Saft-Fasten: Eine Tragödie in fünf Akten – Epilog: „Aufbautag“

Von Christianhanne

Es ist Samstag. Die Saft-Fasten-Tage sind endlich rum. Man sollte meinen, dies ist ein Grund für ekstatische Vorfreude auf kulinarische Hochgenüsse. Ist es aber nicht. Denn vor das leckere Essen haben die Fasten-Päpste den Aufbautag gesetzt. Durch diesen sollen sich Organismus und Verdauung wieder langsam an feste Nahrung gewöhnen. Deswegen sind heute Schinkenbrote, Pizza, Kuchen und ähnliche Köstlichkeiten noch Tabu (An dieser Stelle hebt Fasten-Engelchen Körner-Klaus mahnend seinen dürren Zeigefinger.). Stattdessen stehen heute ein reifer Apfel, Knäckebrot mit Rohkost sowie ungesalzene Gemüsesuppe auf dem Speiseplan (An dieser Stelle schüttelt Fress-Teufelchen Fred fassungslos den Kopf.).

Reifer Apfel. Das höchste der Post-Fasten-Gefühle.

Damit die Freude über das Ende der Fasten-Tage nicht zu groß wird, darf ich heute Morgen um 6 Uhr aufstehen und mit dem Sohn zu einem Judo-Turnier fahren. Nach Jüterbog, irgendwo ins brandenburgische Nirwana.

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Noch im Autopiloten-Modus schnappen der Sohn und ich uns die Taschen mit Judo-Klamotten und Proviant, die die Freundin gestern Abend bereits gerichtet hat. Auf dem Weg zur U-Bahn kommen uns die Nachtschwärmer entgegen, die nach Hause strömen. Wie es sich gehört, sind die meisten von ihnen stark angetrunken und stillen ihren Bierhunger stilecht mit Dönern, Pommes und Burgern. So eine Bier-Fastenkur wäre eigentlich eine sehr attraktive Alternative zum Fasten mit diesen satanischen Gemüsesäften. Wenn ich die Idee geschickt vermarkte, könnte ich sehr reich werden!

Fahren mit der U-Bahn einige Stationen bis nach Spandau. Von dort nimmt ein anderer Judo-Vater uns und den Judo-Trainer netterweise mit dem Auto mit. Kaum geht die Fahrt los, packt der Trainer, der vor mir auf dem Beifahrersitz hockt, ein riesiges Vollkorn-Baguettebrötchen aus, das zentimeterdick mit Schinken und Käse zu einem teiggewordenen Mount-Everest belegt ist. Es sieht nicht nur äußerst appetitlich aus, sondern duftet auch köstlich.

Fress-Fred fordert mich auf, den Trainer von hinten mit dem Sicherheitsgurt zu würgen, ihm das Brötchen zu entwenden und dann zu verspeisen. Fasten-Engelchen Körner-Klaus macht mich allerdings darauf aufmerksam, dass der Trainer ein Hüne von mehr als 1,90 Metern und circa 90 Kilogramm ist und außerdem den 4. Dan im Judo hat. Pflichte Körner-Klaus bei, dass dies alles Argumente sind, die gegen einen Mundraubversuch sprechen.

Versuche mich abzulenken, indem ich aus dem fahrenden Auto schaue. Hier in der brandenburgischen Pampa weinen sie wahrscheinlich heute noch, wenn von den ‚blühenden Landschaften‘ die Rede ist. Die Orte, durch die wir fahren, sind trostloser als unser Speiseplan der letzten Woche. Sie sind sozusagen die Sauerkrautsäfte unter Deutschlands Dörfern.

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Als wir endlich in der Sporthalle ankommen, hält der Aufbautag eine besondere Prüfung für mich bereit. Eines der Judo-Kinder hat Geburtstag und seine Eltern haben Berge lecker duftender Mini-Muffins mitgebracht. Egal wie oft die Kinder zugreifen – und sie greifen oft zu –, die Schüsseln mit den Muffins werden nicht leerer.

Stehe derweil etwas abseits und mümmele meinen reifen Apfel. Die Fastentage haben meinen Geschmackssinn anscheinend geschärft und das Verspeisen des Apfels ist ein ganz besonderes Verzehrerlebnis. Allerdings kein besonders befriedigendes Verzehrerlebnis, wenn um einen herum die verfressenen Plagen (inklusive Fred) Mini-Muffins in sich hineinstopfen. Auch durch stärkste Autosuggestion vermag ich nicht, meinen Apfel geschmacklich in ein Mini-Küchlein zu verwandeln.

Schließlich beginnen die Kinder mit dem Aufwärmen. Ich stelle fest, dass das Saft-Fasten nicht nur meinen Geschmacks-, sondern anscheinend auch den Geruchssinn sensibilisiert hat. Dies ist nicht unbedingt von Vorteil, wenn man einer Sportart beiwohnt, die barfuß ausgeübt wird und bei der die Teilnehmer sehr viel schwitzen. Außerdem weichen die Hygienevorstellungen einiger Hallenbesucher stark vom sozial akzeptierten Standard ab. Möglicherweise haben sie auch eine Dusch- und Deo-Allergie. Man weiß es nicht. Olfaktorisch ist es ohnehin egal, was für den Pumakäfig-Geruch in der Halle ursächlich ist.

