Sammelband „Humanismus – Laizismus – Geschichtskultur“

groschopp_humanismusDer jetzt vor­lie­gende Band 6 der Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin ver­eint aus­ge­wählte Beiträge von zwei Konferenzen der Humanistischen Akademien Deutschlands (HAD) und Berlins (HAB), ergänzt durch drei zusätz­li­che Aufsätze zu den Konferenzthemen. Eine Konferenz der HAB befaßte sich mit dem Thema „Politischer Humanismus im Streit der Richtungen in der Staat-Kirche-Trennung“ (Beiträge von Groschopp, Heinrichs und Matthäus-Maier plus Deiseroth). Eine HAD-Konferenz war dem „Nachdenken über fei­er­li­che Staatsakte. Zur religiös-weltanschaulichen Pluralität öffent­li­cher Gedenk- und Erinnerungskultur in Deutschland“ gewid­met (Beiträge von Hartmann, Rüpke, Eschebach, Kahl und Groschopp plus Junginger und Wohlfarth).

In sei­nem ein­lei­ten­den Beitrag „Der Scheideweg des Laizismus” beschreibt Thomas Hummitzsch zu Recht das Dilemma säku­la­rer Verbände zwi­schen „posi­ti­ver und nega­ti­ver Gleichbehandlung”: Wie sol­len sie sich ange­sichts immen­ser staat­li­cher Finanzierungen und sons­ti­ger Privilegien ver­hal­ten? Wollen diese Verbände zum Teil nicht bloß einen „Teil vom Kuchen abbe­kom­men?

Hummitzsch schreibt: „…plä­die­ren die Verfechter eines prak­ti­schen Humanismus für die Gleichberechtigung im Zuge der Ablösung der his­to­ri­schen Staatsleistungen”. (S. 7)

Was aber nichts ande­res heißt, daß hier der Vereinsegoismus des Humanistischen Verbandes (HVD) durch­schim­mert, der sich immer weni­ger als Weltanschauungsgemeinschaft betrach­tet, daher auch immer weni­ger den Laizismus im Blick hat, der sich statt­des­sen immer mehr auf „Geschäftsfelder” kon­zen­triert und des­halb eben vom Staat so ali­men­tiert wer­den möchte wie die bei­den Amtskirchen nebst Caritas und Diakonie.

Der Kulturwissenschaftler Horst Groschopp hat sei­nen ers­ten Beitrag über­schrie­ben mit „Laizismus und Kultur”. Der Autor stellt fest, daß es Deutschland nur einen „schwach orga­ni­sier­ten Humanismus” gibt und daß die­ser sich „zwi­schen Konfession und Kulturorganisation bewegt”. In sei­nem Aufsatz kon­zen­triert er sich auf fünf wesent­li­che Aspekte die­ses Themas.

Er beginnt mit Begrifflichem (Laizismus, Weltanschauung) und gibt einen kur­zen Über­blick über das Entstehen einer viel­fäl­ti­gen huma­nis­ti­schen Bewegung seit Mitte des 19. Jahrhundert. Den zwei­ten Aspekt beschreibt Groschopp als das „Ende pries­ter­li­cher Herrschaftsformen” und lei­tet über zum drit­ten: „Kultur und Humanismus”.

Um die­ses Problem zu ver­deut­li­chen, gibt der Autor ein Beispiel aus der jüngs­ten Geschichte:

„Mitte Dezember 2007 ver­ab­schie­dete der Deutsche Bundestag seine große Kulturenquete. Der Begriff Humanismus kam darin nicht ein­zi­ges Mal vor, was an sich ein Skandal ist. Ich habe damals als Präsident des HVD dage­gen fol­gen­los pro­tes­tiert, weil den Kirchen im Kulturbereich neue Fördergelder eröff­net wur­den. (…) Daß der HVD wenigs­tens stell­ver­tre­tend fast im Minderheitengutachten der LINKEN genannt wor­den wäre, ist daran geschei­tert, daß die zustän­dige Politikerin im ent­schei­den­den Verhandlungsmoment, den Humanistischen Verband nicht von der Humanistischen Union zu unter­schei­den ver­mochte…” (S. 24)

