Sarrazin verhaftet, Broder unter Hausarrest

Sarrazin verhaftet, Broder unter HausarrestNorwegen leidet, Deutschland lamentiert. Leicht beleidigt, weil sich nun so gar keine Spur des Massenmöders von der Utoya-Insel in die Heimat finden lässt, zelebriert die deutsche Veröffentlichkeit ihre übliche Krisenroutine: Der von Aldi-Anzeigen umkränzten ausgiebigen Opferbetrachtung folgen die Heldengeschichten Marke "Mette Marits Bruder stürzte sich in den Kugelhagel", gleichzeitig läuft die allgewaltige Ursachenforschungsmaschine an: Wer hat die Fantasien des Täters befördert? Wer hat die andere Realität geschaffen, in der er lebte? Wie muss reden, wer den Eindruck erwecken will, Ähnliches wenigstens künftig und ausschließlich verbal verhindern zu können?
Es geht plötzlich um "geistige Brandstifter", um Sarrazin und Broder, das Internetblog "Politically Incorrect" und das ganze, fürchterliche Internet sowieso und natürlich um eine angebliche "Neue Rechte", die sich schuldig gemacht habe, rechts zu sein, was Anders Breivik letztlich zwangsläufig dazu bringen musste, Kinder zu erschießen. Nicht Henning Mankell und die ARD, die Breiviks Tatplan mit der Ausstrahlung des Thrillers "Rache" im Jahr 2009 beinahe detailgetreu vorwegnahmen, stehen vor Gericht und auch nicht Dan Brown, der mit seinem "Sakrileg" das Weltbild des Killer prägte. Sondern alle, die die Fragen, die Breivik gewaltsam lösen wollte, überhaupt nur stellen.
Breivik ist rechtsextremistisch, rechtsextremistisch ist rechtsextrem, rechtsextrem aber ist rechtsradikal und rechtsradikal ist rechts, also ist Breivik rechts und alles links der Mitte damit verantwortlich für das, was er getan hat. Die Logik ist unbestechlich, dafür verbürgt sich auch die Süddeutsche Zeitung, die sich ganz weit zurückgräbt, um die Wurzeln des Bösen zu finden. "Anschläge in Norwegen - Das war nicht der letzte Fall" wirft Fachautor Andrian Kreye im Interview mit dem Nazi-Jäger Rick Eaton einen Blick ganz, ganz weit in die Zukunft. Eaton sei Experte für die Frage, "warum Attentäter oft Teil einer Gruppe waren, bevor sie sich zu "einsamen Wölfen" entwickelten", kein Wunder, schließlich verfolgt der Ermittler vom Wiesenthal-Center in New York laut "SZ" den "Rechtsradikalismus im Internet schon seit den späten achtziger Jahren". Angesichts der Tatsache, dass das Internet damals hauptsächlich ein Verbund von Universitätsrechnern war und nicht einmal ein zentraler Suchindex existierte, keine geringe Leistung.
Auf klare Fragen gibt Eaton klare Antworten. "Erleichtert das Internet die Verbreitung rechtsradikaler Propaganda?", heißt es - und er bringt das bestellte Gericht: "Rechtsradikale gehörten bei neuen Medien schon immer zu den Erstanwendern." Es gebe derzeit auch schon 10.000 rechtsradikale Seiten, orgelt der Experte dann, selbstverständlich ohne zu erwähnen, dass es außerdem noch 210 Millionen anderer Seiten gibt.
Unschärfe als Mittel zum Zweck, Verallgemeinerung im Dienst einer Umdeutung der Wahnsinnstat zum stillschweigend gebilligten Mittel der politischen Auseinandersetzung. Was mit Rechten, das reicht. Oder wie Eaton sagt: "Die Szene ist sehr weit verstreut, allerdings weiß man nie, wann eine Hassbotschaft hängenbleibt und was sie bewirkt".
Im besten Fall wird herbeigebarmte Schuld zur Waffe. Es ist die höchste Ehre, die einem Irren angetan werden kann, seinen Wahnsinn ernst zu nehmen und sein Weltbild auf Berührungspunkte mit der Realität abzuklopfen, bis es zur Zeile reicht "Sarrazin verhaftet, Broder unter Hausarrest".
Anders Breivik wird diese Ehre derzeit zuteil: Einem Mann, der sich in einem zufälligen Kneipengespräch als "Neuer Tempelritter" vorgestellt hätte, erklärt haben würde, er bereite sich seit neun Jahren auf den heiligen Krieg zur Befreiung Europas vor, arbeite nebenbei an einem 1500-seitigen Grundsatzwerk über den Abwehrkampf gegen den Islam, und plane, demnächst ein Kinderferienlager zu überfallen, um möglichst viele Kinder zu töten.


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