Russische Intervention auf der Krim – Krieg oder Frieden in Europa

Der folgende Beitrag wurde von mir am 03.03.2014 für Ohrfunk.de geschrieben. Leider habe ich vergessen, ihn in mein Blog zu stellen, was ich jetzt nachhole, obwohl die Geschichte längst über diesen Beitrag hinweggegangen ist.

Der russische Präsident Wladimir Putin führt bereits jetzt eine schleichende Invasion auf der Krim durch, auch wenn es weder eine offizielle Kriegserklärung, noch einen tatsächlichen Grund für einen solchen Einmarsch gibt. Seine Großmachtpolitik hat Europa und die Welt in eine tiefe Krise gestürzt und an den Rand eines Krieges gebracht, dessen Automatismus das Potential hat, einen Weltkrieg zu entfachen.

Als ich vor gut einer Woche vermutete, Russland könne aufgrund des Umsturzes in Kiew in die Ukraine einmarschieren, hörte ich von verschiedener Seite ein klares “nein”. Die russische Politik werde von kühlen Rechnern bestimmt, die sicherlich kein Risiko eingehen würden, hielt man mir entgegen. Mein Unbehagen blieb, zumal ich glaube, dass gerade diese kühle Berechnung die russische Regierung dazu bringt, diesen Einmarsch durchzuführen, und zwar auf genau die schleichende Weise, wie es seit einigen Tagen ja auch geschieht. Das Kalkül der russischen Regierung ist von brutaler Machtpolitik geprägt. Die offiziellen Gründe, man müsse den russischen Brüdern auf der Krim helfen, sind für mich nur vorgeschoben.

Der Sturz der pro-russischen Janukowitsch-Regierung in der Ukraine, den Russland mit allen Mitteln zu verhindern suchte, war für den Kreml aus mehreren Gründen nicht hinnehmbar. Zum einen musste Moskau befürchten, dass sich die Ukraine mittelfristig stark an die europäische Union anlehnen werde. Eigentlich war seit 25 Jahren vereinbart, dass NATO und EU sich nicht über das Gebiet Gesamtdeutschlands hinaus nach Osten ausbreiten sollten, doch nach und nach schlossen sich mittel- und osteuropäische Länder dem Staatenbund und dem Militärbündnis an. Irgendwo musste Russland nach eigenem Selbstverständnis der Expansion ein Ende setzen. Und zum Anderen ist die Ukraine der Sitz der russischen Schwarzmeer-Flotte. Russland sieht sich selbst als Großmacht, die ein Recht auf den Zugang zum schwarzen Meer hat, als Tor zum Mittelmeer. Dafür kämpfte die russische Politik schon vor dem ersten Weltkrieg. Mit der Ukraine gibt es einen Pachtvertrag für den hafen Sewastopol und einen russischen Stützpunkt, der mit 2000 Soldaten bemannt sein darf. Wladimir Putin wollte offenbar nicht riskieren, dass eine pro-westliche Ukraine ihm den Zugang zum schwarzen Meer blockiert oder gar den pachtvertrag vorzeitig kündigt.

Nun gibt es viele, die die ukrainische Revolution als einen semifaschistischen Umsturz charakterisieren. So eine Einteilung ist sehr schwierig, weil die gesamte ukrainische und übrigens auch russische Politik von Oligarchen und Konzerninhabern bestimmt wird. Die einen sehen in der Ukraine die Zukunft in Zusammenarbeit mit Russland, die Anderen favorisieren eine Anlehnung an die EU, auch übrigens, um auf die Dauer mehr Unabhängigkeit vom russischen Erdgas zu erhalten. Wenn Russland der Ukraine den Hahn zudreht, ist das Land auch politisch erpressbar, denn die EU kann hier keinen ersatz liefern. Der Versuch, sich an die EU anzulehnen, hat also für die Oligarchen im Wesentlichen wirtschaftliche Gründe. Neben den Menschen, die auf dem Maidan den Sturz der Regierung Janukowitsch forderten, und die offenbar von einem Leben unter dem Euro-Symbol träumten und sich davon Menschenrechte und wirtschaftlichen Aufstieg versprachen, gab und gibt es natürlich auch faschistische Parteien und Gruppierungen, die sich die Situation zunutze machen wollen. Aber auf dem Maidan protestierten Menschen, die einen Querschnitt der ukrainischen Bevölkerung darstellten, es ist billig, sie als eine faschistische Gruppe abzutun. Dies zeugt von einer Missachtung des Volkswillens und von einer gewissen Überheblichkeit.

Und was wird nun werden? Die neue ukrainische Regierung hat die NATO um Beistand gebeten, Russland setzt seine heimliche und leise Invasion auf der Krim fort, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Das ist gut berechnet. Solange es keinen offiziellen Krieg gibt, solange die Berichte über die Zustände auf der Krim sich widersprechen, solange kann die NATO das Ansinnen der ukrainischen Regierung mit dem Hinweis beantworten, es finde ja noch gar kein militärisches Vorgehen statt. Wladimir Putin glaubt fest daran, dass NATO und EU sich für die Ukraine nicht in einen Krieg stürzen werden, und dass er so bekommt, was er will. Es ist dieselbe Logik, die 1939 bei Adolf Hitler im Bezug auf Polen nicht funktioniert hat. Diesmal aber könnte sie aufgehen. Denn weder wird die EU die Ukraine so wichtig nehmen, noch wäre sie ohne die USA für ein militärisches Vorgehen gerüstet. Und die USA wollen sicherlich keinerlei Krieg mit Russland riskieren. Sie sprechen bislang auch nur von drohender politischer Isolation Putins, und damit kann der russische Präsident vermutlich eine Weile leben.

Schwierig wird es dann, wenn der Konflikt offen und offiziell ausgetragen wird, und wenn die NATO auf den Hilferuf der Ukraine antworten muss und ihr Gesicht nicht verlieren darf. Wenn bis dahin keine diplomatische Lösung gefunden ist, könnte sich die Situation in eine Spirale verwandeln, die langsam aber sicher zum Krieg führen könnte, zu einem Krieg, der nicht nur zwischen Russland und der Ukraine ausgefochten werden könnte. Darum wird man mit allen Mitteln versuchen, dafür zu sorgen, dass es eine diplomatische Lösung geben wird, und zwar eine, die alle das Gesicht wahren lässt. Denkbar wäre ein Abtreten der Krim an Russland bei gleichzeitiger Annäherung der Rest-Ukraine an die EU. Aber noch ist der diplomatische Boden für dieses Szenario nicht bereitet. Würde es so kommen, hätte die kühl berechnende russische Politik einen grandiosen Sieg davongetragen. Doch das derzeitige Säbelrasseln auf hohem Niveau ist höchst gefährlich und ein machtpolitisches Pokerspiel. Wenn auch nur eine der beteiligten Interessengruppen nicht so handelt wie vorhergesehen und berechnet, könnte die Welt bald am Abgrund eines neuen Krieges stehen.

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Jens Bertrams Jens Bertrams

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