Russlands merkwürdige Freunde im Westen

Auf eines kann man sich verlassen: wann immer Kritik gegen Russland im Allgemeinen oder Putin im Speziellen aufs Tableau kommt, werden sich die deutschen Linken für ihn die Bresche werfen. Obwohl sich der gleiche merkwürdige Mechanismus im Nahostkonflikt gegen Israel bewundern lässt, ist es doch im Falle Russlands der augenscheinlichste Bruch mit den eigenen Idealen. Niemand kann ernsthaft die Meinung vertreten, dass Russland ein Land sei, in dem Menschenrechte und Demokratie einen hohen Stellenwert besäßen. Das Land wird autokratisch regiert und von ebenso korrupten wie gewalttätigen Strukturen zusammengehalten. Trotzdem kann es zu seiner Verteidigung ausgerechnet auf die bauen, die gegen die gleichen, im Maßstab wesentlich kleineren Probleme im Westen sonst so engagiert ankämpfen. Woher kommt diese kognitive Dissonanz?
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Ich bin der Überzeugung, dass es sich vor allem um einen Reflex handelt. Man hat den Kapitalismus beziehungsweise "den Neoliberalismus" als ein großes Feindbild ausgemacht, der bekämpft werden muss. Da es sich gegen personalisierte Gegner immer leichter kämpft, hat der Anti-Amerikanismus bei der Linken stets Hochkonunktur. Will man aber konsistent gegen die Amerikaner sein, gerät man leicht in die Falle, sich eines Denkens von "meines Feindes Feind ist mein Freund" zu bemächtigen. Anders lässt sich die linke Begeisterung für Autokratien wie Russland, Iran oder Venezuela und Diktaturen wie China, Kuba oder Nordkorea, nicht erklären.
Ein plakatives Beispiel dafür bietet Albrecht Müllers Interview mit Vice unter dem Titel "Wir können froh sein, dass wir Putin haben". Er stellt unter anderem die Legitimität des Protests in Frage ("Ich glaube nicht daran, dass alle Leute auf dem Maidan alle nur aus eigener Spontanität und Sinn für Demokratie da demonstrieren. Und dann kommt dazu die Frage: wieso ist jemand geeignet, einen gewählten Präsidenten abzulösen, wenn er sich auf einem Platz versammelt?"), gibt Putin einen Blankoscheck (Interviewer: "Ich habe das Gefühl, für Sie gibt es kaum berechtigte Kritik an Putin und seiner Politik im In- und Ausland." Müller: "Ein Land wie Russland zu regieren, ist überhaupt nicht einfach.") und relativiert Völkerrechtsverletzungen ("Selbst wenn die Krim annektiert würde, wäre das ein vergleichsweise harmloser Vorgang gemessen an dem, was sich der Westen an Menschenrechtsverletzungen anderer Völker alles leistet.").
Seit wann wiegt denn ein Unrecht ein anderes auf? Wann war denn zum letzten Mal Bushs Irakkrieg in Ordnung, weil man eben auf die bellizose Stimmung in der US-Bevölkerung zur damaligen Zeit Rücksicht nehmen musste? Welches Land ist denn bitte einfach zu regieren? Das sind absolute Null-Argumente. Ich kann mich an keine linke Verteidigung des Irakkriegs mit dem Argument erinnern, dass es zwar, klar, gegen das Völkerrecht verstoße, aber harmlos sei angesichts dessen, was der Irak sich mit der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung und dem Abschuss von giftgasgefüllten Scud-Raketen auf Tel Aviv leistete. Das liegt übrigens daran, dass das Argument dumm ist, was Linke aber irgendwie, sobald es um Russland gehen, gerne unter den Tisch kehren.
Sie schaden damit extrem der eigenen Position. Die offenen Flanken der linken Bewegung in Deutschland - der Vorwurf von Antisemitismus wegen der internalisierten Gegnerschaft zu Israel, ihre Nähe zu den Überresten der kommunistischen Diktaturen des Kalten Krieges, der Vorwurf, in Wirklichkeit selbst autoritäre Strukturen anzustreben - werden durch dieses Verhalten weiter offengehalten, ihre Schwächen überdeutlich gemacht. Das Schlimme daran ist, dass es alles zu Recht geschieht. Die Linke kann ihre (berechtigte) Kritik an westlichen Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen nicht wirklich ernsthaft ausspielen, wenn sie gleichzeitig die ihrer (eingebildeten) Freunde in Russland, Venezuela, Kuba, Nordkorea und Iran nicht nur achselzuckend hinnimmt, sondern im Gegenteil auch noch verteidigt. Sie ist selbst zumindest außenpolitisch noch wesentlich stärker im Kalten Krieg verhaftet als ihre Gegner, was stark zu dem Eindruck von Gestrigkeit beiträgt, der die deutsche politische Linke immer noch umweht.
Sollen Ideale und Vorstellungen der Organisation von Politik ernsthaft sein, müssen sie standortunabhängig angewandt werden, das gilt für die Linke ebenso wie das Establishment. Die Tragik der Linken liegt ja gerade darin, dass ihre Vorwürfe, der Westen sei auch nicht gerade das Standbild der Heiligkeit, als das er sich darstellt, ja vollkommen richtig sind. Nur ist es völlig unnachvollziehbar, sich stattdessen denen an den Hals zu werfen, die all diese Verbrechen und Verstöße selbst begehen - nur völlig ohne Skrupel und mich immer noch einer Schippe mehr vom selben.
Denn auch das ist eine Wahrheit, der gegenüber sich die Linke gerne verschließt: während EU und NATO mit Sicherheit nicht die "Guten" aus einer schlichten Hollywood-Zeichnung sind, so sind sie doch gegenüber den Autokratien und Diktaturen, die sie bekämpfen, das kleinere Übel. Es ist Fakt, dass die Länder und Bevölkerungen Osteuropas gerne Mitglied in EU und NATO werden wollen. Ein breiter Wunsch, Mitglied der GUS zu werden und sich stärker mit Russland zu assoziieren, ist nicht auszumachen. Das ist für Russlands Interessenpolitik sicherlich ein großer Nachteil. Es ist aber gleichzeitig auch Ergebnis eines wahrnehmbaren, letztlich demokratischen Volkswunsches. Auch wenn es schmerzt: die Linke wird die Ukrainer nicht vor der Austerität der EU retten, indem sie sie der Korruption der russischen Oligarchen in den Rachen wirft.

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