Samstag, 29. Jänner 2011.

Nach meiner Abschiedsfeier in Budapest bin ich noch etwas müde. Den Großteil der Nacht habe ich mit dem Schreiben von Postkarten verbracht und mein Bett erst spät aufgesucht.

Es ist etwa Mittag, als ich mein Bett verlasse um noch die Gesamtheit der Ansichtskarten und Briefe zu versenden. Über den Preis bin ich nicht sonderlich positiv überraschst… Scheinbar habe ich in den vergangenen Jahren viele Freunde gefunden, denen ich Nachrichten übermittle, als ich bezahlen möchte. Ich bleche trotzdem. Verbleibende Rechnungen sind auch noch zu entschulden und kurz vor 17:00 erreiche ich meine künftige ex-Wohnung.

Obwohl ich nur mit einem großen Koffer und einem Rucksack angekommen bin hat sich mein Gepäck vervielfacht. Ich erwäge eine Dissertation über die Vermehrung von anorganischen/toten Gegenständen zu verfassen.

The Spirit of Hungary: Paprika in drei Geschmacksrichtungen

The Spirit of Hungary: Paprika in drei Geschmacksrichtungen

Mein Taxi kommt um 19:00, mein Zug fährt um 19:55 – ich liege gut in der Zeit. Da mir nicht bekannt ist, dass mein bald ehemaliger Mitbewohner je so etwas wie eine Pfanne in der Hand hatte, geschweige denn, dass er sie einzusetzen wüsste, nehme ich sämtliche von mir gekauften Lebensmittel mit – insgesamt zwischen 92 und 97% des zu verwertenden Materials in der Küche und genug, um einen ganzen Sack zu füllen… Als hätte ich nicht schon genug Zeugs.

Der Taxifahrer hilft mir zwar nicht beim Tragen, es stellt sich aber heraus, dass er einräumen kann und das macht er auch – wir erreichen den Bahnhof Keleti um etwa 19:10.

Während der Fahrt erzähle ich, was ich hier gemacht habe und dass ich Ungarn sehr vermissen werde. „Und wo geht es jetzt hin, Lófarok?“ fragt er mich.
„Polen… Äh, Lófarok?“
„Ja, lacht er… Pferdepenis“
„Ah… wie mir scheint reichen vier Monate Ungarisch nicht, um die… äh, bunten Seiten der Sprache kennenzulernen“ – Es scheint eine saloppe Anrede für Jugendliche… oder zumindest gleichgesinnte zu sein… Oder könnte sich der geneigte Leser vorstellen, beispielsweise seinen Chef mit „Pferdepenis“ anzureden..? Eben.

Am Bahnhof sehe ich zwar meinen Zug mit Abfahrtszeit auf der Anzeigetafel, jedoch nicht, von welchem Bahnsteig er fährt. Ich überlege mir, den großen Koffer zum Rollen, den Wanderrucksack und meinen Rucksack mit dem Laptop gleichzeitig zu tragen und nebenbei noch die Box mit den Büchern (die ich vergessen hatte zuzukleben), der Tasche mit den Lebensmitteln und der Tasche mit all dem verbleibenden Zeugs ebenfalls in Händen zu halten… scheitere aber.

Ernsthaft. Wo kommt der ganze Plunder her??

Soll ich das jetzt alles herumstehen lassen? Nu gut – alleinstehende Gepäckstücke kommen auf großen Bahnhöfen mit großen Menschenansammlungen immer gut an. Da freut man sich – „Schau, Mami, siehst du den schönen Koffer da hinten, der so unauffällig versteckt wurde?“ „Ja, sicher Miklós, lass uns hingehen und uns dieser Tatsache erfreuen“

Normalerweise laufen am Bahnhof immer Polizisten herum. Die heißen allerdings in Ungarn nicht Polizisten, sondern Rendőrek. Heute laufen keine herum. Auch die Fahrkartenkontrolleure, die meine Fahrkarte bisher nie kontrolliert hatten, bevor ich zugestiegen bin fehlen heute. Es ist 19:30.

Na dann – bleibt mir nichts anderes übrig, als in drei Etappen zu laufen. Zuerst das Wichtigste und dann Gegenstände, die keine Wertsachen beinhalten. Also schleppe ich mich zum Zug, in den ersten Wagen.

