Nicolas Sarkozy ist überzeugter Europäer – da, wo es ihm passt. So wie alle letztendlich. Hatte nicht Deutschland gerade erst den EU-Immigranten im Handstreich Hartz-IV gestrichen? Wieso also sollte Sarkozy die EU für etwas anderes nuttzen als zu dem, was er für Vorteile Frankreichs hält? Jeder beschwört die europäische Einheit, die angeblich “alternativlos” ist … und kocht konsequent sein eigenes Süppchen auf dem Rücken der anderen. Sarkozy jedenfalls sagt wenigstens klar, was er vorhat. In seiner heutigen Wahlrede kündigte er den Austritt aus dem Schengen-Abkommen und die Schliessung französischer Grenzen an.
Ein bisschen bescheidener als sonst zeigte er sich vor 30.000 begeisterten Anhängern in Villepinte, unweit des Flughafens Charles de Gaulle. Er habe viel gelernt aus seinen fünf Jahren Präsidentschaft, versicherte er in der 90-minütigen Rede, und bat um “Hilfe”, um erneut gewinnen zu können in den anstehenden Wahlen. Er zeichnete sich selbst als den “Beschützer der Franzosen” mit einem staatstragenden Vortrag ohne Ideologie. So ganz gelang ihm das nicht.
Zum Beispiel klagte er die Ausländer an, die das Sozialsystem ausnutzen ohne einzuzahlen; beschuldigte die Gewerkschaften, Reformen zu verhindern und sagte zum Thema Religionsfreiheit: “Ich werde vor allem das Recht der Christen schützen, in Frieden zu leben.” – Während er auf Zehenspitzen um die Bilanz seiner Regierungszeit herum schlich, sprach er statt dessen ausführlich über Europa und beschuldigte seinen Konkurrenten Hollande, “auf beschämende Weise” den neuen Europa-Pakt kritisiert zu haben.
Besonders wichtig aber ist ihm das Schengen-Abkommen, dass den freien Waren- und Personenverkehr in Europa regelt. Um besser “gegen die illegale Einwanderung zu kämpfen”, will er, dass diejenigen Länder, die ihre Grenzen nicht ausreichend kontrollieren, sanktioniert oder aus dem Schengen-Abkommen ausgeschlossen werden. Wenn die Situation sich innerhalb eines Jahres nicht verbessert, so versprach Sarkozy, werde Frankreich aus dem Schengen-Abkommen austreten und die Grenzen schliessen.
Mit heroischer Stimme unterstrich Sarkozy, der europäische Traum müsse neu erfunden werden, damit Frankreich weiterhin seine republikanischen Werte verteidigen könne. Ein Raunen ging durchs Publikum, als er versicherte, Europa müsse sich erneuern, “damit die Werktätigen keine Extremisten wählen”.
Über den freien Handel: Europa müsse sich “gegen unfaire Konkurrenz abgrenzen”, verlangt der Kandidat. Unter anderen protektionistischen Massnahmen kündigte Sarkozy an, einen European Act anschieben zu wollen nach dem Muster des “Buy act” der USA und ein neues Hilfsprogramm für mittelständische Firmen. Manifestierte europäische Solidarität auch hier: “Wenn die anderen das nicht mitmachen, werden wir das unilateral einführen und fertig!”
“Meine lieben Freunde, ich erinnere mich an den Tag, an dem mich die Franzosen wählten vor fünf Jahren, die nur fünf Minuten in einem Herzen sind,” triefte epischer Pathos durch die aufwändig angelegte Szene. Viel habe er gelernt und immer das Beste gegeben, um die Franzosen zu schützen. “Alles habe ich gegeben für Frankreich in diesen fünf Jahren. Ich habe gelernt, dass es niemanden gibt, der so viel angegriffen wird wie der Präsident, aber ich habe gelernt, dass man das aushalten muss, und auch, dass der Wille nicht alles vermag, dass es Leiden gibt, die man nicht stillen kann”, schwampfte Sarkozy, ohne dass irgendjemand “Heul doch!” rief.
Carla Bruni und ihre Kinder im Publikum waren sicher ebenso gerührt wie Gérard Depardieu und Jean Reno oder die Ehefrau von Jacques Chirac. Es sei “ein grosser Sieg für Frankreich, den Euro und damit Europa gerettet” zu haben, schwadronierte Sarkozy und vergass Mutti glatt in dem Thema, “indem wir den anderen geholfen haben, haben wir uns geholfen. Wenn Frankreich nicht gehandelt hätte, wäre Europa verschwunden. Ich habe mich für diese Sache eingesetzt wie für nichts zuvor in meinem Leben.”
Das Europa, dem Deutschland gerade einen gehörigen Arschtritt verpasst hat und dem Frankreich jetzt die Grenzen hochziehen will, wäre verschwunden! Eine entsetzliche Vorstellung, die einem in Mark und Bein schiesst!