Südlich von Medellín befindet sich das kleine Örtchen Salento. Unweit davon wiederum liegt das Valle de Cocora, wo die berühmten Palmas de Cera (Nationalbaum Kolumbiens) wachsen. Der Pfad, der das Tal umgab war beschwerlich: Wir – meine Überlebensstrategie zwang mich, mich einer Gruppe anzuschließen – begannen den Rundgang inmitten von Wiesen. Grasende Kühe. Im Wind zischendes Gras. Bereits hier versank ich im Schlamm. Da ich Gummistiefel trug, machte mir das nichts aus, im Gegenteil – dann reichte mir der kalte Schlamm bis zu den Knien. Das machte mir dann doch etwas aus. Danach hangelte ich mich am Stacheldraht, links und rechts vom Weg, entlang. Grün verkleidete Berge drangen in Nebel. Stimmen, vom Wind zerrissen, flatterten vorbei. Muhen. Kuhglocken. Wir betraten Wald: Es wurde klammer, düsterer. Die Flüsse waren so reißend, dass man auf – zu Stegen gebündelten – Baumstämmen entlang balancierte musste, was hätte Houbi hier für eine Freude. Ich begann mich fremd in mir zu fühlen. Meine Erinnerungen, Assoziationen, Träumereien, Gefühle verwuchsen zu einem tiefen Dschungel. Das Sinnen war eine in ihn geschlagene Bresche. Sie schlängelte feige umher, wie die Lüge um die Wahrheit. Der Grund war matschig. Es ging auf und ab. Immer wieder rutsche ich aus, hielt mich an meterlangen Palmenblättern, die Schultern streifenden Lianen und morschen Wurzeln fest. Mein Schweiß tropfte mir auf die Schuhe, auf Stein. Das beruhigende Rauschen der Ströme spülte unsere Gespräche fort. Wusch mir den verkrusteten Dreck aus der Seele.
An einem Bauernhaus machten wir halt. Es war gleichzeitig Umkehrpunkt. Wir kauften uns schwarzen heißen Kaffee. Die Mädels tranken Kakao, in den sie Käse tunkten. Wir begannen zu frieren. Kolibris schwirrten umher. Der Himmel begann sich zu schwärzen. Regen. Wir gingen zurück, folgten diesmal aber einem anderen Pfad, der uns durch eine märchenhafte Landschaft führte: Der Nebel wurde mutiger: Er sank immer tiefer zu uns hinab. Verwandelte die Luft in Wasser, porträtierte die Natur als Aquarell. Mitten aus dem milchigen Nebel sprießten Palmen. 50 Meter hoch. Und während eine Palme wächst wird ein Mensch geboren, er wird Erwachsen, verliebt sich, zeugt Kinder, zieht sie auf, wird alt, stirbt, während seine ergrauten Kinder auch schon Kinder haben, welche seit Jahren schon aus dem Haus sind, und sich, die große Liebe oder bereits einen Kinderwagen suchen … und die Palme wächst noch immer, spießt verirrte Wölkchen auf und hält ihre Krone über unseren Köpfen.
Meine Kamera ging aufgrund des Regens kaputt. Zwei Stunden zuvor behauptete ich noch, sie sei unkaputtbar.