Sahra Wagenknecht an der HU Berlin – Eine kritische Würdigung

Die Systemfrage nicht nur stellen, sondern sie auch debattieren…

Sahra Wagenknecht an der HU Berlin – Eine kritische Würdigung

Von Florian Hauschild

Am Abend des 22. November 2011 lud der SDS der Berliner Humboldt-Universität zum Gespräch mit Sahra Wagenknecht. Der Titel der Veranstaltung: „Eurokrise, Krise der Hochschulen, gemeinsamer Widerstand?“ Eine offensichtliche Suche nach Dialog der Linken-Vize mit „der Bewegung“. Wer sich auf Augenhöhe begibt, dem sollte auch Beachtung geschenkt werden. Denn auch wenn sich „die Bewegung“ deutlich gegen Parteien positioniert, so ist auch klar: Noch existieren sie.

Nun gehört Wagenknecht ohnehin zu den intelligenteren Menschen, die die bundesdeutsche Parteienpolitik zu bieten hat, lässt keine Zweifel an Integrität und einer sozialen Grundeinstellung und bietet sich daher im besonderen Maße als Gesprächspartnerin an. Hinzu kommt ein außergewöhnlicher ökonomischer Sachverstand gepaart mit dem nötigen Mut die Dinge beim Namen zu nennen.

So führte Wagenknechts Vortrag recht kompetent durch die Absurditäten internationaler Finanzmarkt-Realität. Staatsverschuldung in Billionenhöhe, Zockermentalität der Finanzmarktakteure, durch Banken korrumpierte Regierungspolitiker, schlichtes Nichtwissen vieler beteiligter Akteure. Wer die eine oder andere Bundestagsrede von Sahra Wagenknecht kennt, dem bot der Vortrag zunächst nicht viel Neues. Einzig: Laut Wagenknecht ist Die Linke nun lobenswerteweise von der Forderung nach Eurobonds (im EU-Neusprech künftig „Stabilitätsbonds“) abgerückt.

Wagenknechts Grundthesen: a) Die Systemfrage muss gestellt werden b) die Umverteilung von „unten“ nach „oben“ ist vor allem auch Folge der unsozialen Steuerpolitik der vergangenen Jahre c) die so genannten „Rettungsmaßnahmen“ dienen einzig und allein dem Zweck, dass die materiellen Profiteure des bestehenden Systems Zeit gewinnen und somit ihr eigentlich wertloses Geld weiter in Sachwerte umwandeln können (Privatisierungen, Pfändungen, Aufkauf), d) kurzfristige Maßnahmen wären eine steuerliche Rückverteilung von „oben“ nach „unten“, e) mittelfristig muss das Recht der Geldschöpfung den privaten Banken entzogen werden und an eine zu gründende öffentliche Bank übertragen werden. Die Staatsfinanzierung liefe dann also nicht mehr über Kredite des Privatbankensektors sondern über Kredite von einer öffentlichen Institution. f) Ausgehend davon könnte dann ein Schuldenschnitt vollzogen werden, der nicht nur die „kleinen Sparer“ trifft, sondern vor allem bei den materiellen Profiteuren des (noch) bestehenden Systems zugreift, denn klar ist auch g) ein unkontrollierter Crash würde vor allem die sozialen Sicherungssysteme, die Spareinlagen und somit die Mitte der Bevölkerung treffen und die in Sachwerte investierten Superreichen schonen. h) Nach dem Schuldenschnitt würde dann ein Großteil der Zinskosten der öffentlichen Haushalte wegfallen, außerdem gilt es die Eigentumsverhältnisse neu zu regeln, die „Krise“ wäre quasi gelöst.

Der überwiegenden Mehrzahl dieser Thesen kann zugestimmt werden, einige Aussagen verkürzen die Grundproblematik allerdings unnötig und verharren damit im systemimmanenten Denken. Wer die Systemfrage stellt, muss nun mal auch bereit sein sie zu debattieren.

Wagenknechts blinde Flecken

Obwohl Sahra Wagenknecht sich der Fehlerhaftigkeit des bestehenden Fiat-Money-Systems voll bewusst ist, wie sie in Kapitel 2 (S. 65-82) ihres Buches „Freiheit statt Kapitalismus“ zeigt, zieht sie es klar erkennbar vor in der öffentlichen Debatte dieses Thema zu umschiffen, wie dies nur möglich ist. So fallen auch während ihres Vortrags an der HU Berlin weder die Begriffe „Zinseszins“, „Giralgeldschöpfung“, „Schneeballsystem“, „Enteignung durch Schuldgeld“ oder ähnliche prägnante Worte. Es ist zu vermuten, dass Frau Wagenknecht diese Punkte wahrscheinlich auch aus taktischen Gründen nicht explizit benennt. Vor allem Denunzianten der aufgeklärten Geldsystemanalyse aus dem linksextremen Spektrum machen es intelligenten Menschen wie Wagenknecht schwer, sich auch in dieser Thematik voll in die Debatte einzubringen.