Bei der von Groschopp nicht nament­lich genann­ten Politikerin han­delt es sich um die viel­fach über­schätzte Luc Jochimsen, die übri­gens vor eini­gen Jahren wie­der in die evan­ge­li­sche Kirche ein­ge­tre­ten ist und die in Thüringen eine Veranstaltungsreihe „Kultur neu den­ken” pro­mo­tet. Allerdings kom­men hier keine Säkularen zu Wort, son­dern pri­mär Theologen und, poli­tisch kor­rekt, Vertreter des Judentums und des Islam…

Der Autor beschreibt hier auch den Unterschied des HVD zu den Freidenkern: „Die neue Losung[des HVD; SRK] lau­tete: Trennung von Kirche und Staat auf dem Wege der Gleichberechtigung.”(S. 24)

Aber, ist das nicht etwa Laizismus? Zu fra­gen ist da doch nur, was man unter Gleichberechtigung zu ver­ste­hen hat oder ver­ste­hen will.

Informativ, trotz aller Knappheit, ist der vierte Aspekt „Historisches zur öffent­li­chen Kulturförderung” dar­ge­stellt. Als Stichwort sei hier nur das von der Adenauer-Regierung zur Staatsdoktrin erho­bene „Subsidiaritätsprinzip” genannt:

„In dem Maße, wie die Argumente der ‚Daseinsvorsorge‘ an Einfluß ver­lo­ren und die Konkurrenz unter den Kulturanbietern, die öffent­li­ches Geld bezie­hen, zunahm, dran­gen die bei­den christ­li­chen Kirchen in die Regelkreise der öffent­li­chen Kulturförderung ein – aller­dings mit dem Platzvorteil der Privilegierung als ‚Religionsgesellschaften‘.” (S. 30)

Lt. Groschopp nut­zen die pri­vi­le­gier­ten Kirchen die Kultur als Element der Missionierung; und er stellt in dem Zusammenhang drei wich­tige Fragen: „Es ergibt sich (…) die Frage nach der Zukunft der (his­to­risch beding­ten) Privilegierung von Kult- gegen­über Kultureinrichtungen. (…) Was unter­schei­det die Inszenierung eines Kirchentages von einem Popfestival, einen Gottesdienst von einem Ritual auf einer ande­ren Bühne? Wer bekommt wie viel für was?” (S. 31)

Nicht zustim­men kann der Rezensent jedoch dem von Groschopp gezo­ge­nen Fazit, daß der„Begriff des Laizismus unnö­tig (ist) bei der Analyse der Kultursituation, in der sich Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften befin­den”. (S. 32) Zumal der ansons­ten von ihm über­aus geschätzte Autor hier­für keine plau­si­ble Begründung lie­fert.

Auf der HAB-Konferenz stellte der Jurist und Philosoph Thomas Heinrichs „Über­le­gun­gen zum Verhältnis von Politik/Weltanschauung und Politik” an: „So wenig wie mög­lich und so viel wie nötig”.

Heinrichs arbei­tet zunächst her­aus, daß Religionen stets poli­tisch sind und in mensch­li­chen klas­sen­ge­spal­te­nen Gesellschaften in ers­ter Linie ein „wesent­li­cher Legitimationspfeiler von Herrschaft” sind. Wenn er aber von Staat spricht, so sollte er aber den­noch dif­fe­ren­zie­ren zwi­schen Monarchien „von Gottes Gnaden” und demo­kra­ti­schen Republiken („Alle Macht geht vom Volke aus.”). Wobei, auch bür­ger­li­che Staaten kom­men nicht immer ohne Gottesbezüge aus (siehe Grundgesetz und diverse Landesverfassungen hier­zu­lande). Insofern beklagt der Autor zu Recht das Fehlen eines „Religionsgesetzbuches” in Deutschland.

Bezugnehmend auf die über Art. 140 GG inkor­po­rier­ten Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung, lis­tet der Jurist eine ganze Reihe von ver­fas­sungs­wid­ri­gen Zuständen in Bezug auf die Trennung von Staat und Kirche auf. Wie z.B. den Einzug der „Kirchensteuer” (eini­ger pri­vi­le­gier­ter Kirchen) durch die Arbeitgeber und deren Weiterleitung über die staat­li­chen Finanzämter an die betref­fen­den Kirchen.