„Do you speak English? Verstehen Sie Deutsch?“ frage ich den Schaffner, der vor den ersten Waggon steht. „Ja, ein Bisschen“
„Ist das der Zug nach Krakau?“ und zeige ihm mein Billett.
„Ja, aber ihr Abteil ist ganz vorne, Abteil 367„
„Und das hier ist?“
„Abteil 377„
„Kann ich meine Sachen hier bei Ihnen im Abteil lassen? Ich habe recht viel Gepäck“
„Natürlich, aber nicht zu lange“
„Danke!“

Ich lege meine Habseligkeiten hinein und laufe zurück zum Gepäck, zum Zug, lege Fuhre 2 hinein. Meinen großen Koffer zuletzt. Als ich zurückkomme wurde er noch nicht kontrolliert gesprengt. Nagyszerű (Ungarisch: „Super“).

Der Metallträger, der den Transport auf Rollen leichter machen sollte hat sich bereits bei meiner Ankunft in Budapest abgestoßen und so laufe ich in einem gebückten Gang, um den Koffer ziehen zu können. Langsam schmerzt der Rücken.

Am letzten Zugabschnitt will ich hinein und überreiche dem dafür zuständigen Schaffner meine Fahrkarte mit Reservierung. Der Koffer kommt in mein Abteil (Ich bin glücklicherweise alleine).

„Das wär‘ jetzt blöd, wenn ich zurücklaufe, um mein Gepäck zu holen und in der Zwischenzeit fährt der Zug ab…“ denk ich mir und beschließe den umständlichen, aber sichereren Weg durch den Zug zu nehmen. Die Türe zwischen den Waggons lässt sich allerdings nicht öffnen.

Das heißt, dass ich es jetzt schaffen muss, innerhalb von zwei Durchgängen alles von zehn Abteilen zurück zu holen. Dafür bleiben mir etwa zehn Minuten. Ich laufe.

Fuhre 2.

 

Ein wohlgenährter Sack mit Zwiebeln ist das beste Mittel um Gewicht zu erzeugen

Ein wohlgenährter Sack mit Zwiebeln ist das beste Mittel um Gewicht zu erzeugen

Während dem Laufen wird mir die Tasche mit der Verpflegung zu schwer. Es befinden sich etwa 4-6 Kilo Zwiebeln, 2kg Kartoffeln, sowie Gewürze und Mehl darin. Ich stelle sie neben eine Zugtüre und wetze weiter. Vorne angekommen haue ich den übergroßen Wanderrucksack und die Tasche mit dem undefinierbaren Tand ins Abteil (wird schon keiner stehlen) und renne zurück, greife mir die Tasche und laufe wieder.

Pfeeeeeiiiif

Ich fühle mich wie vom Blitz getroffen. Es ist 19:56, der Zug fährt vor meinem geistigen Auge ab.

„STOPP!! HALT!“ rufe ich und drücke auf die Knöpfe der Tür neben mir.

Nichts rührt sich.

Nächste Türe.

Die Türe öffnet und ich springe hinein. Türe zu.

Wir fahren.

Zur Vereinfachung des Sachverhalts erlaube ich mir die graphische Darstellung.

 

Eine graphische Darstellung des Sachverhalts

Eine graphische Darstellung des Sachverhalts

Die Türen zwischen den Zügen sind ja, wie erwähnt verschlossen. Also stehe ich jetzt in der Mitte des Zuges, mein Abteil befindet sich am Ende des Zuges und der Teil mit dem wertvollsten Gepäck am Anfang.

Die gute Nachricht ist: Ich habe es geschafft, in den Zug zu kommen. Die schlechte: Wie schaffe ich es mein Gepäck wieder zusammenzuführen?

Möglichkeit 1: Warten, bis wir die nächste Station erreichen und wieder einen Lauf starten – mit dem Risiko diesmal neben dem Zug auf der Strecke zu bleiben. Die nächste Station kann 5km, aber auch 500km weg sein.

Möglichkeit 2: Zur Türe gehen und versuchen, doch einen Weg zu finden.

So versuche ich mich an der Möglichkeit 2 und hämmere an die verschlossene Türe. Das Glück ist mir hold – es stellt sich heraus, dass die Schaffner über einen Schlüssel verfügen und mir auch öffnen. Wenn auch widerwillig. Meinen Schein hat zwar der Begleiter im vorderen Zugteil (am kommenden Morgen sollte ich eine Bestätigung bekommen), aber man glaubt mir und so kann ich alles weitertransportieren… Laufe wieder ganz zurück und hole auch den Rest.

Besser als Fitnessstudio: Koffer tragen

Besser als Fitnessstudio: Koffer tragen

Es beginnt die Fahrt in mein neues Leben…

Fortsetzung folgt am Donnerstag.

Am Donnerstag auf http://myaliyah.wordpress.com - ein neuer Abschnitt in einer neuen Welt

Am Donnerstag auf http://myaliyah.wordpress.com - ein neuer Abschnitt in einer neuen Welt

 


Filed under: Magyarország, Reiseinformation

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