Sauerteig konservieren – ein Experiment mit erstaunlichem Ausgang

Sauerteig konservieren 1

    In einer Zeit, in der Smartphones auf eine Lebenszeit von maximal drei Jahren ausgelegt sind und sich die Zyklen, in denen neue Modelle von egal was auf den Markt kommen, immer weiter verkürzen, erscheint mir Sauerteig der perfekte Gegenentwurf zum westlichen Konsum-Irrsinn: kein Marketing, keine Zusatzstoffe, kein Blendwerk. Man kann Sauerteig nicht Prozess-optimieren und nicht auf Effizienz trimmen. Sauerteig steht einfach nur für bodenständiges, nahezu archaisches Handwerk.

    Wie stark dieses Konzept die Menschen anspricht, ist mir zum ersten Mal klar geworden, als ein Freund in größerer Runde erzählte, dass der Familien-Sauerteig älter ist als er selber – damals immerhin schon über 50 Jahre. Selten habe ich in einer Gruppe von Menschen so viele leuchtende Augen auf einem Haufen gesehen.

    Sauerteig bedeutet in diesem Zusammenhang aber auch Verantwortung, denn man muss sich kümmern. Sauerteig will gehegt und gepflegt werden. Ähnlich wie bei Pflanzen zeigen sich eindeutige Parallelen zu menschlichen Beziehungen: wenn man aufmerksam ist und sich kümmert, stehen die Chancen, das alles gut wird, ziemlich gut. Lässt man die Dinge dagegen schleifen, geht früher oder später alles in die Grütze…

    Zum Experiment…

    Ich stand dieses Jahr vor der erfreulichen Herausforderung, durch einen langen Sommerurlaub und anschließende, nicht unbedingt unangenehme Verpflichtungen, acht Wochen abwesend von zuhause zu sein. Es galt demnach, den Sauerteig so zu versorgen, dass er zwei Monate ohne Hege und Pflege überleben würde. Ich habe mich zur Konservierung für die folgenden zwei Varianten, Verkrümeln und Trocknen, entschieden. Auf das ebenfalls mögliche Einfrieren habe ich aufgrund wenig vielversprechender Kommentierungen im Internet verzichtet. Die dritte Variante, das schlichte Parken des verbliebenen ASG im Kühlschrank, war ursprünglich nicht eingeplant, stellte sich aber als echter Glücksfall heraus.

    Die Varianten:

    1.) Verkrümeln: Man nimmt einen großzügigen Löffel ASG und rührt so viel Mehl unter, bis – wie der Name schon sagt – “Krümel” entstehen. Diese werden in einem Glas im Kühlschrank gelagert. Fürs Revitalisieren wird das getrocknete Anstellgut mit etwas Wasser gemischt. Nach 8 Stunden kann das ASG wie gewohnt weiter verwendet werden.

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    Verkrümelter Sauerteig

    2.) Trocknen: Man streicht das ASG dünn auf Backpapier und lässt es zwischen 24 und 48 Stunden bei Zimmertemperatur trocknen. Danach bricht man es in Stücke und lagert es dunkel, luftdicht und kühl. Auch hier wird fürs Revitalisieren das getrocknete ASG mit etwas Wasser gemischt. Die Wartezeit ist jedoch kürzer. Nach nur 4 Stunden kann man weitermachen.

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    3.) Einfach im Kühlschrank vergessen: Ursprünglich war diese Variante nicht vorgesehen :-). Ich hatte das restliche ASG nur deshalb im Kühlschrank gelassen, weil ich es nicht entsorgen wollte. Acht Wochen später habe ich das alte ASG erst zu dem Zeitpunkt in Betracht gezogen, als sich bei den beiden konservierten Varianten zunächst so gar nichts entwickeln wollte. Das ASG war relativ fest geführt (gut!) und stand im obersten, also wärmsten Fach im Kühlschranks (schlecht!).

    Ergebnis:

    1.) & 2.) – Verkrümeln und Trocknen

    Ich fasse die Beschreibung von 1.) und 2.) zusammen, denn beide Sauerteige haben sich exakt gleich verhalten.

    Erster Eindruck: Beide ASGs riechen nach dem Mischen mit Wasser exakt gleich: nach Schwarzbrot bzw. Pumpernickel. Dieser Geruch wird sich auch in den folgenden Tagen kaum ändern. Der übliche sauer-fruchtige Sauerteig-Duft ist nicht wahrzunehmen.

    Nach dem Mischen mit Wasser: Bei beiden Varianten tut sich nach der beschriebenen Zeit von 4 bzw. 8 Stunden nichts. Keine Bläschen, keine Volumenzunahme, keine Geruchsveränderung – überhaupt nichts. Es dauert trotz – Sommer-bedingt – hoher Temperaturen von um die 25 Grad in der Küche volle zwei Tage, bis sich einige wenige Bläschen bemerkbar machen.

