Sarg oder Handschellen: Düstere Aussichten für Flüchtlinge in "Tatort: Schutzlos"

Sarg oder Handschellen: Düstere Aussichten Flüchtlinge Der Schweizer Tatort-Ableger aus Luzern war bislang immer das schwarze Schaf der Tatort-Familie. Die Quoten – auch diesmal – weit unterm Durchschnitt; die Fälle, bis auf eine Ausnahme, ebenso. Anfangs musste sogar der produzierende Sender SRF wegen mangelnder Qualität einschreiten und die Ausstrahlung verhindern. Glücklicherweise hat sich das mittlerweile ein wenig ins Positive verändert, und die Fälle von Kommissar Reto Flückinger (Stefan Gubser) und Kollegin Liz Ritschard (blass: Delia Mayer) haben sich qualitativ immerhin irgendwo im Niemandsland eingependelt. Auch der neue Film „Schutzlos“ ist thematisch durchaus interessant und liefert erkenntnisreiche Fakten. Frauen haben keine Eier, Migräne ist nicht tödlich, Nigerianer sehen sowieso alle gleich aus und dealen mit Drogen.

Sarg oder Handschellen: Düstere Aussichten Flüchtlinge

Die drei aus Luzern: Der Unsympath, der Migräne-Patient und die Lesbe. ©ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler


Die Hauptursache des Schweizer Dilemmas ist die Austauschbarkeit der Ermittler. Während die Kommissaren anderer Tatort-Standorte Ecken und Kanten besitzen, hat man bei Flückinger und Ritschard jedes Mal das Gefühl, dass sie ihr Debüt feiern. Flückinger wohnt scheinbar auf einem Hausboot und diesmal ist er geplagt von Kopfschmerzen und Halluszinationen. Ob eines von diesen beiden Tatsachen auch in der vorangegangenen Fällen so war? Man weiß es nicht (mehr). Von Kollegin Ritschard hat man sich bloß gemerkt, dass sie aufs selbe Geschlecht steht. Dabei hätte man von ihr dieses Mal viel erfahren können. Schließlich gewährt ihr die Geschichte von Regisseur und Autor Manuel Flurin Hendry viel Freiräume. Während sich Flückinger von seiner schweren Migräne – er dachte, es sei sogar ein Hirntumor – auf seinem Boot erholt, ermittelt sie alleine in Italien. Doch Flurin Hendry spielt die Karte nicht aus. Flückinger und Ritschard sind so weiterhin die großen No Names des Sonntagskrimis. Charisma gleich Null. Da können sich Gubser und die CSI Miami-erfahrene Mayer auch noch so anstrengen. Sie bleiben blass. Die einzige Figur des SRF-Tatorts mit Wiedererkennungswert ist ihr Vorgesetzter Mattmann (Jean Pierre Cornu), der zwar ziemlich holzschnittartig geraten ist, aber immerhin allen schlimmen Vorgesetzten der Krimireihe seinen Stempel aufsetzt und den wohl fiesesten und unsympathischten Polizeichef des gesamten Sonntagabends darstellt.
Mattmann ist auch der, dem der Fall am Hintern vorbeigeht. Es sei nur ein toter, drogensüchtiger Asylant. Kein Grund, da ein Fass auf zu machen. Der Fall des toten Nigerianers Ebi (Charles Mnene) müsse schnell zu den Akten gelegt werden. Erstochen liegt dieser unter einer Luzerner Brücke, er war ein sogenannter UMA (unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender). Die Ermittlungen führt die beiden Kommissare dann in ein Asylheim für eben jene UMA's und gewährt einen brandaktuellen Einblick in die Flüchtlingswelt...

Sarg oder Handschellen: Düstere Aussichten Flüchtlinge

Sind gekommen, um das Glück zu finden. Erfolglos. ©ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler


In Zeiten von ungezügelten Flüchtlingsströmen nach Europa könnte dieser Tatort kaum besser passen. Und ja, thematisch ist „Schutzlos“ echt fesselnd. Die Sozialarbeiterin dieses Asylheims eröffnet den Kommissaren die Perspektiven der dort gestrandeten: Da sie weder zur Schule gehen noch eine Ausbildung beginnen dürfen, verlassen sie das Asylheim entweder im Sarg oder in Handschellen. Der Tote hat sich für die lebendige, aber gesetzeswidrige Variante entschieden. Er handelte mit Drogen, um seinen Eltern, die Schulden bei den Schleppern gemacht haben, damit er ein gutes Leben fern der Heimat führen kann, zu helfen. Flückinger und seine Kollegin ziehen Franz Hofstetter (Andreas Krämer) vom Drogendezernat zur Rate. Dessen Abteilung sei chronisch unterbesetzt, und früher oder später würden ja sowieso alle Nigerianer auf der Straße landen. Er ist zwar ähnlich wie Mattmann ziemlich unsympathisch gezeichnet, aber immerhin besitzt die Figur überhaupt irgendetwas.
Die drei irren umher in einer düsteren Welt zwischen Angst vor der Abschiebung, Perspektivlosigkeit,Vorurteilen und dem weißen Pulver. Der Kriminalfall dient hier nur als Aufhänger für eine eindrückliche Millieustudie. Wer der Mörder des Toten war? Schnell interessiert das nur noch am Rande. Der Tatort hangelt sich entlang am Schicksal der geheimnisvollen Jola (der heimliche Star: Marie-Helene Boyd). Nur die gebildeten überleben, haben überhaupt eine Zukunft in der Schweiz – der Rest wartet bis zu seiner Volljährigkeit auf den Heimflug. Die traurige Wirklichkeit?  

Sarg oder Handschellen: Düstere Aussichten Flüchtlinge

©ARD

Die traurige Wirklichkeit von „Schutzlos“ ist allerdings die komplett fehlende Spannung. Diese Millieustudie besitzt dann doch einen Tick zu viele Schema F-Drogenmillieu-Figuren, um vollständig vom Hocker zu reißen. Aber immerhin ist „Schutzlos“ besser als das, was man aus Luzern erwartet hat. Und Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag erbaut.
BEWERTUNG: 6,0/10Titel:Tatort: SchutzlosErstausstrahlung: 05.07.2015Genre: KrimiRegisseur: Manuel Flurin Hendry
Darsteller: u.a. Stefan Gubser, Delia Mayer, Jean Pierre Cornu, Andreas Krämer, Marie-Helene Boyd

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