Sächsische Flüchtlinge werden im südchinesischen Meer von sozialistischen Großkoalitionären aufgesammelt - Vermischtes 28.08.2019

Die Serie „Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Eine Idee vor dem Durchbruch?

Der Gründer der "Europäischen Stabilitätsinitiative" hat den EU-Türkei-Deal erfunden und Alternativen zur jetzigen Integrationspolitik entwickelt, nun reist er zwischen Afrika und Europa hin und her, um Unterstützer für seinen "Gambia-Plan" zu finden. Dieser sieht bilaterale Abkommen zwischen einem oder mehreren europäischen Staaten auf der einen und den Herkunftsländern der Migranten auf der anderen Seite vor: Europa hilft mit Geld und Know-how vor Ort, Lebensperspektiven zu verbessern und Fluchtursachen zu vermindern, und bietet zudem legale Wege zur Einwanderung in den europäischen Arbeitsmarkt. Im Gegenzug erklären sich die Herkunftsländer bereit, ihre irregulär nach Europa eingereisten Staatsbürger ab einem bestimmten Stichtag rasch zurückzunehmen. Knaus ist überzeugt: "Wir müssen den Herkunftsstaaten etwas anbieten, wenn wir wollen, dass sie mit uns kooperieren." Wenn sich der Deal herumspricht, meint er, würde der Flüchtlingsstrom versiegen. Um zu zeigen, dass es funktioniert, könnte das kleine westafrikanische Gambia als Modell dienen. "Der Plan wäre für alle Seiten eine Win-win-Situation", sagt Sozialdemokrat Fechner. Damit ließe sich das Leiden in libyschen Lagern und das Sterben im Mittelmeer beenden und die Gewinnung dringend benötigter Arbeitskräfte ebenso forcieren wie die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber und Krimineller. (Sigrun Rehm, Badische Zeitung)

Das größte Hindernis an allen dieser "Fluchtursachen bekämpfen"-Ideen ist es, dass sie völlig konträr zur jahrzehntelangen Praxis der Entwicklungshilfe laufen. Diese wurde fast immer vor allem als ein Investitionsprogramm für die heimische Industrie verstanden und war überwiegend entweder an strategischen Interessen ausgerichtet (gerade während der Zeit des Kalten Kriegs) oder eben an denen der Wirtschaft; Dirk Niebel hat in seiner unrühmlichen Amtszeit diesen Subtext ja sogar zum Text gemacht und die Entwicklungshilfe offen auf Subventionen für die deutsche Industrie umgestellt. Das Geschrei genau der Konservativen und Liberalen, die jetzt wortreich Fluchtursachenbekämpfung statt Rettung fordern, wenn man tatsächlich wie im obigen Plan beschrieben Gelder schickt, kann ich mir jetzt schon vorstellen. Was an dem oben beschriebenen Deal in jedem Falle der entscheidende Hebel ist ist das Schlüsselwörtchen "bilateral". Auf eine gesamteuropäische Lösung zu hoffen ist aktuell schlichtweg reine Träumerei. Weder sind die osteuropäischen Länder oder andere Rechtsausleger wie Finnland bereit, das mitzutragen, noch wäre Deutschland selbst bereit dazu, das hat man in den letzten Jahren hinreichend deutlich sehen können. Bilaterale Verträge haben daher den Vorteil, ohne die schwerfälligen EU-Institutionen auszukommen, die mangels klarer Auftragenübertragung hier ohnehin wenig handlungsfähig sind, und andererseits auf die konkreten Probleme des jeweiligen Landes eingehen können. Die Vorstöße sind daher sehr zu begrüßen.