Heinrichs spricht das Problem deut­lich an und aus, wenn er schreibt: „die Einziehung der Mitgliedsbeiträge der Kirchenmitglieder, die soge­nannte ‚Kirchensteuer‘.” (S. 42)

Eindeutig ver­fas­sungs­wid­rig sind auch die Über­tra­gung des pflich­ti­gen „Lebenskundlichen Unterrichts” für Bundeswehrangehörige und des „Berufsethischen Unterrichts” für Polizeiangehörige durch den Staat an die evan­ge­li­schen Landeskirchen und die katho­li­sche Kirche.

Der Jurist zählt dann eine fast end­lose Reihe von ein­fach­ge­setz­li­chen Regelungen auf, durch die der Staat die bei­den Großkirchen in jeder Hinsicht pri­vi­le­giert – gegen­über säku­la­ren Organisationen und auch gegen­über den mehr als 100 wei­te­ren Religionsgemeinschaften in Deutschland.

Nicht zuletzt spricht er das bereits erwähnte Subsidiaritätsprinzip an:

„Neben den spe­zi­ell (…) erlas­se­nen Regelungen gibt es all­ge­meine gesetz­li­che Regelungen, die jedoch fak­tisch auf die Kirchen aus­ge­rich­tet sind und von ihnen in gro­ßem Umfang her in Anspruch genom­men wer­den.

Zentral ist hier das Subsidiaritätsprinzip in § 4 Abs 2 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe). Es besagt, daß (…) der Staat nur dann eigene Angebote machen soll, wenn nicht genü­gend geeig­nete Angebote von freien Trägern gemacht wer­den Die ‚freien Träger‘, an die hier­bei gedacht ist, sind die Kirchen. Das ergibt sich direkt aus § 75 SGB VIII, durch die die Kirchen als Träger der freien Jugendhilfe aner­kannt wer­den. (…)

Auch wenn heute im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe mehr Anbieter auf­tre­ten als frü­her, besteht in Teilbereichen immer noch ein Monopol der Kirchen. Auch die­ser Privilegierung der Kirchen liegt wohl die nir­gendwo expli­zit for­mu­lierte [poli­ti­sche; SRK] Grundentscheidung zugrunde, daß die Kirchen für die mora­li­sche Erziehung der Kinder / Jugendlichen zustän­dig” seien. (S. 48/49)

Dies ist viel­leicht die pas­sende Antwort auf die vom HVD (und auch von Horst Groschopp) ver­tre­tene „Aufbaustrategie”. Mittels die­ser möchte der HVD ja eben­falls in den umfas­sen­den Genuß von Staatsgeldern kom­men und greint, wenn man den Kirchen die staat­li­che Finanzierung nähme, dann könne man auch keine huma­nis­ti­schen Einrichtungen mehr finan­zie­ren. Aber da wer­den nun bewußt oder unbe­wußt die staat­li­che Finanzierung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften als sol­che ver­mengt mit der Finanzierung „Freier Träger” und der von die­sen betrie­be­nen Einrichtungen.

Heinrichs stellt schließ­lich ganz direkt die Frage, ob Demokratie Religion ver­trägt. Er ant­wor­tet dar­auf u.a.:

„Eine demo­kra­ti­sche Gesellschaft (…) bedarf kei­ner tran­szen­den­ten Legitimation und daher auch kei­ner Religion. Eine ganz andere Frage ist es, ob der ein­zelne Bürger einen Bedarf nach Religion / Weltanschauung hat. (…) Erst wenn Religionen und dog­ma­ti­sche Weltanschauungen ihren imma­nen­ten Anspruch nach ihren Grundsätzen zu gestal­ten, auf­ge­ben, ist über­haupt Demokratie mög­lich. Die Entpolitisierung der Religion ist daher die Grundvoraussetzung der Säkularisierung und die Säkularisierung Grundvoraussetzung einer Demokratisierung des Politischen.” (S. 53)

Abschließend unter­brei­tet er kon­krete drin­gend not­wen­dige Reformvorschläge für die end­li­che Realisierung des Verfassungsgebotes der Trennung von Staat und Kirche.

