Vielleicht haben ja doch die Recht, die der Meinung sind, dass dieser Maulheld die Aufmerksamkeit nicht verdient, die er im Moment medial bekommt. Allein im Bloghaus gibt es in den letzten Tagen mindestens vier Artikel, die sich mit diesem Demagogen befassen. Etliches mehr dazu und darüber habe ich gelesen.
Und doch bin ich der Meinung, man darf nicht schweigen, wenn man den Eindruck hat, dass hier in der Maske der Mehrheitsmeinung etwas gesagt und geschrieben wird, das hart an der Grenze zur Volksverhetzung ist.
Sicherlich ist es bitter notwendig, über die Themen, die Sarrazin anspricht, zu reden. Doch ist es dabei ebenso notwendig, mehr als nur populistische Sprüche zu klopfen. Sondern über Ursachen, soziale Gründe und Bedingungen und vor allem: Ideen, den Missständen abzuhelfen, zu reden. Das ist jedoch nicht das Konzept des Herrn Sarrazin und seiner Nachbeter. Es gilt einzig, ein neues Feindbild zu erschaffen. Und da es eine Minderheit trifft, gelingt das auch vortrefflich. Zumindest in Blättern wie der BILD. Und bei der NPD. Ich mag gar nicht die Geschichtskeule hervor kramen und an die End-Zeit der Weimarer Republik erinnern… die Bedingungen waren andere. Aber ich kann auch nicht dabei stehen und still schweigend zu sehen, wie lauthalse Demagogen Sturm gegen die Demokratie laufen.
Ich möchte hier nur einen Überblick geben über die Stimmen, die ich in den letzten zwei Tagen und interessant fand:
Die TAZ klingt ironisch, wenn sie titelt: “Seine Alarmiertheit Thilo Sarrazin, Bundesbanker, befürchtet im Majestätsplural, dass wir alle aussterben und durch Kopftuchträgerinnen ersetzt werden.”
Aber auch die TAZ hält den medialen Rummel vor dem Erscheinungsdatum des Buches für gesteuert, um den Verkauf anzukurbeln. Insofern ist dem Verlag und Sarrazin ein Meisterstück gelungen.
Der Oeffinger Freidenker rechnet mit der Linken ab, die reflexartig auf Sarrazin reagiert, ohne jedoch (und ich hoffe, darin unterscheide ich mich von den Gemeinten) auf die Ursachen der tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft angekommenen Vorurteile gegen Migranten einzugehen. Er unterstellt ihnen (also den Linken) eine Blindheit auf dem Problemauge, weil “nicht sein kann, was nicht sein darf”.
Machen wir uns doch gar nichts vor: Sarrazin trifft mit seinen Positionen die Erfahrungs- und Lebenswirklichkeit von Millionen Menschen – und eben nicht nur deren Vorurteile – exakt auf den Punkt. Insbesondere die permanent wachsende muslimische Bevölkerungsgruppe (1991: 1,5 Mio., heute rund 4 Mio.) wird von der Mehrheit der Bevölkerung (Alle Umfragen zeigen das) in einer Mischung von Unbehagen und dem Gefühl wachsender Bedrohung empfunden (ob zu Recht oder zu Unrecht mag dahingestellt sein, es ist so!).
Doch schreibt er weiter – und regt damit genau die Art Diskurs an, an dem mir auch gelegen ist:
Sarrazin und sein (wesentlich gemäßigter) „Bruder im Geiste“ Buschkowsky [Bürgermeister von Berlin-Neukölln] holen auf ihre Weise deshalb eine Diskussion nach, die die Linke, sofern sie sich als rationale Kraft versteht, schon Anfang der 90er Jahre hätte führen müssen. Kein Wunder, dass sie heute mit wütender Empörung die Diskussion nur rezipiert anstatt sie konzeptionell anzuführen.
Es geht – einmal mehr – um das Problem der Multi-Kulti-Gesellschaft.
Angegriffen und als Beispiel dargestellt wird unter anderem auch ein Artikel bei den Nachdenkseiten. Hier schreibt Wolfgang Lieb einige der Argumente, die auch ich in meinem Artikel verwandt habe (allerdings ist er ausführlicher). Und geht aber tatsächlich mit keiner Silbe dann darauf ein, dass dieser Rassismus eines Herrn Sarrazin nicht so fern der deutschen Mitte ist, wie es der Autor gern hätte.
Natürlich kann man gnadenlos auf Sarrazin einprügeln (das mach ich ja auch), aber es fehlt genau das, was mir immer wieder fehlt bei Diskussionen mit und von Linken: konkrete Lösungsvorschläge. Keine Parolen sondern Ideen.
Nur immer darüber zu lamentieren, was alles “schrecklich, falsch und schlimm” ist, ist völlig sinn- und zwecklos wenn es keine Alternativen gibt – oder mindestens Ideen, was Ursache für die fehlgelaufene Entwicklung sein könnte.
Nun noch zwei Hinweise auf Meinungen, man möge den Herrn Sarrazin nicht so wichtig nehmen (wie er sich selbst). Haekelschwein twitterte: “Unter Gebildeten möge man Sarrazin wie einen Furz behandeln: Jeder bemerkt ihn und rümpft die Nase, aber macht ihn nicht zum Gesprächsthema.”; Sprengsatz beendet einen Artikel zum Thema mit dem Satz: “Nicht die SPD sollte ihm aufmerksamkeitswirksam die Mitgliedschaft entziehen, sondern die Medien (und wir alle) die Aufmerksamkeit. Dann wäre Sarrazin ein armer Mann.” (siehe oben, ganz kann ich dem nicht beipflichten).
Der Migrationsblog hat einige Zitate Sarrazins ausgegraben und der Tagesspiegel berichtet über die Proteste des Migrationsrates Berlin-Brandenburg gegen den geplanten Auftritt Sarrazins beim Internationalen Literaturfestival im Berliner Haus der Kulturen der Welt. (ich würde schon allein deshalb protestieren, weil es dort um Literatur geht, was also hat Sarrazin dort zu suchen?) – Aus gut unterrichteter Quelle weiß ich im Übrigen, dass Herr Sarrazin nicht auftreten wird. Allerdings nicht, ob er abgesagt hat oder schlichtweg ausgeladen wurde.
Nic