The question is what could actually cause the United States to fight China. What if China invades and occupies Taiwan, a democratic U.S. partner and arms customer? Would America actually risk World War III? What if China forces its claim to the Senkaku Islands, which the United States considers to belong to Japan? Does that fall within America's treaty commitments to defend its ally? There's no guarantee that a U.S. president, especially Trump, would resort to war in either case. But these are among the scenarios war-gamers at the Rand Corporation have studied to see if the United States could prevent China from claiming territory by force. It's not clear that the U.S. could. Notably, the likeliest U.S.-China war scenarios take place in Asia-it's not that a Chinese "victory" means the Chinese Communist Party takes over Washington, but that the U.S. can't successfully eject China from Japanese-claimed territory or Taiwan. In an attempt to do so, besides cyberattacks, the United States could attack Chinese forces from the air or sea. The problem is that China has spent at least the past 20 years, partly informed by observations of how the U.S. conducted the Gulf War in the 1990s, preparing for exactly this kind of conflict, and investing in defenses that could violently thwart a U.S. approach. [...] "The Chinese don't have to comprehensively defeat the United States militarily in order to achieve their near-term objectives," David Ochmanek, a senior international and defense researcher at Rand, told me. "If their objective is to overrun Taiwan, that in principle can be accomplished in a finite time period, measured in days to weeks." (Kathy Gilsinan, Defense One)

Die realen sicherheitspolitischen Bedrohungen, die in der kommenden Dekade auf uns zukommen, sind anhand solcher Beispiele erkennbar. Da die glaubhafte Drohung des nuklearen Weltkriegs nicht mehr existiert, wird regional begrenzte militärische Aktion selbst zwischen Großmächten zu einer realistischen Option. Und die US-Armee mag groß und mächtig sein, aber Chinas Aufrüstung hat es in die Lage versetzt, dem amerikanischen Riesen in seinem eigenen Hinterhof wenigstens einen empfindlichen Schlag zu verpassen. Gerade die Angreifbarkeit der Flugzeugträger wird schon seit Jahren beklagt. Für uns in Europa ist das wahrscheinlichste Szenario dieser Art der Konflikt mit Russland. Gerade die unklare Haltung der Bundesrepublik öffnet gefährliche Spielräume. Ist es denn sicher, dass die NATO tatsächlich die territoriale Integrität der Baltenstaaten verteidigen würde, wenn Putin beschließt, einen weiteren Mosaikstein in seinen Traum von der Wiedererrichtung des Sowjetimperiums einzubauen? Meinungsumfragen sprechen da eine dezidiert ambivalente Sprache, und Ambivalenz ist das Gift, das militärische Auseinandersetzungen erstrebenswert erscheinen lässt. Wir werden uns, ob wir wollen oder nicht, in den kommenden Jahren mehr solche Gedanken machen müssen - und dabei nicht wie früher auf uneingeschränkte US-Hilfe bauen können.

An dieser Stelle wird es kompliziert. Denn so unzweifelhaft die Erkenntnis ist, dass die Konsumsteigerung zu irreversiblen Folgeschäden führt, und so klar die Einsicht, dass insbesondere westliche Gesellschaften ihr Verbrauchsniveau signifikant senken müssten - die Konsumkritik umfasst in der Praxis dennoch eine Reihe fundamentaler Widersprüche, von denen viele sich kaum auflösen lassen. Es ist mittlerweile zwar im öffentlichen Bewusstsein angekommen, dass die Hochkonsumkulturen soziale und ökologische Verwerfungen nach sich ziehen. Aber das individuelle und kollektive Verbraucherverhalten ändert sich nur sporadisch. Es geht hier weniger um ein Erkenntnisdefizit als um ein Handlungsdefizit. Es stimmt zwar, dass es beispielsweise noch immer Skeptiker des Klimawandels gibt, allen voran Donald Trump, der bekanntlich gerade das Pariser Klimaabkommen aufgekündigt hat. Zumindest auf der Ebene des globalen Konsums dürfte das dennoch nicht das Hauptproblem sein. Ausschlaggebender ist heute vielmehr bloßes Desinteresse oder, vermutlich sogar noch häufiger, das Handeln wider besseres Wissen. [...] Sie kommt ab einem bestimmten Punkt nämlich nicht umhin, zwischen vermeintlich authentischen und künstlichen - das heißt: überflüssigen - Bedürfnissen zu unterscheiden, etwa zwischen dem Waldspaziergang auf der einen und dem Nachmittag vor der Playstation auf der anderen Seite. Ganz abgesehen davon, dass unklar bleibt, wer die Unterscheidung zwischen "richtigem" und "falschen" Konsum letzthin treffen sollte, läuft eine solche Form der Konsumkritik nicht selten dann doch auf die ökologisch kostümierte Reproduktion bürgerlicher Distinktionsbedürfnisse hinaus: Manufactum-Mittelschicht gegen Discounter-Proletariat. Was nicht zuletzt auch deshalb so bigott ist, weil es die Bedeutung vom "Trost der Dinge" unterschlägt. (Nils Markwardt, ZEIT)

