Freitag - der schönste Tag der Woche. Sprint Review Tag. Black Friday, so to speak!
Ein Arbeitstag in Berlin beginnt mit der Frage: wann kommt die U-Bahn? Und wenn sie dann mal kommt: wie voll ist sie? Die Werktätigen, die die S-Bahn oder gar die Deutsche Bahn benutzen, bangen noch viel mehr als ich. Ich könnte zur Not auch zu Fuß zur Arbeit laufen.
Dann quetschen wir uns alle in die U2. Die Leute mit der höheren Wertschöpfung aus Mitte, die die e-Petition endlich unterschreiben konnten, sind schon drin. Die bezopften Projektträgerleiter, von denen sicher einer dem Marian Wendt dabei hilft, den ePetitionsserver überlastet aussehen zu lassen, steigen dann am Gleisdreieck oder am Nollendorfplatz zu. Natürlich mit Fahrrad..
Jeden Morgen Anschauungsunterricht, wie sehr "das Land gespalten ist". Die einen beklagen sich über den unfähigen Senat. Für die Bezopften ist das Problem eher relativ. Denn: In Afrika, da ist das mit der U-Bahn so eine Sache. Und daran sind natürlich wir schuld...
Die Bezopften fahren bis zum Ernst-Reuter-Platz und fahren dann mit dem Fahrrad, durch den Menschenstrom, zum U-Bahnausgang. Es sind schwarze Treckingräder. Das Licht geht entweder gar nicht, oder es ist auf Blendgranate eingestellt.
So wird der kalte Bürgerkrieg geführt: Über vorenthaltene Infrastrukturkapazitäten. Zu wenig Bandbreite, zu wenig Prozessor- oder Speicherkapazitäten. Und über die Autokorrektur bei Twitter und Facebook. Es fängt unterschwellig an und wird über die Jahre übergriffiger. So wie es die Stelen des Holocaustmahnmal lehren: Ganz außen machen es sich jugendliche Touristen auf den niedrigen Stelen bequem. Dann gehen sie aus Neugier mal weiter...
Aber heute ist Black Friday, da können wir uns clientseitig aufrüsten.
Apropos schwarzer Freitag und Klientel, zurück zum Review. Ich habe das Vorgängerprodukt, das aktuell auf dem Markt ist, diese Woche endlich mal in Aktion getestet, und nicht nur auf dem Parkplatz. Es gibt ein paar Härteszenarien für das Infotainment, den habe ich mir aus Erfahrung selbst zusammen gestellt:
Am Flughafen angekommen, willst Du mit dem Mietwagen weiter zum Konferenzort. Du hast die Adresse, das Auto steht in der Tiefgarage und sieht keinen GPS-Satelliten (die Gallileosatelliten sieht es auch nicht, aber das liegt nicht am Auto...).
Die Aufgabe:
- Der Motor bleibt aus, wir sind ja in einer Garage. Zündung nur in Stellung 1.
- Infotainment starten.
- Die mit Sicherheit auf Max. gedrehte Lautstärke des Radios im Dunkeln (oder bei Innenraumbeleuchtung noch an) herunterziehen.
- Eingabe der Adresse ins Navi.
- Motorstart. Zum Ausgang fahren.
- Oben an der Straße muss der erste Manöverhinweis kommen. (In Stuttgart Echterdingen zum Beispiel: wenn man falsch abbiegt, sind es mehrere km bis zur ersten Wendemöglichkeit.)
- Wenn es gut läuft, kann ich mein Smartphone ganz einfach verbinden und den Gastgeber anrufen, falls ich mich verspäte.
So weit der Plan. Und so lief es tatsächlich:
- Die Bedienung läuft über Spracherkennung.
- Sie versteht uns nicht.
- Schon als wir raus sind aus der Garage und 2x abgebogen, hören wir aus dem Navi: "Ich habe Sie nicht verstanden!"
In Stuttgart habe ich mal einen Opel Astra als Mietwagen bekommen. Da wurden berührungsempfindliche Bildschirme gerade eingeführt. Man wusste also vorher nicht, womit man es zu tun bekommt. Beim Opel sah ich nach dem Start des Infotainment zuerst ein Warndreieck mit einer "Eiswarnung!" (in der Tiefgarage! Es war also in Wahrheit eine Temperaturwarnung.)
Reflexhaft drückte ich auf das Warndreieck um es zu löschen. Ich wollte meine Adresse eingeben. Ich habe minutenlang herumgefummelt. Ich musste Licht anmachen und fand ein Bedienfeld von 5x7 Drehknöpfen. Einer davon war für die Bestätigung von Warnmeldungen gedacht.
Sixt konnte froh sein, dass ich nicht mit der Faust ins Display geschlagen habe.
Danach dauerte es zusätzlich Zeit, um mein Ziel einzugeben. Aber das System hatte nicht die Positionsdaten vor dem Abstellen gespeichert. Es fing erst an zu rechnen, als ich aus der Tiefgarage heraus war, auf dem falschen Autobahnzubringer. In solchen Momenten kriege ich Hass..
Mein Anspruch ist es, solche Schei..erfahrungen zu vermeiden. Wir brauchen nicht 1.000 neue Features, wir müssen Prioritäten setzen und eine davon heißt: Intuitive Benutzerführung. Eine andere: Beim Systemstart, die wichtigsten Dinge zuerst bereitstellen.
Aber mit dieser Meinung habe ich keine Mehrheit.
Im Sprint Review stehe ich manchmal wie Jesus, manchmal wie Brian und manchmal wie Bono vor der Versammlung. Und denke an Steve Jobs. Der hatte Kalligraphie studiert. Ich Elektrotechnik. Und dennoch verstehe ich die meisten Detaildiskussionen unserer Ingenieure nicht. Wie kann man so ein System allein von der Hardware her denken und dann überlegen. wozu uns die neuesten Leistungssteigerungen befähigen? Und dann den Chefingenieur die Oberhand über neue Features geben lassen...
Es ist mental gesehen die Flucht ins bekannte Land, während sich die Welt stark verändert. Projekte sind mit viel Komplexität und Unsicherheit behaftet. Aber nur die Starken wagen zu fragen. Und in Frage zu stellen. Vor allem die eigenen Positionen.
Die Arbeitsatmosphäre wird sehr stark vom Kunden geprägt. Und solange er uns vor allem beweisen will, wovon wir alles keine Ahnung haben, kommen wir nur sehr mühsam vorwärts.
Mal sehen, wie ich mich heute schlage. Was ziehe ich an...?