Nonchalant lehnt sich der geschätzt 70-jährige Galan mit seinem behaarten Unterarm an den Tresen und zwinkert mir von der Seite entgegen. Sein in trendigem senfgelb gehaltenem Corega-Tabs-Lächeln folgt ein mit Zeigefinger und Daumen visualisierter, auf mich abgefeuerter Revolver, als er mir, gepaart mit dem schlimmsten Mundgulli, mit dem ich es je zu tun hatte, freundlich, aber aufdringlich ein Gespräch aufzwingt.
Augenblicklich überfährt mich eine zentimeterdicke Ganzkörper-Erpelpelle, die sich unangenehm in meinem Nacken zu einem Mezzoforte kräuselt. Die Tatsache, dass ich dem streng riechenden Herren lediglich in Saunabekleidung gegenüber stehe, begünstigt dieses Szenario extrem.
Sein für diese Saison gewähltes Bein-Hand-Bauch-Gesichts- und Schamhaarkleid scheint ihm bei diesen Worten aus den Ohren zu wachsen: “Wer wird denn da angebetet?” Arthritisch zeigt er mit seinem knorpeligen Zeigefinger auf mein vor mir aufgeschlagenes Buch und versucht ungeschickt über diese Ebene ein Gespräch vom Zaun zu brechen.
Freundlich, aber in eindeutiger Stinktierpose lächle ich zurück: “Tatsächlich ist die Literatur hochwertiger, als der Titel zu versprechen vermag.” Offenkundig scheine ich ihn mit meinen ruhig ausgesprochenen elf Worten genau elf mal überfordert zu haben. Allem Anschein nach endeten seine Konversationen mit Frauen folglich genau nach seiner erstplatzierten Frage.
Ungläubig wischt er sich den, im dezent unterstützenden Karamellbraun gehaltenen, Schlaf aus den Augen. “Ja, nee, isch mein ja nur. Weil se da jrad lesen, nä? Macht man ja in der Sauna eijentlich nisch.”
Verwundert sehe ich mich an diesem Donnerstag in der von ausschließlich von Rentnern frequentierten Saunagastronomie um und sehe ohne Ausnahme alle lesen. Irgendwie niedlich angefixt davon, dass der freundliche Herr gar nicht zu schnallen scheint, dass ich mit meiner Frisur noch androgyner wirke, merke ich, dass er diese Tatsache wohlweißlich missachtet und sie per se ignoriert, gefällt mir die Idee von einem Flirt mit einem älteren Herren. Ein kurzer Blick in den Spiegel bestätigt mir: mit einem derart kurzen Undercut, der nach den ersten zwei Saunagängen aussieht wie Balou, der Bär, um die Samenstränge, hat er mich eindeutig nicht als lesbisch, sondern lediglich als unvorteilhaft behaarhauptet einkategorisiert.
Flirty gebe ich zurück: “Eigentlich warte ich, wenn ich ehrlich bin, schon die ganze Zeit darauf, dass Sie mich ansprechen.” Bong. Proll-Paul, wie ich ihn bereits zärtlich für mich abgespeichert habe, schickt ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Anmache nach 70 Jahren auf dieser Erde tatsächlich mal gefruchtet haben soll.
“Vorsicht, Daniela, den leichten satirischen Querverweis scheint er nicht verstanden zu haben. Rudere…ZURÜCK.” Zu spät. Proll-Paul platziert seine kokett um die Kniekehlen baumelnden Hoden erfreut in meine Richtung. “Na, hätt isch dat jewusst!” und grinst mich mit dem beknacktesten Marlboro-Lächeln der Welt an.
Sachte wage ich mich zurück und beziehe Stellung: “Tatsächlich geht es in dem Thriller von Jeffrey Deaver um einen Stalker, der die Grenzen bei seinem Gegenüber nicht einhält und Grenzen überschreitet.” Zu subtil. Paule baumelt näher.
“Aha, ne Stoooohker, wa?” Hört hier noch jemand außer mir das Getriebe knirschen?!?
“Ja, dat is immer so ne Sache mit die Stooooohker.” Langsam raschelts bei mir, dass er das Wort “Stalker” meint.
Deeskalierend zwinkere ich ihm ein schnelles “Genau!” entgegen. Ein weiterer kurzer Blick in den Spiegel zeigt deutlich, dass Paule eine eindeutige Sehschwäche inne haben muss, denn selbst für mich sieht die 80-jährige Oma am Nebentisch wie Gisele Bündchen im Vergleich zu Daniel Küblböck aus.
Ich verschwinde nach Entsorgen des Geschirrs in meine heißgeliebte Eukalyptus-Sauna. Man riecht danach immer wie ein Koala-Bär. Lecker.
Mist.
Langsam sehe ich Sauna-Sepp mit seinem Kumpel Proll-Paul heranschleichen. Beide unterscheidet lediglich die verschieden große kahle Fläche auf dem Kopf. Die Haare, die ihnen dort ausgefallen waren, bewuchsen nun zu Milliarden den Rest ihrer gestählten Astra(EXTRA KEIN L)-Körper. Sie scheinen in eine hitzige Diskussion verwickelt. Blöderweise tun sie das genau auf dem Weg in MEINE Sauna. Grrrrrr.
Die Tür geht auf und mit dem erfrischenden Westwind weht auch ihre markante Note aus einem Fußpuder- und Achselschweißgeruch mit in die gute Stube.
Vorsichtig setzt sich Proll-Paul neben mich – innerlich schreibe ich mir mit dreißig Textmarkerfarben ins MindMap, das Handtuch hinterher zu verbrennen!!! – als er sich verschwörerisch zu mir herüber beugt.
“Sachen se mal, junges Fräulein.” Süß, mir geht das Herz auf.
“Wat is eijentlich ne Stooooooohker?”
Mist. Meine Illusion zerplatzt. Es reicht nicht einmal mehr um Proll-Paul zu becircen. Aber irgendwie auch süß…