Ich verstehe das völlig. Ich bin schamloser Konsumist; der von Markwardt angesprochene "Trost der Dinge" gilt ja nicht nur für die Unterschicht. Ich erfülle mir gerne und häufig Konsumwünsche, das ist einer der Hauptgründe, warum ich mehr arbeite als ich für den Lebensunterhalt müsste. Wer so tut, als sei Konsum etwas Verachtenswertes und Niederes, bedient dabei zwar diverse parallel laufende Narrative (Konsumverachtung ist ein merkwürdiges Ding, es findet sich von der sozialistischen Linken zur alternativen Linken zu den Konservativen zu Nazis; nur die Liberalen und Sozialdemokraten waren immer schambefreite Konsumfans). Und ja, diese Widersprüche sind unauflösbar, vor allem auf der Ebene des Privatkonsumenten. Ich habe mittlerweile Teile meines Konsums angepasst, um klimafreundlicher zu werden, aber wie in zahllosen Artikeln dieser Tage bereits bewiesen wurde, hat das kaum spürbaren Effekt. Es dient vor allem meiner eigenen moralischen Hygiene. Gerade aus meiner Position als Konsumfan heraus muss ich aber auch feststellen, dass das alles nichts hilft. Wir werden uns umstellen müssen. Es führt einfach kein Weg daran vorbei. Zu erwarten, dass Privatkonsumenten das stemmen, ist völlig absurd. Ohne tiefgreifende systemische Veränderungen geht gar nichts.

4) Wie Hefe in Deutschland

Nicht wenige Ostdeutsche haben ein zweispältiges Verhältnis zum Staat: In der DDR sorgte er zum einen über zwei Generationen hinweg für eine basale soziale Sicherheit. Daher rührt die verbreitete Erwartung, dass nicht der Markt, sondern der Staat aktuelle Probleme lösen solle. Zum anderen lebten viele DDR-Bürger in Distanz zum Staat. Skepsis gegen die „Obrigkeit" war weit verbreitet, selbst unter SED-Genossen. Das Denken in Dichotomien des Nichtverstehens - „die da oben" und „wir hier unten" - war deshalb so prägend, weil die Ignoranz der Funktionäre gegenüber den Bedürfnissen und Problemen der Bürger der Theorie des Sozialismus so eklatant widersprach. [...] Sachsen, das nur kurzzeitig europäische Machtpolitik betrieben hatte, ansonsten aber durch Kunst und Gewerbe bekannt geworden sei, wurde für unzufriedene und kritische Geister zum Gegenentwurf und zum Vehikel der Distanzierung von einem Staat, dessen soziale Leistungen selbstverständlich geworden waren, dem man aber nie so richtig trauen mochte. [...] 1990 verstand der aus dem Westen kommende CDU-Spitzenkandidat Kurt Biedenkopf sofort, welches politische Kapital sich aus einem lebendigen sächsischen Regionalbewusstsein schlagen ließ. Sachsen war im Unterschied zu den neuen Bindestrich-Ländern des Ostens und dem 1920 aus Kleinstaaten zusammengefügten Thüringen das einzige Land, das sich annähernd glaubwürdig als historisches Kontinuum imaginieren und als Tradition erfinden ließ. [...] In Sachsen, wo die bayerischen und baden-württembergischen „Transformationspaten" aus dem zutiefst konservativ und antikommunistisch geprägten Süden der alten Bundesrepublik einflogen, formte die CDU 1990 ein Denkmuster, das die politische Kultur lange prägen sollte: Duldung und Offenheit nach rechts, Feindbildrhetorik und scharfe Abgrenzung nach links. Der rechtskonservative Rand mit gelegentlich rechtsradikalen Tendenzen wurde toleriert, die Rechtslastigkeit von Polizei und Justiz kleingeredet. Noch im Jahr 2000, als sich in einigen Regionen des Freistaats längst eine gewaltbereite rechtsradikale Szene etabliert hatte und ganze Gebiete als „national befreite Zonen" galten, verkündete Kurt Biedenkopf, die Sachsen seien von Hause aus dagegen „immun". (Simone Lässig, FAZ)

