Sardinien 2017 – Tag (2): Von wagemutigen Autofahrten, Real-Life-Wimmelbildern und Strandinteraktionen

Gestern Abend hatten wir den kühnen Entschluss gefasst, heute spätestens um 9 Uhr die Wohnung zu verlassen, um die Rush Hour in Santa Teresa Gullera, die von 9.30 Uhr bis 21.00 Uhr dauert, zu vermeiden und rechtzeitig den Strand zu erreichen. Bei Morgenlicht betrachtet fanden wir diese Idee nicht mehr ganz so prickelnd. Man möchte sich ja nicht unnötig stressen und einen frühen Aufstehtermin im Urlaub zu haben, ist ja quasi der direkte Weg in den Burn-out. Wird ja schon nicht so schlimm sein, wenn wir ein Stündchen später oder so losfahren, dachten wir. Eine spektakuläre Fehleinschätzung, wie sich rausstellen soll.

Bei Sonnenlicht betrachtet, ist der Montag gar nicht so schlimm.

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am 13. Aug 2017 um 22:55 Uhr

Nachdem wir gemütlich gefrühstückt und die Strandsachen gerichtet haben, steht erst noch die Eincreme-Prozedur an. In meiner Kindheit wurde ja noch Sonnenmilch mit einem Lichtschutzfaktor von maximal 8 verwendet, aber das war auch nur etwas für die ganz Ängstlichen. Dazu wurde dann noch ein wenig Nussbaumöl aufgetragen, weil das so schön geglänzt hat. Heute gibt es so etwas gar nicht mehr zu kaufen und wenn man seine Kinder nicht mindestens mit einem dreistelligen Lichtschutzfaktor einschmiert, läuft man Gefahr, dass das Jugendamt wegen Gefährdung des Kindswohls vor der Tür steht.

Der Sohn bietet mir an, er könne meine Rücken eincremen. Das ist natürlich total lieb von ihm und man möchte seine Kinder ja auch gerne zu Hilfsbereitschaft ermutigen. Aber seit unserem letzten Sommerurlaub, als der Sohn auch schon mal die Sonnenmilch auf meinem Rücken appliziert hat, gilt bei uns das Sprichwort „Sonnenbrand erreicht Stellen, da kommen Kinderhände gar nicht hin.“ Trotzdem lasse ich den Sohn gewähren und schicke ein Stoßgebet an den Sonnengott Ra, er möge mich heute verschonen.

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Gegen 10.15 Uhr fahren wir endlich los in Richtung Strand und das Navi schickt uns in Santa Teresa Gallura durch verwinkelte, steile Sträßchen, die aussehen als seien sie schmäler als unser Auto. Als wäre das nicht schon herausfordernd genug, gilt es die Fußgänger im Auge zu behalten, die gerne mal ganz unvermittelt auf die Straße springen oder einfach neben dem Bürgersteig herlaufen, so dass es unmöglich ist, an ihnen vorbeizukommen, ohne Gefahr zu laufen, sie als Kühlerfigur auf der Haube mitzunehmen. Da zahlt sich vielleicht unser großes Gefährt aus. Damit kann man einfach über jemanden drüberfahren, ohne es zu merken.

Während die Frau unser Raumschiff durch das Städtchen kutschiert, läuft ihr der Angstschweiß monsunartig am ganzen Körper herunter. Sollte das so weitergehen, wird sie noch am Steuer dehydrieren. Gerne würde ich ihr ein paar Chips in den Mund schieben – Sie wissen schon, wegen der Elektrolyte –, aber die hat man ja selten zur Hand, wenn man sie unbedingt braucht.

Die Parkplatzsituation in dem Städtchen erweist sich als prekär. Es gibt nämlich keine. Zumindest keine freien. Und schon gar nicht für Menschen, die so hirnverbrannt sind, erst um 10.40 Uhr danach zu suchen. Daher muss die Frau weiter durch die engen Gassen kurven, vorbei an parkenden Autos, störenden Pollern und flanierenden Menschen. Dass wir für den Mietwagen eine Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung abgeschlossen haben, zählt definitiv zu unseren klügeren Entscheidungen in diesem Urlaub.