    Erste Runde – Hefeführung: Ich gönne beiden Varianten – nach 4- bzw. 8 Stunden wie oben beschrieben – eine Hefeführung. Ergebnis: Nichts. Keine Bläschen, keine sichtbaren Veränderungen, nach wie vor derselbe Duft nach Schwarzbrot.

    Zweite Runde – 3-stufige Führung nach Pöt: am Ende ganz dezente Bläschen-Bildung. Kaum Volumen-Zunahme.

    Dritte Runde – frustriertes „Stehen lassen“ bei sommerlichen 25 Grad Raumtemperatur: beide Teige verhalten sich nahezu identisch. Sie sind nach weiteren 24 Stunden stark mit Blasen durchzogen, haben allerdings kaum an Volumen zugelegt.

    Danach: Abbruch. Denn das „vergessene“ ASG hatte sich bestens entwickelt…

    3.) Im Kühlschrank vergessen

    Erster Eindruck: Erstaunlicherweise riecht das ASG einwandfrei: keinerlei Fehltöne. Es duftet intensiv nach Apfel und exotischen Früchten. Die oberste Schicht des ASG ist gräulich, alles weitere darunter dezent orange. Laut Literatur dürfte das nicht sein. Nach über 8 Wochen müsste das ASG eigentlich mausetot sein. Ist es aber nicht.

    Erste Runde – 3-stufige Führung nach Pöt: Das ASG entwickelt schon in der ersten Stufe deutlich Blasen und legt erkennbar – wenn auch logischerweise nicht so stark wie “frisches” ASG – an Volumen zu. Nach der zweiten Stufe ist die Volumenzunahme weiter deutlich, grob geschätzt halb so stark wie bei “frischem” ASG. Dieser Trend setzt sich auch bei Stufe 3 fort.

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    Sauerteig nach der zweiten Stufe der 3-stufigen Führung

    Testbacken: Ein klassisches Mischbrot 50/50 wird mit dem ASG und Unterstützung von etwas Hefe wunderbar. Auch der zweite Backversuch, das hier vorgestellte Pain Bordelaise, entwickelt sich sehr erfreulich.

    Fazit:

    Das Verkrümeln und Trocknen von Sauerteig ist für die Mittelstrecke eine aufwändige Angelegenheit. Da das getrocknete ASG deutlich länger als das verkrümelte hält, werde ich damit eine Art Back Up anlegen und ein Mal pro Jahr erneuern. Für kürzer Zeiträume von bis zu 6 Wochen werde ich Zukunft das Risiko eingehen, das ASG im Kühlschrank über die Zeit zu bringen. Fest geführt und möglichst kalt (ganz unten im Kühlschrank, besser im 0 Grad-Fach) scheinen die Chancen gut, das das Ganze funktioniert.

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    Zum Rezept…

    Das Rezept stammt vom schon öfter zitierten Plötzblog. Entgegen meiner üblichen Neigung, an Rezepten herum zu experimentieren, habe ich dieses weitgehend übernommen. Nur die Mehlsorten habe ich dezent geändert, denn mittlerweile gefallen mir die süddeutschen/ österreichischen Mehl-Varianten einfach besser.

    Vorteig

    65 g Weizenmehl 700 (alternativ 550)
    80 g Wasser
    6 g Anstellgut


    Wichtiger Hinweis für alle Besitzer von Kitchen Aid & Co

    Alle Rühr- bzw. Knetzeiten gelten für den Thermomix. Für alle „klassischen“ Küchenmaschine gilt grob: die Zeitangaben verdoppeln sich. D.h.: wenn Ihr ein Kitchen Aid oder Ähnliches habt, knetet bitte ungefähr doppelt so lange wie hier angegeben. Davon das erste Drittel der Zeit langsam, das zweite Drittel schnell. Wenn ihr die hier angegebenen Knetzeiten anwendet, bildet sich das Glutennetzwerk nicht ausreichend aus.


    Hauptteig

    Vorteig
    335 g Weizenmehl 700 (alternativ 550)
    30 g Roggenvollkornmehl
    10 g Weizenvollkornmehl
    4 g Frischhefe
    210 g Wasser
    9 g Salz

    Alle Zutaten für den Vorteig mischen und zwischen 14 und 20 Stunden – je nach Raumtemperatur – reifen lassen. Der Vorteig muss dicht mit Blasen durchzogen sein.

    Das Weizenmehl mit dem Wasser mischen und 30 Minuten ruhen lassen (Autolyse).

    Dann alle Zutaten zusammen 7 Minuten im Thermomix auf der Knetstufe kneten.

    Den Teig zunächst eine Stunde bei 25°C Grad ruhen lassen, dann dehnen und falten und im Anschluss weitere zwei Stunden ruhen lassen. Dann den Teig lang wirken, mit dem Schluss nach oben in einen Gärkorb legen und weitere zwei bis zweieinhalb Stunden bei 25 Grad zur Gare anstellen.

    Im Anschluss den Teigling stürzen, der Länge nach einschneiden und von 250°C auf 230°C fallend 45 Minuten mit Dampf backen.

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