Dieses insgesamt sehr lange Essay über die Kultur- und Mentalitätsgeschichte Sachsens ist in seiner Gänze empfehlenswert. Ich wollte vor allem obige Teile herausgestrichen wissen, weil sie mir bisher noch nicht klar waren. Die Erfahrung der DDR-Bürger mit dem Staat macht, wie das oben beschrieben wird, absolut Sinn. Aber das Klischee ist ja üblicherweise gerade Nähe zum Staat, die durch den Realsozialismus entstanden sein solle. Ebenso war mir der Aspekt der starken Regionalidentität Sachsens nicht so präsent. Da gibt es eine gewisse Parallele zu Adenauer, der für die BRD eine rheinische Identität in klarer Ablehnung vom vorherigen Preußen konstruierte. Und dann haben wir eben die Kehrseite der Medaille, nämlich die nachhaltige Stärkung des rechten Extrems. Für die Sachsen-CDU ist das so eine Strategie, die ziemlich lange funktioniert hat. Wie so oft mit solchen Strategien funktioniert es immer, bis es nicht mehr funktioniert, und dann kommt die Rechnung, mit Zinsen.

Und doch trifft Grenells Schein-Drohung einen Punkt: Denn es stimmt, dass die Deutschen nicht einhalten, was sie zugesagt haben. Nicht beim Geld. Und nicht beim Versprechen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Gleich bei zwei Nato-Gipfeln, 2002 und 2014, verpflichteten sich zwei Bundesregierungen, eine rot-grüne und eine große Koalition, die Militärausgaben bis 2024 "auf den Richtwert von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zuzubewegen", wie es offiziell heißt. Lange Zeit bewegten sich die Ausgaben aber nicht darauf zu, sondern davon weg. Schiffe, die nicht schwimmen, und Kampfjets, die nicht fliegen, prägen seitdem das Bild der Bundeswehr. [...] Bei der finanziellen Ausstattung der Bundeswehr geht es um eine Grundsatzfrage, über die in Deutschland erstaunlich wenig geredet wird: Welche Armee wollen wir eigentlich haben? [...] Die Straße von Hormus ist ein Nadelöhr des Welthandels und für die Exportnation Deutschland von zentralem Interesse. Dass die Briten von ihrer Idee eines militärischen Geleitschutzes unter dem Dach der EU Abstand nahmen und sich an einen US-Einsatz hängten, war in Berlin Anlass, jedes Nachdenken über ein Engagement der Bundeswehr zu beenden. Dabei wäre es viel besser, Deutsche und Franzosen würden eine eigene Mission zusammenstellen - und sich dann mit Amerikanern und Briten abstimmen. Trump beschimpfen und die anderen machen lassen, wenn es schwierig wird: Das ist eine Haltung, über die man selbst als wohltemperierter Europäer zum Grenell werden könnte. (Peter Dausend, ZEIT)

Dausends zentraler Punkt ist meines Erachtens nach die angesprochene Grundsatzfrage: Welche Armee wollen wir in Deutschland eigentlich haben? Wir bauen sie seit mittlerweile fast drei Jahrzehnten in Trippelschritten nach dem Motto "ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück" von der früheren Verteidigungs- zur Interventionsarmee um. Die Probleme darin, die seit 2001 offenkundig geworden sind - der Mangel an geeigneter Ausrüstung (oder überhaupt Ausrüstung), die fehlende Erfahrung, die starren Richtlinien, die mangelnden logistischen Kapazitäten - haben verhindert, dass das irgendwie sinnvoll passiert, aber umgekehrt wurde die Verteidigungsarmee weitgehend demobilisiert. Dass man solange an der zur Karikatur ihrer selbst gewordenen Wehrpflicht festhielt, verbesserte die Lage auch wenig. Ich bleibe dabei, dass die besten Aussichten zum Angehen dieser ganzen Problemkomplexe eine größere europäische Integration mit einer weitgehenden Aufgabenteilung ist. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass über langjährige Zeiträume selbst bei Auflösung der EU keine EU-Armee gegen die anderen eingesetzt werden kann, weil sie viel zu verflochten sind. Zudem spart es Geld und kann Synergieeffekte nutzen. Und dass die Deutschen eine komplette Interventionsarmee aufbauen, halte ich für werder erstrebens- noch erreichenswert.