Wie durch ein Wunder finden wir auf einem kleinen Marktplatz tatsächlich einen freien Parkplatz. Um unsere Freude geradezu ins Ekstatische zu steigern, ist die Lücke auch noch ausreichend breit, gerade anzusteuern und genügend geräumig, um später problemlos wieder herauszufahren.

Nun brauchen wir nur noch ein Parkticket. Und dazu benötigen wir wiederum Kleingeld, das wir aber nicht haben. Also kaufe ich in einer Bäckerei drei kleine Flaschen Wasser und reiche der Verkäuferin einen 20 Euro-Schein, was bei ihr einen für mich unverständlichen Wortschwall auslöst. Obwohl ich nicht verstehe, was sie sagt, schließe ich aus dem Kontext „kleiner zu entrichtender Betrag“ und „großer Geldschein“, dass sie wissen will, ob ich nicht passend bezahlen kann. Kann ich natürlich nicht, denn wenn ich Kleingeld hätte, würde ich es ja direkt in den Parkautomaten werfen.

Ich antworte mit einem nicht besonders elaborierten aber sehr souveränen „Nein“. Weil mir das ein wenig unhöflich vorkommt, ziehe ich die Schultern hoch, öffne meine Handflächen und schaue sie traurig an, wie man es von Eros-Ramazzotti-Plattencovern kennt. Zusätzlich schiebe ich ein zaghaftes „Scusi“ hinterher, wobei ich mir unsicher bin, ob es nicht „Scusa“ heißen müsste. Im Supermarkt habe ich gestern beides gehört und hoffe jetzt einfach, dass ich die Verkäuferin nicht als „fette alte Kuh“ bezeichnet habe. Anscheinend nicht, denn die Frau verpasst mir keine Schelle, sondern kramt das ganze Münzgeld aus ihrer Kasse und überreicht es mir mit einem missmutigen „Mille grazie“. Das hört sich aber weniger nach Dankesformel an, sondern als würde sie mich verfluchen, so dass ich nun befürchten muss, dass meine Enkelkinder später mit Hörnern und Pferdefüßen zur Welt kommen werden.

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Nachdem wir die Operation „Parkschein ziehen“ erfolgreich hinter uns gebracht haben, machen wir uns auf den Weg zum Strand. In seinem Roman „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ beschreibt Jan Weiler sehr anschaulich einen Strandbesuch mit seiner italienischen Sippe und wie turbulent es dabei zugeht. Beim Lesen dachte ich, da hat er aber ganz schön dick aufgetragen. Seit heute weiß ich, dass er wohl eher untertrieben hat.

Wo ist Walter?

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am 14. Aug 2017 um 3:50 Uhr

Die Szenerie, die sich uns am Strand von Santa Teresa Gallura bietet, gleicht einem Wimmelbild. Bei dem es allerdings wirklich überall wimmelt. Der ganze Strand ist bis auf den letzten Quadratzentimeter mit Badetüchern, Liegen, Sonnenschirmen und Strandmuscheln bedeckt. Man kann den Italienern wahrlich viel vorwerfen – dass sie beim Fußball bei der kleinsten Berührung zu Boden fallen, als wären sie mit einer Streitaxt niedergestreckt worden, dass sie alle paar Monate neue Regierungen wählen und sich dabei komische Ministerpräsidenten aussuchen oder dass sie nicht in der Lage sind, ihre Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen –, aber auf keinen Fall, dass sie im Urlaub nicht willens wären, früh aufzustehen, um sich ein Plätzchen am Strand zu sichern.

Wir dagegen, die wir um 11 Uhr die Treppe zum Strand hinuntergehen und verzweifelt nach freien Liegestellen Ausschau halten, outen uns wahrscheinlich für alle anderen als deutsche Touristen. Bestimmt kommen nur urlaubende Teutonen um diese späte Zeit an den Strand und wundern sich, dass es wirklich gar keine freien Liegeplätze mehr gibt.

