Safe Heaven

Von Guidorohm

Ich bin mit meinem Wagen unterwegs. Fahre die Straße entlang. Nacht für Nacht. Immer nur diese eine Straße. Die Scheinwerfer reißen Löcher in die Nacht. Ich scheuche sie auf. Ich bringe die Nacht auf Trab. Die Nacht und ich träumen vom Blau des Himmels. Der Wagen schaukelt mich. Sanft. Ich spüre die Bodenwellen. Ich treibe auf dem offenen Asphaltmeer. Ich drehe die Scheibe nach unten. Das ist ein alter Wagen. Schon strömt der Nachtduft in meine Nase. Der Schweiß von Taumelnden. Ich bremse ab. Lausche. Betrachte den Zaun. Steinerne Pfosten. Überzogen von Moos. Langsam fahre ich weiter. Spüre dem Takt des Motors nach. Rechts erahnt man eine Seitenstraße. Die kenne ich gar nicht. Dabei fahre ich diese Straßen jede Nacht ab. Da ist einer von ihnen. Ein Spaziergänger. Ein Einzelgänger. Ein Nachtläufer. Sie sind unterwegs. Ebenso wie ich. Nacht für Nacht. Taumelnd. Sie tragen starre Gesichter. Sie tauchen so plötzlich wie diese Seitenstraße auf. Stehen da und sehen dich an. Alte Bekannte, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Ich winke ihnen zu. Ich bin ein Nachtfahrer, sage ich. Grenzpatrouille nennen sie das. Ich soll den Himmel schützen. Einer muss es ja tun. Ich bin auf Streife. Nacht für Nacht. Wieder einer von ihnen. Er steht am Straßenrand. Trägt einen blauen Pullover. Ich mag die Farbe. Es ist die Farbe des Himmels im Sommer. Ich hebe meine linke Hand. Führe sie zu meinem Hut. Du solltest dich wieder von der Nacht verschlucken lassen. Das sage ich nicht zu ihm. Ich denke es so laut, dass er mich auch so versteht. Meine Gedanken durchdringen die Nacht, weil sie sich nach dem Morgen sehnen. Ich drücke das Gaspedal. Fahre. Fahre. Ich werde noch fahren, wenn es die Nächte schon nicht mehr gibt. Auf Streife. Am Zaun entlang. Gesichter aufspüren. Den Gang der Taumelnden beobachten. Sie auf die andere Seite des Zaunes denken. Schon stoße ich auf das nächste Wild. Es hat den Wald hinter sich gelassen. Seine Häute aus Tüchern sollen es in den Waldnächten wärmen. Ich bremse kurz ab. Wild lässt sich vom Scheinwerferlicht blenden. Ich konnte nach meiner Waffe greifen. Es würde sie nicht überraschen. Ich bin der Himmelshüter. Der Nachtjäger. Sie kennen mich. Alle. Ich lass die Waffe stecken. Geh zurück in den Wald. Die Frau, das Wild, das betuchte Wesen rührt sich nicht von der Stelle. Fahr weiter, denke ich, fahr weiter. Die Nacht ist noch jung. Sie ist noch so tief. Sie wird kein Ende finden. Und doch willst du bis zu ihrem Ende vordringen. Ans Ende fahren. Und dann noch weiter. Weiter! Ich kontrolliere alles. Die Friedhöfe. Die Hochsitze. Die Löcher in den Bäumen. Und natürlich auch die Spielplätze. Da ist einer. Also anhalten. Ich könnte eine Zigarette rauchen. Die Sterne suchen. Vom Blau des Himmels träumen. Aber man hat nirgendwo seine Ruhe. Das nächste Gesicht. Eine Geschichte. Ganz bestimmt. Ein Mann, der sich aufs Starren versteht. Das sieht man ihm an. Ein Gesicht, das viel gesehen hat. Ein Gesicht, das ausgeträumt hat. Er sitzt auf einer Schaukel. Und natürlich