6) Does Male Suffering Matter?

Do men suffer? Should anybody care when they do? Somehow these questions are part of an active and bitter debate about the status of men in modern society. A Gillette advertisement and new guidelines from the American Psychological Association sparked outrage by characterizing masculinity as largely or essentially "toxic." It's also controversial to suggest that male suffering can be the result of the exigencies and caprices of modern romantic dynamics. [...] Yang reminds us that male pain is, indeed, often overlooked. For instance, Yang writes of Asian men: "Maybe they were nerds, maybe they were faceless drones, but did anybody know they were angry? What could they be angry about?" [...] People don't suffer as a pretext for hurting others; they hurt simpliciter, though they sometimes find no other way to express their suffering. People don't, by and large, join and assist one another in order to develop a certain narrative of themselves. They do it because they feel called to, by the fully real other people with whom they're dealing. Vulnerability, and recognizing the vulnerability of others, including of men, is not the symptom or the disease, nor one of Roupenian's derivative monster figures. It's the cure for the strange culture, so intricately networked and yet so hopelessly atomized, in which both these authors write and we all live. (Oliver Traldi, The American Conservative)

Der obige Auszug ist exemplarisch für das Problem, dass auf konservativer Seite häufig völlig missverstanden wird, was der Begriff "toxische Maskulinität" eigentlich meint. Aus eigener Erfahrung kann ich aber auch sagen, dass es wenig hilft, es zu erklären; das Missverstehen dieses Themas scheint bei manchen essenzieller Teil der eigenen Identität zu sein. Umso spannender ist, dass Traldi dann genau das beklagt, was auch die Kritik an toxischer Maskulinität ist: dass es Männern in unserer Gesellschaft nicht erlaubt ist, ihre Gefühle - vor allem Leid und Trauer - auszuleben. Die Problembeschreibung kommt ja tatsächlich vor allem aus dem konservativen Spektrum. Jungen sind in der Schule im Schnitt schlechter als Mädchen. Sie sind aggressiver. Sie können ihre Gefühle nicht ausleben. Und so weiter. Gleichzeitig verschließt man sich aber beharrlich der Erklärung dafür, sondern sucht die Ursache in den schrecklichen modernen Zeiten, die angeblich Männlichkeit nicht mehr wertschätzen, und hofft auf eine Rückkehr in ein früheres, besseres Zeitalter - das ja aber genau diese Probleme erst hervorgebracht hat.

7) GroKo hält viele Versprechen - punktet aber nicht beim Wähler

Demnach hat die Regierung aus Union und SPD in ihren ersten 15 Monaten zahlreiche Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt. 47 Prozent der Versprechen seien vollständig oder teilweise erfüllt, 14 Prozent "substanziell in Angriff genommen" worden. Das sei deutlich mehr als die - ebenfalls schwarz-rote - Vorgängerregierung zur Halbzeit geschafft hatte. [...] Die Autoren der Studie untersuchten 296 "echte Versprechen": Vorhaben, bei denen sich klar überprüfen lässt, ob sie umgesetzt wurden. Ihr Fazit: Die Bilanz der jetzigen Koalition sei "rekordverdächtig". Sollte die Regierung in ihrem jetzigen Tempo weiterarbeiten, könnte sie bis zum Ende der Legislaturperiode fast alle Versprechen eingelöst haben. [...] Von den 296 Wahlversprechen stammen der Studie zufolge 73 (etwa ein Viertel) aus dem Wahlprogramm der SPD und 32 (elf Prozent) aus denen von CDU und CSU. 46 Vorhaben (16 Prozent) finden sich in den Programmen beider Koalitionspartner wieder. 145 der im Vertrag genannten Projekte stammen in dieser Form aus keinem der Wahlprogramme. [...] Die Studie zeigt aber auch: In der Bevölkerung wird die Arbeit der Koalition deutlich kritischer wahrgenommen. Nur jeder Zehnte in Deutschland ist der Überzeugung, dass SPD und Union ihre Versprechen zum großen Teil eingelöst haben. 79 Prozent glauben hingegen, dass von den Koalitionsversprechen "kaum welche" oder "etwa die Hälfte" umgesetzt werden. Selbst die Anhänger der Regierungsparteien sehen die Arbeit der Großen Koalition kritisch. Nur 20 Prozent sagen, die Regierung löse "alle" oder zumindest "einen großen Teil" ihrer Versprechen ein. Am geringsten ist der Glaube an einen Erfolg der Großen Koalition unter AfD-Anhängern: Nur fünf Prozent gehen davon aus, dass die Koalition ihre Versprechen zum großen Teil umsetzt. (Sophie-Marlene Garbe/Alexander Sarovic, SpiegelOnline)