Kurz überlegen wir, ob wir uns ein paar Strandliegen mieten sollen, aber das kostet mehr als 50 Euro für uns vier. Hochgerechnet auf einen Monat ist das knapp 40 Prozent mehr als wir für unsere 125-Quadratmeter-Mietswohnung in Moabit hinlegen müssen. Kostengünstiger wäre es, wenn wir uns über Amazon Prime vier Sonnenliegen bestellen würden und dann am Ende des Urlaubs von unserem 14-tägigen Rückgaberecht Gebrauch machen. Das macht aber irgendwie keinen guten Eindruck und die Blogleserinnen und -leser könnten uns für geizig halten. Das möchte man ja auch nicht.

Nach längerem Suchen finden wir endlich ein Fleckchen von der Größe einer Briefmarke, auf dem wir zwei unserer Handtücher ausbreiten. Nun liegen wir zwar links und rechts sowie oben und unten nur 10 Zentimeter von anderen Familien entfernt, aber so lange die sich daran nicht stören, soll es uns auch egal sein. In einem zusammenwachsenden Europa ist es ja wichtig, sich an die landestypischen Gebräuche am Urlaubsort anzupassen.

Aufgrund unseres begrenzten Platzes entwickeln wir ein ausgeklügeltes Rotationsprinzip, bei dem sich immer mindestens zwei Familienmitglieder im Wasser aufhalten müssen (besser sogar drei) und höchstens zwei auf den Badetüchern liegen dürfen (besser sogar nur einer). Ich übernehme freiwillig die erste Badetuch-Schicht und vertreibe mir die Zeit damit, die anderen Strandbesucher zu beobachten.

Schräg vor mir sitzt ein Mann so um die 40, der eine unglaublich hässliche Tätowierung auf dem Rücken trägt. Seine beiden Schulterblätter zieren jeweils ein großes Auge. So von der Art wie man sie von Höhlenmalereien kennt. Eigentlich verbietet es meine mir innewohnende Toleranz, mich kritisch dazu zu äußern. Trotzdem würde ich den Mann gerne schütteln und ins Gesicht schreien: „WARUM?“ Was bringt einen, zumindest auf den ersten Eindruck, mental einigermaßen stabilen Menschen dazu, sich Augen auf die Schulterblätter tätowieren zu lassen? Und wieso lässt er das bei einem Tätowierer machen, dessen künstlerisches Talent anscheinend schon bei ‚Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht‘ an seine Grenzen stößt?

Aber ich möchte mich lieber nicht weiter abfällig darüber äußern. Vielleicht weisen die augentätowierten Schultern den Mann als Mitglied der Illuminaten aus und er hetzt mir einen rachsüchtigen Killermönch auf den Hals. (Ja, ich habe meinen Dan Brown gelesen und ja, ich sollte besser ein schattiges Plätzchen suchen, bevor mir die Sonne mein Hirn komplett zu Mus verkocht.)

Besonders bemerkenswert hier am Strand sind die fliegenden Händler. Allesamt Schwarzafrikaner, die mit einer Eleganz die Strandbesucher umkurven, wie man es das letzte Mal bei Alberto Tomba auf der Slalompiste gesehen hat. Nur dass der keine schweren Tüten mit Badetüchern auf seinem Kopf balancierte und auch kein meterlangen Stangen mit unzähligem aufblasbarem Badespielzeug über seiner Schulter hängen hatte. Wahrscheinlich verfügen die Händler über eine Art inneres Sonar, das verhindert, dass sie über die ganzen Sonnenanbeter trampeln.

Ohnehin geht es an dem Strand sehr gesittet zu. Angesichts der Fülle an Menschen und des eigentlich eher lauten Kommunikationsverhaltens der Italiener, ist es sogar erfreulich leise und zivilisiert. Es wird nicht geschrien, nicht geraucht, keine Musik abgespielt und kein Müll in die Gegend geworfen. Selbst kleinste Kinder stampfen auf dem Weg zum Meer nicht einfach über fremde Liegeplätze. Anscheinend werden diese Strandregeln von Generation zu Generation weitergegeben und es wird penibel darauf geachtet, dass niemand dagegen verstößt.