Heinrichs‘ Ausführungen fin­den Ergänzung durch einen Aufsatz von Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Dieser geht auf ver­fas­sungs­recht­li­che Probleme mit der Gottesklausel im Grundgesetz ein. Konkret beleuch­tet er das am Beispiel des Düsseldorfer Verwaltungsgerichtes. Hier ließ am 3. Oktober 2010 der Präsident des Gerichts, ein gläu­bi­ger Katholik, an pro­mi­nen­ter Stelle im Gebäude ein Kreuz anbrin­gen. Deiseroth macht dies­be­züg­lich klar: „Eine strenge Unterscheidung zwi­schen unab­hän­gi­ger Rechtsprechung und klerikal-missionarischer Glaubenswerbung ist und bleibt nach dem Grundgesetz unver­zicht­bar.” (S. 84)

Lobenswert ist, daß der Autor in sei­nem Beitrag den Begriff Gott stets in Anführungszeichen setzt.

Für den Rezensenten stellte der Beitrag von Ingrid Matthäus-Maier (im Band wurde der Vortragsstil bei­be­hal­ten) den Höhepunkt auf der Konferenz dar. Die Rednerin stellte dort eine juris­ti­sche und poli­ti­sche Betrachtung an mit dem Titel „Laizismus in Deutschland?”.

Den Schwerpunkt legte sie dabei auf ent­spre­chende Debatten in der FDP Anfang der 1970er Jahre und auf einen 2010 gegrün­de­ten Arbeitskreis „Laizisten in der SPD”. In der Diskussion wurde sei­ner­zeit auch auf gleich­zei­tig erfolgte lai­zis­ti­sche Gründungen in der Partei DIE LINKE (hierzu sprach der Rezensent) und lai­zis­ti­sche Bestrebungen inner­halb der Grünen hin­ge­wie­sen.

In der Frage „Auf- oder Abbaustrategie” wider­spricht Ingrid Matthäus-Maier in aller Deutlichkeit der von Horst Groschopp ver­tre­te­nen „Aufbaustrategie” des HVD und plä­diert ihrer­seits für einen kon­se­quen­ten Laizismus.

Sie geht daher auch auf das Problem der Gleichbehandlung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein. Hierzu schreibt sie:

„Man kann für oder gegen die soge­nannte Aufbaustrategie sein. Ein Weg zur Trennung von Kirche und Staat ist sie jeden­falls nicht. (…) [Die Kirchen; SRK] wer­den kei­nes­falls den Zugriff auf Kinder im Kleinkindalter und in der Grundschule aus der Hand geben – zusam­men mit der Taufe ist dies[der soge­nannte Religionsunterricht; SRK] das Einfallstor für ihre kirch­li­che Missionierung.” (S. 93)

Dem Herausgeber ist zu dan­ken, daß er dem Beitrag von Ingrid Matthäus-Maier drei wich­tige Dokumente ange­hängt hat: Die „Forderungen der Jungdemokraten zur Trennung von Kirche und Staat” vom 28.01.1973, den FDP-Parteitagsbeschluß „Freie Kirche im Freien Staat” vom 1. Oktober 1974 sowie die „Forderungen” der SPD-Laizisten vom 16. Oktober 2010.

Der zweite Komplex die­ses Sammelbandes wird ein­ge­lei­tet mit einem Aufsatz von Jürgen Hartmann (Jurist und CDU-Politiker) „Das deut­sche Staatszeremoniell und seine weltanschaulich-religiöse Pluralität”. Einzuwenden ist schon am Titel, daß eine sol­che Pluralität in der Bundesrepublik eben nicht gibt!

Wie es sich für einen frü­he­ren lei­ten­den Angestellten der Konrad-Adenauer-Stiftung wohl gehö­ren muß, wer­den in dem Zusammenhang u.a. die Jugendweihe und das Staatszeremoniell der DDR („Bruderkuss”; pro­to­kol­la­ri­sche Rangfolgen in der „klas­sen­lo­sen Gesellschaft” der DDR) denun­ziert. Hierzu sei nur gesagt, daß sich die DDR nie­mals als „klas­sen­los” (auch nicht in ihrer Verfassung) bezeich­net hat, son­dern stets auf zwei Klassen (Arbeiter, Genossenschaftsbauern) Bezug nahm.

Durchaus lesens­wert sind jedoch die his­to­ri­schen Reminiszenzen (Kaiserreich, Weimarer Republik) und die bun­des­deut­schen Entwicklungen sowie die diver­sen Formen des staat­li­chen Zeremoniells.