Dieser Artikel bestätigt zwei meiner zentralen Thesen zum politischen Prozess, die ich seit Jahren wiederhole. Erstens: Politiker halten ihre Versprechen üblicherweise; das Klischee der lügenden und Wahlversprechen sofort vergessenden Politiker ist genau das, ein Klischee. Zweitens interessiert keine Sau, wenn sie sie umsetzen. Besonders die SPD ergeht sich seit Jahren in der Illusion, dass sich irgendjemand für den pragmatischen Kleinkram interessiert, mit dem sie hausieren geht. Das habe ich ja auch schon beschrieben.

8) Was eine CO2-Steuer bringt

Bei diesen Sätzen ergäbe sich jedenfalls ein gewaltiges steuerliches Zusatzaufkommen. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 dürften die Einkommensteuern, die wichtigste staatliche Einnahmequelle, 340 Mrd. Euro erreichen, die Umsatzsteuern 240 Mrd. Euro. Es ist daher klar, dass weder 180 noch 640 Eurodie anfänglichen Steuersätze sein können. Das kann die Wirtschaft nicht verkraften. Längerfristig kommen diese Werte schon eher in Betracht. Allerdings vermutet das Bundesumweltamt, dass die Klimakosten nicht konstant sein werden, sondern im Zeitverlauf steigen, im niedrigeren (180 Euro) Szenarium bis 2030 auf 205 Euo und bis 2050 auf 240 Euor, während sie sich im anderen Szenarium auf 670 und 730 Euro je Tonne erhöhen. CO2-Steuern sind regressive Steuern, wie etwa die Mehrwertsteuer: Sie belasten die ärmeren Schichten der Bevölkerung mehr als die Wohlhabenderen. Das ist der Grund, weswegen die Steuer möglichst auf einer gleichmäßigen pro-Kopf-Basis zurückerstattet werden sollte, so wie es etwa in der Schweiz gemacht wird - das hätte einen kompensierenden progressiven Effekt auf die Haushaltseinkommen. Gewinner wären diejenigen, die nur geringe CO2-Emissionen verursachen. [...] Noch zwei Punkte zum Schluss: Am besten wäre eine CO2-Steuer, die in allen EU-Ländern gleich hoch ist, damit es unter Umweltaspekten keinen Wettbewerb um die Ansiedlung CO2-intensiver Unternehmen gibt, also keine CO2-Arbitrage. Zum Zweiten muss die sogenannte CO2 leakage vermieden werden, indem durch Zölle Einfuhren von Produkten verteuert werden, die in Ländern außerhalb der EU ohne Rücksicht auf Klimafolgen hergestellt und dann hier billig angeboten werden. Umweltsünder dürfen EU-Unternehmen in dieser Hinsicht keinen Schaden zufügen. Solche Schutzzölle sind offenbar durch die internationalen Handelsregeln der WTO abgedeckt. (Mark Schieritz, ZEIT)