Das müsste man mal soziologisch untersuchen: „Über soziale Interaktionsgeflechte und informelle Normsetzungen an italienischen Badestränden“. Sicherlich ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft gerne bereit, mir eine mehrmonatige teilnehmende Beobachtungsstudie zur Analyse dieser Fragestellung zu finanzieren.

Bevor ich im Geiste meinen Forschungsantrag ausfüllen kann, fordern mich die Kinder auf, zu ihnen ins Wasser zu kommen. Somit kann ich erstmals meine neuen Badeschuhe ausprobieren. Die hatte die Frau vor dem Urlaub für alle Familienmitglieder bestellt, nachdem sie gelesen hatte, dass in sardischer Küstennähe das Petermännchen sein Unwesen treibt. Dabei handelt es sich um einen Fisch, der einen mit seinem niedlichen Namen in falscher Sicherheit wiegt, um einen dann mittels einiger giftiger Stacheln zu triezen, sollte man versehentlich auf ihn treten.

Badeschuh-Parade.

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am 15. Aug 2017 um 9:51 Uhr

Die Wahrscheinlichkeit tatsächlich auf ein Petermännchen zu treten ist zwar ziemlich gering, aber es schien mir dennoch unklug mit der Frau eine stochastische Diskussion darüber zu führen. Wenn eines der Kinder dann doch von einem Petermännchen in den nackten Fuß gestochen wird, hilft es einem wenig darauf hinzuweisen, dass man von einer statistischen Unwahrscheinlichkeit und nicht von einer Unmöglichkeit gesprochen hat. Man gilt dann schnell als weltfremder Korinthenkacker. Außerdem möchte man den anderen Strandbesuchern das Geschrei der Kinder in einem so unwahrscheinlichen Fall nicht zumuten. Und uns selbst auch nicht.

Somit bin ich nun Besitzer eines Paar Strandschuhe. Wer hätte das vor 20 Jahren gedacht. Oder vor vier Wochen. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass die Schuhe gar nicht so hässlich sind. Die Farbe ist in neutralem Grau gehalten, vier Streifen suggerieren ein Markenbewusstsein unsererseits und der enge Schnitt macht einen schmalen Fuß. Trotzdem scheinen Badeschuhe am Strand von Santa Teresa Gallura keine sozial akzeptierte Fußbekleidung zu sein. Wir sind die Einzigen die sie tragen. Wenn sie in schwarz-rot-gold gehalten wären, könnte es nicht offensichtlicher sein, dass wir deutsche Touristen sind.

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Als wir genügend Sonne getankt haben und die Röte unserer Gesichter und Schultern grenzwertig wird, brechen wir auf in die Ferienwohnung. Das Abendessen ist wieder landestypisch inspiriert. Es gibt Bruschetta, Tomaten-Mozarella-Salat und zum Nachtisch eine Tonne Wassermelone.

Ich werde eine Melone tragen.

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am 13. Aug 2017 um 2:17 Uhr

Beim Abendliche Kniffeln erlebe ich ein Wechselbad der Gefühle. Zunächst starte ich mit einem Kniffel, kniee aber zu früh mit erhobenen Fäusten in jubelnder Pose vor dem Tisch – ich werde trotzdem letzter in dieser Runde. Die Tochter, die immer noch keine Lust auf Kniffeln hat, wird erneut Erste. Anschließend kommt dann tatsächlich mein großer Moment. In der zweiten Runde werfe ich zwei Kniffel und belege mit circa 150 Punkten Vorsprung den ersten Platz. Dennoch weigert sich die Familie, mich auf den Schultern durch die Ferienanlage zu tragen. Vielleicht habe ich zu oft gesagt: „Da habe ich euch aber schön die Hosen ausgezogen.“ Wahrscheinlich ist es aber nur der Neid und die Missgunst, den wir Erfolgreichen ertragen müssen.

Gute Nacht!

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Alle Teile des Sardinien-Tagebuchs finden sie hier.


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