Hartmann plä­diert ohne Wenn und Aber für Kreuz-Symbole bei Staatsakten und in den Klassenräumen von staat­li­chen Schulen. Auch das Kommando „Helm ab zum Gebet!” beim Zapfenstreich ist für ihn ein unbe­ding­tes Muß.

Es folgt ein Beitrag des Religionswissenschaftlers Jörg Rüpke „Über­le­gun­gen zur öffent­li­chen Festkultur aus ritual­theo­re­ti­scher Perspektive”.

In Auseinandersetzung mit Rüpke, und des­sen beeng­ter Weltsicht, schreibt Hummitzsch tref­fend:

„Für den Religionswissenschaftler Jörg Rüpke schei­det der StaStaat auf­grund des Fehlens einer gemein­schaft­li­chen Weltanschauung als Veranstalter staat­li­cher Rituale aus. Es könne nicht mehr Aufgabe des Staates sein, Staatsakte mit dem Ziel der gesell­schaft­li­chen Integration zu orga­ni­sie­ren. (…) Fragt sich, was aus der öffent­li­chen Fest- und Zeremonialkultur wird, wenn diese nicht der Staat orga­ni­siert? Gibt es bald nur noch kirch­lich geprägte Zeremonien…?” (S. 15)

Zugespitzt könnte man auch sagen, für Rüpke und sei­nes­glei­chen gibt es keine (mün­di­gen) Staatsbürger mehr, son­dern nur noch Gläubige (ver­ein­nahmt von den soge­nann­ten Amtskirchen…).

Insa Eschebach, eben­falls Religionswissenschaftlerin, geht auf die Totenehrungen (im frü­he­ren Frauen-KZ) Ravensbrück ein und wen­det sich hier den „Religiösen und nicht­re­li­giö­sen Sprachen des Gedenkens” zu.

Wie selbst­ver­ständ­lich wird von ihr Kultisches als ori­gi­när christ­lich ange­se­hen. Als ob nicht das Kirchenchristentum die Rituale und Festtage ande­rer anti­ker Kulturen und Religionen ver­ein­nahmt hätte… Auch Eschebach kann sich Seitenhiebe auf die DDR nicht ver­knei­fen und arbei­tet mit fal­schen Bezeichnungen. Nur ein Beispiel: Die „Kampfgruppen” wer­den von ihr als „soge­nannte Kampftruppen” bezeich­net.

Und wenn sie schreibt, daß „seit den 1990er Jahren auch poli­ti­sche Repräsentanten Deutschlands” in diese Gedächtnisarbeit ein­be­zo­gen wur­den, dann wird mit einer sol­chen Einseitigkeit die DDR gänz­lich igno­riert.

Zur Berliner „Neuen Wache” heißt es bei ihr: „Nach der Umgestaltung der Neuen Wache 1993 weist nun nichts mehr auf die frü­here Nutzung” hin. (S. 154)

Ja, wer hat denn umge­stal­tet und wer hat diese Umgestaltung ver­an­laßt? Übri­gens, das der DDR heut­zu­tage unter­stellte ein­sei­tige Gedenken an (kom­mu­nis­ti­sche) Widerstandskämpfer wird von ihr aller­dings selbst ad absur­dum geführt: „Der Kubus [in der Gedenkstätte; SRK] ent­hielt damals die Asche eines unbe­kann­ten Soldaten [der Wehrmacht; SRK] und eines unbe­kann­ten Widerstandskämpfers.” (S. 154)

Voll anschlie­ßen kann sich der Rezensent den Ausführungen des Philosophen Joachim Kahl: „Ein kri­ti­scher Blick auf die öffent­li­che Trauer- und Gedenkkultur in Deutschland”.

Ausgehend vom „Fall Augstein” setzt sich Kahl mit der pfäf­fi­schen Dreistigkeit und der Kumpanei der Politik aus­ein­an­der, selbst dezi­dierte Atheisten mit­tels „öku­me­ni­scher Gottesdienste” für die Kirchen ver­ein­nah­men.

Kahl geht auch auf den Begriff der Öku­mene (Öku­me­ni­zi­tät) ein und daß die­ser antike Begriff durch die christ­li­chen Kirchen ver­ein­nahmt und in sein Gegenteil ver­kehrt wor­den ist.

