Saft-Fasten. Eine Tragödie in fünf Akten – 3. Akt: „Rote-Beete-Most“

Alle Teile der Saft-Fasten-Tragödie gibt es hier zu lesen.

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5.45 Uhr. Der Wecker klingelt erbarmungslos. Frage mich, ob sich das Aufstehen überhaupt lohnt, wenn man den ganzen Tag nur abgrundtief widerwärtige Gemüsesäfte trinken darf. Wahrscheinlich nicht. Stehe trotzdem auf, da mir auch nach längerem Überlegen nicht einfällt, was ich als Entschuldigung für die Kinder schreiben könnte, warum sie nicht zur Schule kommen konnten („Ich bitte das Fehlen der Kinder zu entschuldigen, da es mir ein zu trinkender Sauerkrautsaft unmöglich machte, aufzustehen und die Kinder zu wecken.“).

Begebe mich in die Küche, um Frühstück und Pausen-Snacks für die Kinder zu machen. Über mir schwebt dabei das Damokles-Schwert des Sauerkrautsafts, der heute wieder auf dem „Speiseplan“ steht (Und hier können gar nicht genügend Anführungszeichen gesetzt werden!).

Rote Beete. Der heutige Endgegner.

Rote Beete. Der heutige Endgegner.

Bereite zwei Gläser mit dem Elendssaft vor und rufe die Freundin. Die faltet derweil im Bad mit größtmöglicher Akribie Wäsche, um Zeit zu schinden wie ein italienischer Fußballer, der kurz vor Schluss mit 1:0 in Führung liegt. Nur dass auf sie keine Siegesfeier wartet, sondern Sauerkrautsaft. Schließlich kommt sie missmutig in die Küche getrottet.

Halte ihr eines der Gläser mit den Worten hin: „Wir die Totgeweihten grüßen dich, oh Sauerkrautsaft.“ Ich finde den Spruch recht gelungen. Die Freundin schaut mich dagegen an, als ob sie sich mit sofortiger Wirkung von mir trennen will. Allerdings nicht ohne mir vorher den Sauerkrautsaft ins Gesicht zu schütten. Glücklicherweise verlässt sie einfach wortlos den Raum und lässt mich mit dem Sauerkrautsaft alleine zurück.

Das Fasten-Engelchen Körner-Klaus taucht auf und ermuntert mich, meinen Saft zu trinken. Sein Antagonist, Fress-Teufel Fred, schüttelt dagegen den Kopf und schlürft eine heiße Schokolade. Nehme einen winzigen Schluck der Plörre und es schaudert mich ganz fürchterlich. Warum protestiert eigentlich niemand gegen die Sauerkrautisierung des Fastens? Dafür lohnte es sich doch, auf die Straße zu gehen. Hedonistische Esser gegen abartigen Sauerkrautsaft. HEGAS! Da wäre ich sofort dabei. Schütte als ersten Schritt des Protests den Saft in den Ausguss. Finde meinen Darm auch ohne Sauerkrautsaft ausreichend gereinigt (Eine Information, die die Leserinnen und Leser sicherlich brennend interessiert!).

Nehme mir danach meinen Saft des Tages – „Rote Beete Most“ –, verabschiede mich von Freundin und Kindern und fahre mit dem Rad zur Arbeit.

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Heute ist das Hungergefühl zum Glück nicht ganz so stark und ich sehe kein überdimensioniertes Gebäck auf der Straße. Dafür fällt mir auf, dass es in Berlin anscheinend eine sehr florierende Industrie gibt, die sich auf den Verkauf von Lebensmitteln und die Zubereitung von Speisen spezialisiert hat. Zwischen der Wohnung und dem Büro gibt es unglaublich viele Bäckereien, Coffeeshops, Restaurants, Döner-Buden und Schnell-Imbisse. Und zwar exakt 21 Bäckereien, 7 Coffeeshops, 14 Restaurants, 17 Döner-Buden und 10 Schnell-Imbisse. Habe jeden einzelnen Laden gezählt und mir dabei vorgestellt, was ich dort essen könnte. Darüber hinaus gibt es auf dem Weg noch 13 Kioske, an denen zum Beispiel Chips und Süßigkeiten angeboten werden, sowie 5 Kneipen, wo man sicherlich Bouletten, hergestellt aus qualitativ fragwürdigem Hackfleisch, verzehren kann. Wenn man denn will. Ich will.

Erreiche leicht sabbernd mein Ziel, wo ich das Fahrrad vor der Bäckerei neben unserem Büro anschließe. Vermeide tunlichst den Blickkontakt mit dem Streuselkuchen in der Auslage der Bäckerei, der mir freundlich zuwinkt. Renne stattdessen so schnell ich kann vor der Versuchung davon und ins Büro.

