Vor einiger Zeit habe ich mir die perfekte Unterwäsche gekauft, perfekter Sitz, schön, bequem und im Preis so stark reduziert, dass mir für einmal das Geld für Kleidung, die kaum einer je zu sehen bekommt, nicht zu schade war. Bis heute Morgen war ich äusserst zufrieden mit meinem Kauf. Dann aber las ich, was auf dem Elast geschrieben steht und schon fing es in meinem Kopf zu rotieren an: “Sans complexe” steht da nämlich ganz dezent Ton in Ton eingewebt.
Ich soll also bitte sehr keine Komplexe haben, wenn ich diese Unterwäsche trage. Oh ja, ich weiss, man will mich mit dieser Aufforderung dazu ermutigen, meinen Körper so zu akzeptieren wie er ist. Aber natürlich löst das in mir genau das Gegenteil aus. “Ach so, die finden, dass Frauen wie ich von Komplexen geplagt sein könnten. Na, dann wird wohl was dran sein. Lass mich mal sehen, was müsste denn alles anders sein an mir, damit man mir nicht gut zureden müsste…” Und schon befinde ich mich mitten im schönsten Gejammer über alles, was nicht so ist, wie es dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Also auf dem besten Weg, mir einen netten kleinen Komplex zuzulegen.
Das läuft bei mir immer so. “Kann ich so aus dem Haus gehen?”, frage ich “Meinen” jeweils, wenn ich einen wichtigen Termin vor mir habe. “Aber natürlich kannst du das”, gibt er meist zur Antwort. “Es passt alles perfekt zusammen, du siehst richtig gut aus. Willst du dir nicht noch eine Blume ins Haar stecken oder eine Halskette tragen?” Ich weiss nicht, was andere Frauen in einem solchen Moment hören, ich weiss nur, was ich höre, nämlich: “Nun ja, wie eine Vogelscheuche siehst du nicht gerade aus, aber offen gestanden würde ich mich schämen, so aus dem Haus zu gehen. Vielleicht kannst du ja mit ein paar netten Accessoires die schlimmsten Mängel kaschieren, aber ich denke, in einem Kartoffelsack würdest du besser aussehen als in dem Fetzen, für den du dich entschieden hast.” Und schon reisse ich mir verzweifelt die Kleider vom Leib und stimme ein Wehklagen über meinen leeren Kleiderschrank und meinen vollen Vorratsschrank, der mich immer wieder zum Naschen verleitet, an. Schlimmer kann die Sache nur noch werden, wenn “Meiner” dann bemerkt, ich hätte immerhin fünf Kinder geboren und da sei es doch ganz normal, dass der Körper sich verändert. Dreimal raten, was ich bei dieser Bemerkung zwischen die Zeilen hinein interpretiere…
So funktioniere ich und deswegen wäre ich äusserst dankbar gewesen, wenn der Designer meiner Unterwäsche dieses blöde “Sans complexe” weggelassen hätte.