Sardinien 2017 – Vorbereitung (1): Von Urlaubsplänen, panischen Gnus und madigem Käse

Übermorgen geht er endlich los: Der alljährliche Familienurlaub. Es geht nach Sardinien. Genauer gesagt in den Norden Sardiniens, in die Nähe von Santa Teresa Gallura. Der Ort hat rund 5.000 Einwohner und so viel zu bieten, dass sein Wikipedia-Eintrag ganze 71 Wörter umfasst. Er ist direkt an der Küste gelegen, quasi einen Steinwurf von Korsika entfernt. Also, wenn man in der Lage ist, einen Stein zwölf Kilometer weit zu werfen. Es soll in der Gegend traumhafte Strände geben, was in meinen Augen nicht die schlechteste Voraussetzung für einen erholsamen Urlaub ist.

Von Berlin nach Santa Teresa Gallura. Ein Katzensprung von 1.600 Kilometern. Oder von 300 Stunden Fußweg.

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am 10. Aug 2017 um 10:38 Uhr

Sowohl die Frau als auch ich waren zwar schon häufiger in Italien, aber noch nie zusammen. Es ist ja wichtig, dass man auch nach 20 Jahren seine Partnerschaft nicht durch die immer gleichen Routinen veröden lässt, sondern immer wieder Neues wagt und damit das Feuer der Leidenschaft in der Beziehung am Lodern hält. Da wir beide zu prüde sind, um in einen Swinger-Club zu gehen, fliegen wir halt erstmals nach Sardinien. Das muss als Neues ausreichen. Zu viel Leidenschaft ist ab einem bestimmten Alter ja auch gar nicht so gesund.

Der Sohn freut sich schon seit Monaten auf den Urlaub. Sein Plan ist es, jeden Tag Eis, Nudeln und Pizza zu essen. Anscheinend hat er vor, den Heimweg als Michelin-Männchen anzutreten. Vielleicht sollte ich für den Rückflug zwei Sitzplätze für ihn buchen.

Die Frau wiederum hat sich zum Ziel gesetzt, jeden Abend auf der Terrasse Aperol Spritz zu trinken. Vielleicht sollte ich für sie ab Ende August einen Platz in der Betty-Ford-Klinik buchen.

Die genauen Urlaubspläne der Tochter sind mir nicht bekannt. Aber die ist auch gerade in der Pubertät und da ist Kommunikation bekanntlich etwas schwierig. Entweder sie antwortet in geknurrten Ein-Wort-Sätzen („Ja.“, „Nein.“, „Weißnicht.“), oder es bricht ein Wortschwall in einer Geschwindigkeit aus ihr heraus, gegen die Dieter Thomas Heck mit der Langsamkeit eines Schweizers redet.

Ich habe mir vorgenommen, im Urlaub zu entspannen. Nichts tun, abhängen, keinen Finger rühren und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. (Wobei ich dies eigentlich ganzjährig zu tun pflege.) Ich bin versucht zu sagen, dass ich im Urlaub einfach nur chillen möchte, aber die Kinder haben mir verboten, Jugendsprache zu verwenden. Das sei peinlich. Sogar oberpeinlich.

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Neben gutem Essen und hohen Temperaturen besticht Sardinien insbesondere dadurch, dass es eine der am dünnsten besiedelten Regionen in Europa ist. Auf einen Quadratkilometer kommen gerade einmal 70 Einwohner. Das sind nach meinem Geschmack zwar immer noch 69 zu viel, aber es ist immerhin ein Anfang, um einen Urlaub mit möglichst weniger menschlichen Interaktion zu verbringen.

Daher hat es mich als bekennenden Sozialphobiker geradezu in Panik versetzt, als die Tochter kürzlich erzählte, eine Klassenkameradin flöge mit ihren Eltern ebenfalls nach Sardinien. Und zwar am gleichen Tag wie wir und auch nach Olbia, von wo aus sie mit dem Auto in den Norden führen. Das sei voll lustig, findet die Tochter. Eine Einschätzung, die ich nicht teile. Ganz im Gegenteil. Ich finde das gar nicht lustig, sondern geradezu unlustig. Hoffentlich treffen wir sie nicht zufällig dort. Ich kenne die Klassenkameradin und die Eltern überhaupt nicht und es sind bestimmt ganz reizende Menschen. Im Gegensatz zu mir, der über die Small-Talk-Fähigkeiten eines färöischen Schafhirten verfügt.

Wenn ich schon im Alltag tunlichst versuche, den Kontakt zu anderen Eltern auf ein notwendiges Minimum zu beschränken, möchte ich 1.600 Kilometer von der Heimat ungern damit anfangen. Andere Menschen finden nämlich häufig, so eine zufällige Begegnung im Urlaub habe eine identitätsstiftende Funktion, und dann wollen sie sich auf ein Glas Wein treffen und sich unterhalten. Schlimm. Für mich hat ein unbeabsichtigtes Begegnen eher eine fluchtreflexauslösende Funktion. Wie bei einer Herde Gnus in der Serengeti, die entdeckt, dass sie von einem Rudel Löwen belauert wird.

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Für einen Menschen, der gerne einen kultivierten Eindruck erwecken möchte, ist es selbstverständlich, sich vor Beginn des Urlaubs intensiv mit der Region, die man zu bereisen gedenkt, zu beschäftigen. Man möchte ja nicht für einen ungehobelten Pauschaltourist gehalten werden, der jedes Jahr in den Club Med fährt, sich am All-Inclusive Buffet die Wampe voll haut und abends an der Bar billige zusammengepanschte Cocktails in den Kopf schüttet und damit die restlichen Gehirnzellen, die tagsüber am Strand nicht weggebrutzelt wurden, abtötet.