Das Wichtigste ist, dass man mit dem Ding überhaupt anfängt. Genau wie beim Mindestlohn wäre es vorstellbar, dass eine unabhängige Kommission eingesetzt wird, die dann - mit einem entsprechenden Mandat ausgestattet - die Steuersätze anpasst. Quasi eine Art EZB des CO2-Handels, die als Mandat bekommt, bis zu einem Stichtag (2050 oder 2045 oder was weiß ich) sich selbst abzuschaffen, indem bis dahin null Emmission erreicht ist. Vielleicht wäre das sogar eine Idee, hinter der sich Konservative und Liberale eher versammeln könnten? Ab in die Kommentare mit euch! Zentral finde ich auch noch den Aspekt der EU-weiten Anwendung. Wir können als Deutschland zwar anfangen (und sollten das gegebenfalls auch!), aber es muss dringend EU-weit ausgerollt werden. Die Schutzzölle auf Klimasünder sind dabei wirklich fundamental, weil sie Marktverzerrungen entgegenwirken. Wir sind der größte Wirtschaftsraum der Erde; es wird Zeit, dass wir das Gewicht endlich mal sinnvoll in die Waagschale werfen.

9) Why Democrats shouldn't be afraid to talk about socialism

While Trump suggests that running on socialism will cause Democrats to lose in 2020, research indicates that the opposite was true in 2016: had Clinton leaned into socialist policies, she may have turned out some of the many Democrats and progressives who stayed at home on Election Day, costing her several swing states by razor-thin margins. In particular, this includes a large share of young, black progressives - demographics with some of the highest favorability of socialism. Even Democratic Super PAC Priorities USA - far from Marxist propagandists - concluded that a populist economic message would be key to getting this vital group out to the polls. [...] No matter the specific reason, the data shows that too many Democrats are fundamentally misunderstanding voters' view of socialism. If the party wants to have any hope of holding the House and winning the Senate and White House in 2020, they need to follow the lead of Ocasio-Cortez, Sanders, and state and local politicians across the country: talk more about socialism. Voters like what they hear. (Aaron Freedman, The Week)

Was in Artikeln dieser Art gerne durcheinandergeworfen ist die grundsätzliche Attraktivität populistischer Lösungsansätze (die braucht jede Partei, wenn es ihr nicht so ergehen soll wie der SPD) auf der einen Seite und die Attraktivität sozialistischer (sprich: sozialdemokratischer) Ideen auf der anderen Seite. Denn das ist nicht dasselbe, und klar, wenn man den Leuten in einer neutralen Situation erklärt, was Bernie Sanders mit Sozialismus meint, finden sie es dufte. Daraus Rückschlüsse darauf ziehen zu wollen, wie der Begriff in den Zeiten des Wahlkampfs läuft, ist bestenfalls naiv.

10) Wie man mit Fanatikern redet - und warum

Als Angela Merkel diese Woche einen AfD-Lokalpolitiker in Stralsund über Meinungsfreiheit aufklärte, umschiffte sie eine Tatsache elegant: Die beiden sprechen nicht dieselbe Sprache. Als der AfD-Politiker von "Meinungsfreiheit" sprach, von "Pressefreiheit", "Propaganda" und "Menschenwürde", da meinte er etwas anderes als Merkel. Und auch etwas anderes als die meisten Menschen außerhalb der AfD und anderer rechtsradikaler Organisationen. Die Tatsache, dass Vertreter und Fans der AfD permanent behaupten, es herrsche keine "Meinungsfreiheit" in Deutschland liegt an eben diesem Definitionsunterschied. Für jemanden, der der Ideologie der AfD anhängt, heißt Meinungsfreiheit: Es gibt nur eine Meinung, und zwar unsere. Wenn AfD-Politiker und -Anhänger aber ihre Meinungen äußern, haben andere Menschen oft die Frechheit, diese Meinungen nicht zu übernehmen. Ja, sie geben sogar Widerworte! [...] Eine Diskussion ist "sinnlos, wenn die Kontrahenten sich nicht über die Bedeutung der zentralen Begriffe einig sind", schreibt der Wiener Philosoph Hubert Schleichert in seinem eingangs zitierten, ungemein lesenswerten Buch. [...] "Der Abtrünnige gefährdet diese Illusion, also muss er besonders nachhaltig verflucht werden", schreibt Hubert Schleichert. Das erklärt auch die enorme Wut, die bei Vertretern der radikalen Rechten so oft zu beobachten ist. So jemanden überzeugen zu wollen, ist sinnlos, denn, so besagt es ein sehr altes Prinzip der Logik: Contra principia negantem non est disputandum. Zu deutsch: Mit jemandem, der schon unsere Prinzipien bestreitet, kann man nicht diskutieren. Sinn kann aber ein Austausch wie der zwischen Merkel und dem AfD-Politiker trotzdem haben: Und zwar für das Publikum. Selbst unter den Wählern der AfD gibt es vermutlich viele, die mit den unausgesprochenen Dogmen ihre Probleme hätten, würden sie einmal offengelegt. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)