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Dort wartet auf mich die erste Prüfung des Tages: Der „Rote Beete Most“. Das Etikett informiert mich, dass er zu 99 Prozent aus Rote Beete Saft und zu 1 Prozent aus Acerolakirschmark besteht. Umgekehrt wäre mir das Verhältnis lieber. Dafür enthält der Saft keine Eier, keine Nüsse, keine Milch und auch sonst keine allergene Inhaltsstoffe. Leider auch keine Schokolade, dafür aber den elendigen Rote Beete Saft.

Tiefrot und drohend steht der Most vor mir. Bilde mir ein, dass er leise knurrt. Leicht wimmernd führe ich das Glas an meine Lippen und nippe daran.

Dann treffe ich die beste Entscheidung der letzten Tage: „Es! Geht! Nicht! Mehr!“ Ich kann das nicht trinken. Ein einziger weiterer Schluck würde mich töten. Das meine ich nicht sprichwörtlich und metaphorisch, sondern buchstäblich und ganz real. Wenn auch nur noch ein Milliliter des Mosts in meinen Körper gelangt, verweigern meine Organe sicherlich kollektiv den Dienst. Und das zu Recht. Wer wollte es ihnen verübeln? Durch meinen Tod wäre zwar ultimatives Fasten ohne jegliche Nahrungszufuhr möglich, aber so richtig hilft das ja auch keinem weiter.

Es gibt doch auch sehr leckere Säfte, die man trinken kann, da muss man sich ja nicht mit diesen Getränken, die der Anti-Christ gebraut hat, quälen. Beschließe, in den nahegelegenen Bio-Supermarkt zu gehen und mir einen milden Orangensaft zu kaufen. Das ist zwar nicht fastenkonform, aber das ist mir egal. Dies ist ein freies Land und niemand kann mich daran hindern, den Saft zu trinken, den ich mag. Freier Saft für freie Bürger! (Ein Slogan, den ich vielleicht der FDP zur nächsten Bundestagswahl verkaufen kann.)

Fress-Fred reckt jubelnd die Faust in die Luft und ruft: „Darauf einen Käsekuchen!“ Körner-Klaus hyperventiliert und stammelt: „Du hast schon den Sauerkrautsaft ausgelassen. Du kannst nicht auch noch Obstsaft trinken oder gar Kuchen essen. Das entweiht das Fasten!“ Energisch sage ich: „O-Saft ja, Käsekuchen nein!“. Jetzt sind beide schlecht gelaunt und verziehen sich mosernd.

Erlöst von der Knute der Gemüse-Säfte ist es mir erstmals seit Tagen möglich, einigermaßen normal zu arbeiten. Was auch bitter nötig ist, da sich auf dem Schreibtisch die unerledigten Projekte stapeln.

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Beseelt und zufrieden radele ich abends nach Hause. Dort erzählt die Freundin, dass ihr der „Rote Beete Most“ ebenfalls den Rest gegeben habe und sie auch auf Orangensaft umgestiegen sei. Freudentränend vergießend liegen wir uns in den Armen und beschließen, in den nächsten beiden Tagen bei den Obstsäften zu bleiben.

Nun stellt sich die Frage, was wir mit den ganzen Gemüsesäften machen, die wir übrig haben. Die Freundin erklärt, der Lebensgefährte ihrer Mutter trinke solche Säfte gerne und wir könnten sie ihm geben. Eine Vorliebe für Gemüsesäfte spricht zwar nicht gerade für guten Geschmack, aber ich mag den Lebensgefährten trotzdem sehr gerne. Und jetzt noch ein wenig mehr, weil er uns von den grauenvollen Säften befreit.

Der Abschied von den Gemüsesäften versetzt uns in Hochstimmung, so dass wir es nahezu mühelos schaffen, den Kindern Abendbrot zu machen. Die sind wenig begeistert, dass sie sich nicht wieder selbst Stullen schmieren und vor dem Fernseher essen dürfen.

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Nachdem die Kinder im Bett sind, schaffe ich es endlich mal wieder, abends noch ein wenig zu lesen. ‚Maria, ihm schmeckt’s nicht‘ von Jan Weiler. Allerdings wird in dem Buch – wie der Titel schon andeutet – in meiner Wahrnehmung viel zu viel gegessen. Der O-Saft hat mich zwar von den Gemüsesäften erlöst, ist aber trotzdem kein Ersatz für eine große Portion Spaghetti Bolognese mit Parmesankäse. Gebe daher das Lesen nach ein paar Seiten entnervt auf und gehe ins Bett. Gute Nacht!

Fortsetzung folgt!


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