schaukelt er nicht. Er sitzt einfach nur da. Schwitzt seine Lebensgeschichte in die Nacht hinaus. Er hat die Hände übereinander gelegt. Ruhe. Ein Nachtgewächs. Die Schaukel neben ihm ist leer. Dort sollte seine Frau sitzen. Sie war größer wie er. Sie wurde in einer fernen Nacht erschossen. Im Hintergrund erkenne ich eine Rutsche. Kein Kind. Das Kind kam nicht auf die Welt. Es starb in ihrem blutenden Bauch. Kein Blau, scheint er zu sagen. Meine Nächte kennen nicht einmal das Schwarz. Sie kennen nur das Rot. Ich könnte ihn einladen, mit mir zu fahren. Er könnte mit mir nach dem Blau suchen. Ich nicke ihm zu. Lass ihn sitzen. Ich lass ihn zurück. Dort auf dem Spielplatz der Toten. Er würde nicht fort wollen. Ich kenne den Ausdruck in solchen Gesichtern. Diese Augen. Die leben in einer anderen Nacht. Nicht in meiner. Jeder bleibt in seiner Nacht gefangen. Ich weiß es. Also starte ich den Wagen. Fahre weiter. Weiter! Hänge mein Gesicht aus dem Fenster. Sauge die Nachtluft ein. Es riecht nach nichts. Man spürt nur Kälte. Sie zerschneidet mein Gesicht. Gut so, denke ich. Schneide nur alles aus mir heraus. Auch die Erinnerungen an diese Nacht. Ich fahre am Nächsten vorüber. Wie hätte es auch anders sein können. Ein Asiate. Woher genau? Keine Ahnung. Ich kenne mich da nicht so aus. Die sehen alle gleich für mich aus. Taumeln aus der Nacht vor meinen Wagen und starren mich an. Dieser ist ein Rebell. Er trägt helle Kleidung. Er wehrt sich gegen die Dunkelheit. Will sie nicht wahrhaben. Die Sorte kenne ich. Ich müsste ihn mitnehmen. Aber ich bin müde. Warum sind die nicht müde, denke ich. Warum nur? Ich fahre schneller. Will fort von hier. Ich will endlich aus dieser Nacht raus. Ich fahre dicht an der Grenze entlang. Hier dicht an der Grenze findet man sie immer. Sie sind hier. Und ich bin hier. Wir brauchen uns. So wie die Nacht den Tag braucht. Sie sind mein Stoff. Diese Gesichter. Diese vielen Gesichter. Dort ein Mädchen in Schwarz mit hellen Turnschuhen. Ein paar Meter weiter sie. Weißes T-Shirt. Grüne Shorts. Sie lässt die Schultern hängen. Sie hat auf mich gewartet. Da bist du ja endlich, sagt ihr Körper zu mir. Ich fahre langsamer. Ich könnte sie mitnehmen. Sie überfahren. Ich bin der Herr dieser Nacht. Ich kann alles tun. Aber ich werde es nicht heute Nacht tun. Ich bringe den Wagen zum Stehen. Da bist du ja endlich. Vielleicht habe ich die Worte ausgesprochen. Vielleicht nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts mehr. Die Nacht hat sich in meinen Körper geschlichen. Ich winke sie zu mir heran. Sie kommt. Zögert. Gleich ist sie bei mir. Wir sollten in dieser Nacht nicht alleine sein. Das könnte ich sagen. Sie steht neben meiner Tür. Ich sehe sie nicht an. Blicke auf einen kleinen Kaffeefleck auf ihren T-Shirt. Ich habe nicht mal eine Entschuldigung gemurmelt. Ich bin einfach weiter gefahren. Immer tiefer, immer weiter in die Nacht hinein. Die Nacht verschluckt dich irgendwann. Ich hoffe darauf. Bis es soweit ist, werde ich meinen Wagen über diese Straße fahren und vom Blau des Himmels träumen.