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Der Sohn muss erst am frühen Nachmittag kämpfen, so dass ich vorher um 12 Uhr meine Mittagsmahlzeit einnehme: Knäckebrot mit Gurke und Tomate. Das Knäckebrot zu buttern sowie Gurke und Tomate zu salzen und pfeffern, wäre wahrscheinlich zu viel Rock ´n Roll nach dem Saft-Fasten. Daher haben es die Fasten-Päpste verboten.

Körner-Klaus doziert altklug, die Magensäfte seien nach dem Fasten noch nicht auf Fett und Gewürze eingestellt. Er verstummt erst, als ich ihn frage, ob Ohrfeigen nach den nahrungslosen Tagen erlaubt seien. Kaue missmutig meinen kärglichen Proviant, während die Kinder um mich herum weiterhin Muffins essen, als gäbe es keinen Morgen mehr.

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Dann beginnt der Sohn mit seinen Kämpfen. Dies ist eine willkommene Abwechslung, da sich durch das Zuschauen die Gefahr minimiert, dass ich meinen Kopf in eine der Muffin-Schüsseln stecke und die kleinen Kuchen inhaliere.

Der Sohn macht seine Sache sehr gut. Er wird in seiner Alters- und Gewichtsklasse Zweiter. Danach nötigt er mich, ihm etwas zu essen zu kaufen.

Normalerweise ist das kulinarische Angebot auf Judo-Turnieren von eher fragwürdiger Qualität. Aber heute sehen die Kuchen für mich so verlockend aus, als fänden parallel zum Judoturnier die deutschen Konditorenmeisterschaften statt. Und auch die Bockwürstchen aus der Dose machen auf mich einen derart appetitlichen Eindruck, als habe sie der auferstandene Paul Bocuse höchstpersönlich zubereitet.

Merke, wie Körper und Geist immer schwächer werden und ich nicht dafür garantieren kann, mich nicht auf das Kuchenbuffet zu stürzen. Gebe dem Sohn daher einen 10-Euro-Schein und sage, er solle sich kaufen, worauf er Lust hat. Aufgrund meiner an Präzision zu wünschen übrig lassenden Anweisung kommt der Sohn kurze Zeit später mit einem Teller zu mir, auf dem er zehn Stück Kuchen balanciert.

Eigentlich eine gute Investition der zehn Euro. Noch besser wäre sie allerdings, wenn ich etwas abbekommen könnte.

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Bei der Siegerehrung stellt sich heraus, dass die Mannschaft des Sohnes so erfolgreich gekämpft hat, dass sie ein Preisgeld von 50 Euro gewinnt. Der Trainer verkündet, dass das Team von dem Geld zu McDonald’s geht. Die Kinder brechen in Jubel aus, ich fange an zu weinen. Erkläre den anderen Eltern, es seien Freudenträne, was mit einer Mischung aus Be- und Verwunderung aufgenommen wird.

Bei dem amerikanischen Fast Food-Laden angekommen, werden zur großen Freude von Fress-Fred und zum noch größeren Entsetzen von Körner-Klaus Unmengen von Happy Meals, Burgern, Pommes, Chicken Nuggets und zuckerhaltigen Soft-Drinks geordert.

Während Kinder und Eltern sich über das Fast Food hermachen, fragt mich der Trainer, ob ich wirklich nur ein Wasser trinken und nichts essen wolle. Erkläre ihm, dass ich gerade eine Woche Saft-Fasten hinter mir habe und heute erst Aufbautag wäre. Der Trainer schaut mich an, als hätte ich gerade verkündet, bei Vollmond immer nackt auf Blumenwiesen zu tanzen und dabei schamanische Lieder zu singen. Danach widmet er sich wieder seinem McRib, den Chicken Wings und den Kartoffelspalten, die sich turmhoch auf seinem Tablett stapeln.

Fress-Fred wird angesichts des ganzen Essens und der Gerüche fast ohnmächtig. Pausenlos fordert er mich auf, von den Pommes und den Chicken Nuggets zu nehmen. Schließlich wird es mir zu bunt und ich herrsche ihn an: „Halt endlich die Fresse, Fred!“ Anscheinend habe ich dies nicht nur gedacht, sondern laut gesagt. Alle schauen mich höchst irritiert an. Murmele etwas von „Fasten-Tourette“ und nippe peinlich berührt an meinem Wasser.

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Zuhause angekommen hat die Freundin bereits die salzlose Gemüsesuppe mit Broccoli, Paprika und Lauch vorbereitet. Nach meinem asketischen Abendbrot gehe ich erschöpft ins Bett. Dort fasse ich den Entschluss, dass ein Aufbautag ausreichen muss. Ab morgen wird wieder richtig und lecker gegessen. Körner-Klaus protestiert aufs Schärfste, Fress-Fred und ich machen eine La-Ola-Welle.

The End!