Stöcker hat einige gute Punkte beieinander hier. Die falsche Verwendung von "Meinungsfreiheit" und den verwandten Begriffen erinnert mich auch eklatant an die NachDenkSeiten; da herrscht ein ähnlicher Duktus vor. Man muss auch feststellen, dass man sehr leicht in diese Art der Kritik verfällt. Ich erwische mich ja selbst immer wieder bei dieser unreflektierten Medienschelte, und genauso finden sich hier in den Kommentaren auch die jeweiligen, eher AfD-nahen Gegenstücke von den angeblich so grün dominierten Medien. Da braucht es einfach permanente Selbstkontrolle, und die wird bekanntlich dadurch gefördert, dass man sich konstant mit anderen Meinungen auseinandersetzt, auch wenn man ihnen nicht zustimmt. Wie in so einem Debattenblog, quasi.

11) Republicans Sabotaged Obama's Economy and Assume Democrats Are Doing It to Them

When Congress was debating a taxpayer-funded bailout in September 2008, Paul Ryan lectured his GOP colleagues that they needed to think of the country: "We're Americans," he said. "And if we don't do something, this economy is going to crash." However, Alberta notes, "[i]n truth, Ryan feared not just the crash itself" but the prospect such a crash would lead to a Republican wipeout at the polls; he warned that a crash would lead to "FDR on steroids." After Obama took office, the entire Republican legislative calculus revolved around the premise that Republicans were engaged in zero-sum competition - anything that helped Obama pass a stimulus bill hurt their party. When Obama expressed openness to their stimulus ideas in a private meeting, Alberta reports, they reacted with panic. "If he governs like that, we're all fucked," Eric Cantor's communications director, Brad Dayspring, told his boss. Alberta reports that Republicans declined to address infrastructure spending in their counterproposal to Obama precisely because they believed House Republicans would support it. "Boehner and Cantor both knew that the one thing that could buy off their members was big spending on roads and bridges," Alberta reports. They declined to include any such spending in their offer, because the goal was not to improve the economic-rescue bill but to block it. Throughout Obama's presidency, Republicans not only demanded contractionary fiscal and monetary policy but staged a series of dangerous showdowns in order to force Obama to accept it. They managed to succeed in forcing cuts to domestic and military spending as a hostage payment for their threat to default on the national debt, parading the cuts as a trophy. The painful austerity they forced Obama into accepting helped slow the recovery. They likewise denounced the Federal Reserve for keeping interest rates too low, warning of inflation and a debased currency. Of course, once a Republican had assumed office, they immediately reverted to the deficit-increasing spendthrifts they had been the last time they held office. Their views on monetary policy have followed suit. [...] Cynical people tend to assume everybody shares their cynicism. Republicans seem to assume their adversaries would do everything in their power to harm the economy when the opposition holds power because that is how the Republican Party operates. (Jonathan Chait, New York Magazine)

Man muss immer und immer wieder daran erinnern, dass die Republicans mit der US-Wirtschaft genauso zu verfahren bereit waren und sind wie Bolsonaro gerade mit dem Regenwald. Alles wird niedergebrannt, wenn es nur den eigenen Zwecken dient. Ich finde die permanente Überraschung auf Seiten der GOP, dass die Democrats es nicht genauso handhaben, ja irgendwie süß. Sie sind einfach, jedenfalls verglichen mit der GOP, die Guten. Die Republicans wussten, dass Obama ein Politiker moderaten Mitte war und überparteiliche Kompromisse suchten. Und sie wussten, dass ihre ohnehin ständig prekäre Minderheitenposition dann erst Recht unhaltbar werden würde. Also rissen sie lieber das eigene Land mit den Abgrund, als ihre Macht zu gefährden. Sie sind feige, verantwortungslos und schlichtweg böse.

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