Er fragt in aller Deutlichkeit: „Wieso Gottesdienste? Sollte es nicht um einen Dienst an Menschen gehen?” (S. 163) Wenn wei­ter­hin auch Nicht- und Andersgläubige mit öku­me­ni­schen Gottesdiensten ver­ein­nahmt wür­den, dann „schlägt Trauerkultur in Trauerunkultur um”. (S. 163)

Über „Ansprüche an eine moderne Erinnerungskultur” geht es im zwei­ten Beitrag von Horst Groschopp „Humanismus und Geschichtskultur”: Lutherehrung 2017 – und der Humanismus?”

Er schreibt: „In der gro­ßen Kulturenquete des Deutschen Bundestages vom Dezember 2007 kommt der Begriff Humanismus nicht ein ein­zi­ges Mal vor, umso mehr wer­den die Kirchen als Kulturträger gewür­digt.” (S. 167)

Der Autor geht in sei­nem Beitrag den Fragen nach, was Geschichtskultur ist und was Erinnerungskultur von Geschichtskultur unter­schei­det. Er geht dann kurz auf den „DDR-Humanismus” und die „Humanistengemeinden” vor rund 100 Jahren ein. Drei „Politische Vorschläge” (dar­un­ter für eine „Enzyklopädie des Humanismus”) run­den die­sen Aufsatz ab.

Sehr lesens­wert ist der Aufsatz des Religionswissenschaftlers Horst Junginger „Religiöser Humanismus”, auf den hier lei­der aus Platzgründen nicht näher ein­ge­gan­gen wer­den kann.

Auf S. 186 schreibt Junginger zur Enzyklika des Papstes Leo XIII. vom 20. Juni 1888:

„Das Wesen der mensch­li­chen Freiheit bestehe nicht in eigen­süch­ti­ger Gleichmacherei, son­dern in der Unterordnung des Menschen unter das durch die Kirche ver­mit­telte Gesetz Gottes.”

Freiheit ist also die Unterordnung des Menschen unter die Priesterkaste! So und nicht anders muß man auch die sal­bungs­vol­len Worte eines heu­ti­gen pas­to­ra­len Freiheitslehrers rich­tig ver­ste­hen. So wie die Priesterkaste unter „Liebe” und „Friede(n)” gänz­lich ande­res ver­ste­hen als mün­dige und auf­ge­klärte Staatsbürger…

Junginger setzt sich fer­ner mit dem Theologen Karl Barth aus­ein­an­der, nach wel­chem dies gelte:

„Lehne der Mensch, in wel­cher Variante des Humanismus auch immer, die christ­li­che Wahrheit ab und setze sich selbst an die Stelle Gottes, müsse das zwangs­läu­fig zu inhu­ma­nen Verhalten füh­ren.” (S. 189)

Hier erüb­rigt sich wohl jeder Kommentar!

Ausführlich geht der Autor dann auf die drei „Humanist Manifestos” von 1933, 1973 und 2003 ein und stellt abschlie­ßend die Frage, ob es über­haupt eines reli­giö­sen Humanismus bedürfe.

In den Sammelband wurde schließ­lich noch ein Beitrag des Literaturwissenschaftlers Heinz-Bernhard Wohlfahrth auf­ge­nom­men: „Politischer Humanismus und uni­ver­selle Veränderungspflicht”.

Für den Rezensenten ist dies lei­der eine abge­ho­bene aka­de­mi­sche Betrachtung, die der Über­schrift nicht gerecht wird.

Es ehrt die Humanistischen Akademien aber immer wie­der aufs Neue, daß auf ihren Veranstaltungen nicht nur Humanisten im enge­ren Sinne zu Wort kom­men, son­dern nicht min­der auch Theologen, und daß auf diese Weise wirk­lich kon­tro­vers dis­ku­tiert wer­den kann.

Siegfried R. Krebs

Horst Groschopp (Hrsg.): Humanismus – Laizismus – Geschichtskultur. Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin, Bd. 6. 226 S. m. Abb. brosch. Alibri-Verlag. Aschaffenburg 2013. 18,00 Euro. ISBN 978-3-86569-114-9

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]


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