Allerdings fehlte mir aufgrund eines hohen Arbeitsaufkommens im Büro auch dieses Jahr die Zeit, um fundierte Abhandlungen über die Geschichte Sardiniens durchzuarbeiten, kulturanthropologische ARTE-Dokumentation über die Insel anzuschauen oder mich in das dortige sozioökonomische System einzulesen. Daher muss ich mich unserer Urlaubsdestination wieder assoziativ annähern. In 30 Sekunden werden alle Begriffe, die einem zu dem Land oder der Region einfallen, auf ein Blatt Papier geschrieben und anschließend zu einem Text zusammengefasst. Dabei ist es nicht erlaubt, das Internet zu bemühen, um die eigenen Wissenslücken zu kaschieren. (Lediglich die Seiten des Duden dürfen konsultiert werden. Wenn man schon nicht mit geographischen, historischen und kulturellen Fakten glänzen kann, sollte man wenigstens nicht die fehlerhafte Rechtschreibung und Grammatik eines minderbegabten Grundschulkindes an den Tag legen.)

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Dies ist das Ergebnis meiner Sardinien-Assoziation:

Mein Wissen über Sardinien. Spärlich bis fragmentarisch.

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am 10. Aug 2017 um 10:49 Uhr

Zunächst ist festzuhalten, dass Sardinien nicht Sizilien ist. Für Sie mag diese Information trivial sein, für mich als fünfzehnjähriger Schüler war das damals recht überraschend, als ich in einem Erdkunde-Test eine leere Karte des Mittelmeerraumes ausfüllen musste und die beiden Inseln verwechselte. Ich persönlich war recht begeistert, überhaupt zu wissen, dass beide Inseln im Mittelmeer liegen. Es waren zwei der wenigen Eintragungen, die ich in der Karte vornehmen konnte. Mein Erdkundelehrer teilte meinen Enthusiasmus jedoch nicht. (Meine Eltern ebenso wenig.)

Das korrekte Adjektiv zu Sardinien lautet sardisch und nicht sardinisch. Ein Wissen, das eigentlich keinerlei praktische Alltagsrelevanz hat. Außer Sie sitzen bei „Wer wird Millionär“ und Günter Jauch fragt Sie mit dackeligem Blick: „Wie lautet das Wiewort zu Sardinien? a) sardinisch, b) sardisch, c) sardonisch oder d) sardinistisch?“ Wenn Sie zu diesem Zeitpunkt schon ihre Telefon-, 50/50 und Publikumsjoker verballert haben, werden Sie sich mit Dankbarkeit an diesen Blogbeitrag erinnern. (Und mir die Hälfte Ihres Millionengewinns überweisen.)

Politisch ist Sardinien eine von Italien autonome Region. Das heißt, die Sarden müssen sich gewissermaßen nichts von der Zentralregierung in Rom sagen lassen, sondern können politisch und wirtschaftlich tun und lassen, was sie wollen. Ein Status, der die Bayerische Landesregierung vor Neid ergelben lässt.

Der wirtschaftliche Exportschlager Sardiniens ist Kork und ich möchte mir gerne vorstellen, dass ich in meinem Leben schon den ein oder anderen sardischen Korken aus einer Weinflasche gezogen habe. Das schafft gleich eine emotionale Verbundenheit mit dem Urlaubsziel. Man kann nur hoffen, dass die zunehmende soziale Akzeptanz des Schraubverschlusses für Weinflaschen nicht den wirtschaftlichen Niedergang Sardiniens bedeutet.

Kulinarisch ist Sardinien für Oliven und Ziegenkäse bekannt. Und für Sardinen. Die esse ich aber nicht besonders gerne. Sardinen werden häufig mit Sardellen verwechselt, was mir aber egal ist, weil ich die genauso wenig mag. Allerdings musste ich kürzlich nach mehr als zwei Jahrzehnten harmonischer Beziehung erfahren, dass die Frau Sardellen auf der Pizza isst. Man kann bei der Partnerwahl nicht vorsichtig genug sein! Bei der nächsten Frau muss ich da aufmerksamer sein.

Bei sardischem Ziegenkäse sollte man auch nicht voreilig: „Mmmh, lecker“, denken. Es gibt nämlich den so genannten Casu Marzu, bei dem Durchfall geplagte Maden für eine cremige Konsistenz und ein kräftiges Aroma sorgen, indem sie im Käseinneren ihrer Verdauung freien Lauf lassen. Als wäre das nicht schon befremdlich genug, wird der Käse mitsamt den lebenden Maden verzehrt. Auf Sardinien gilt das als Spezialität, was die Insel nicht gerade zum Gourmet-Hotspot Nummer 1 macht.

Über sportliche Erfolge Sardiniens ist mir nicht besonders viel bekannt, außer dass es in der sardischen Hauptstadt mit Cagliari Calcio einen Fußballverein gibt, der in der italienischen Serie A spielt. Über Kultur und Geschichte von Sardinien weiß ich sogar noch weniger. Nämlich gar nichts. Ohnehin führt mir mein nur spärlich beschriebenes Assoziationsblatt schonungslos vor Augen, dass mein begrenztes Wissen über Sardinien an Ignoranz grenzt. Allmählich habe ich Verständnis für die kritische aber durchaus realistische Einschätzung meiner Geographiekenntnisse durch meinen alten Erdkundelehrer.

Wahrscheinlich bin ich dem ungehobelten Pauschaltouristen doch näher als dem kultivierten Bildungsbürger.

Gute Nacht!

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Alle Teile des Sardinien-Tagebuchs finden sie hier.


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