Spätestens bei Wagenknechts Lösungsvorschlag, dem einer öffentlichen Bank zur Staatsfinanzierung, wird allerdings klar, dass die Linken-Vize gewillt ist, die Problemlage auch als solche zu akzeptieren. Zu kritisieren ist hier allerdings Wagenknechts zentralistischer Ansatz. Eine zentrale öffentliche Instanz der Geldschöpfung ist in hohem Maße korruptions- und unterwanderungsgefährdet. Darüber hinaus wurden in der Vergangenheit sehr schlechte Erfahrungen mit einem Geldschöpfungsmonopol in staatlicher Hand gemacht. Viele Kritiker werden sich hier nur schwerlich bis gar nicht überzeugen lassen.

So muss sich auch Frau Wagenknecht die Fragen stellen: Wieso kann Geld eigentlich nicht dezentral geschöpft werden? Und: Wieso muss Geld zwangsweise als Schuld „geboren“ werden, wenn es doch letztlich ohnehin wertlos ist und das bloße Vertrauen Grundlage der Kaufkraft des Geldes ist?

Ein revolutionärer Schritt wäre daher, anstelle von Wagenknechts Vorschlägen, eine undogmatische Wiederaufnahme der Debatte um ein Bedingungsloses Grundeinkommen verbunden mit Fragen der dezentralen Geldschöpfung zu führen.

Ebenfalls zu kritisieren ist Wagenknechts sehr starke Fixierung auf „Zocker“ und Steuer-Irrsinn. In einem Giralgeldsystem in dem die Geldmengen und damit auch die Schulden mathematisch bedingt und somit zwangsweise exponentiell steigen müssen, bleibt systeminternen Finanzmarktakteuren doch gar nichts anderes übrig als sich ständig neue „Produkte“ auszudenken, die diese Verschuldungsorgien dann ermöglichen.

Somit ist vor allem auch Wagenknechts These zu verwerfen, das Steuerrecht habe einen ursächlichen Einfluss auf die zu beobachtenden Verwerfungen. Eine asoziale Steuerpolitik lässt sich vielmehr als Ergebnis eines (teil-)korrupten politischen Systems verstehen und ist eher als Nebenkriegsschauplatz einzuordnen. Keine Frage, hier wird abgesahnt. Ursache der ständigen Enteignung der 99% ist (neben den Eigentumsverhältnissen bei den Produktionsmitteln) jedoch die schlichte Mathematik des bestehenden Geldsystems.

Wagenknecht und Die Linke – Parteien überwinden

Der Hauptkritikpunkt an Sahra Wagenknecht muss sich jedoch zweifellos darauf beziehen, dass sie Mitglied einer Partei ist. Nun war es in der Vergangenheit zwar so, dass politische Ideen meist nur über Parteien organisiert und formuliert werden konnten, aber genau dies gilt es ja nun zu überwinden.

Wagenknecht fordert, die Systemfrage zu stellen. Dies muss in letzter Konsequenz auch heißen, dass Wagenknecht selbst bereit ist, das Parteien- und Repräsentativsystem in Frage zu stellen. Als aufgeklärter Mensch – womit Wagenknecht Seltenheitswert im Parteiensystem genießt – steht die Linken-Vize in der Verantwortung, diese Fragen in der eigenen Partei voranzutreiben. Wenn die Solidaritätsbekundungen an „die Bewegung“ auf Gegenliebe stoßen sollen und Die Linke eine breite Unterstützung für die von ihr formulierten Feuerwehrmaßnahmen (etwa radikale Änderung des Steuerrechtes) erwarten will, muss sich die Partei auch in direktdemokratischen Frage den wachsenden Protestbewegungen annähern. Ein konstruktiver Ansatzpunkt wäre hier beispielsweise die Thematisierung des Konzeptes „Demokratie 4.0“, das sich derzeit in Spanien großer Beliebtheit erfreut.

„Die Bewegung“ und Die Linke

Von Seiten der Protestbewegten sollten die Steuerpläne der Linkspartei unterstützt werden, sofern die Partei ein klares Signal in Richtung direkte Demokratie erkennen lässt. Hierbei sollte aber immer deutlich gemacht werden: Bei all dem kann und darf es sich nur um einige allererste Schritte handeln. Es muss unbedingt klargestellt werden, dass am radikalen Systemwechsel kein Weg vorbei führt, um zu verhindern, dass derlei systeminterne Maßnahmen Protestpotential verpuffen lassen; dass der Protest „weggekauft“ wird.

Es gilt systeminterne Akteure wie Wagenknecht, die zweifelsfrei auf dem richtigen Weg sind, gezielt zu unterstützen und auch gegen „friendly fire“ aus deren eigenen Reihen in Schutz zu nehmen. Parteien sind Organisationsstrukturen in denen sich eine Vielzahl meist wenig begabter Menschen um eine kleine Zahl Glanzlichter gesellt, in der Hoffnung es möge doch etwas vom Schein der Lichtgestalten auf sie abstrahlen. Dies gilt es klar zu erkennen und in der generellen, heute meist eher diffusen Kritik an politischen Parteien, zu konkretisieren.

Unter diesen Vorraussetzungen ist ein verstärkter strategischer Austausch „der Bewegung“ mit den beiden letzten relevanten Parteien, die demokratische Minimalstandards erfüllen (Die Linke, Piraten), durchaus zu debattieren.

Sahra Wagenknecht an der HU Berlin – Eine kritische Würdigung
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Zum Thema:

- 21. Pleisweiler-Gespräche mit Sahra Wagenknecht



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