllen absonderlicher Vulgarismen neigt bei der Figur des Tony Montana mal da und mal dort zur gestelzten Affektiertheit, umso länger der Film zur Tragödie voranschreitet. Ein weiteres Problem: Oliver Stones Drehbuch ist unheimlich geschwätzig, dessen Verquasseltheit sich besonders im Mittelteil, dem im Verhältnis zum deutlich zu kurz kommenden Aufstieg deutlich zu lang durchexerzierten wirtschaftlichen Erfolg Tony Montanas vom im wahrsten Sinne des Wortes verarmten Tellerwäscher bemerkbar macht, sobald die Handlung in unendlichen Dialogsequenzen auf der Stelle tritt, Klischees nachplappert, aber nicht so recht vorankommt. Die inszenatorische Verspieltheit De Palmas wird hauptsächlich in diesen Durststrecken nie ganz hochgefahren. "Scarface" ist nichtsdestotrotz ein guter, wuchtiger Film, dem allerdings nicht das zusteht, was ihm viele hosenruntergezogene Halbwüchsige nachzusagen liebäugeln.
6 | 10