Running for President without Running for President

Von Stefan Sasse
In "Politik als Geschäft" hatte ich jüngst beschrieben, dass einige der republikanischen Präsidentschaftskandidaten - vor allem Michelle Bachmann und Hermann Cain - ein handfestes wirtschaftliches Interesse an der Teilnahme an der republikanischen Präsidentschaftsbewerbung haben, indem sie es Sarah Palin nachmachen und als Tea-Party-Ikone hochbezahlte Auftritte absolvieren wollen (Palin verdiente seit 2008 rund 12 Millionen Dollar auf diese Weise). Doch auch andere Kandidaten berwerben sich, oftmals mehrfach, trotz bereits von vornherein feststehender Chancenlosigkeit um die Kandidatur, und sie tun das auch bei den Demokraten und auch bei den Republikanern, ohne dabei gleich solche monetären Motive zu haben. Warum aber gehen Kandidaten wie Jon Huntsman, Rick Santorum oder John Edwards überhaupt den enormen Aufwand für eine Kandidatur ein, in der sie keine Chance besitzen? Welche Motive haben sie? Wer das deutsche System gewohnt ist, in dem die Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten für gewöhnlich hinter den Kulissen ausgekungelt werden, dürfte sich über dieses Element mehr als einmal gewundert haben. Letztlich gibt es drei Motive: persönliche, politische und ideologische. 
Das persönliche Motiv ist dabei am schnellsten geklärt. Ein Politiker macht sich während seiner Karriere Feinde, und einer dieser Feinde könnte sich entschließen, seinem Gegner eine Niederlage beizubringen. Wenn ein erzkonservativer Kandidat in den Vorwahlen gegen einen moderaten Kandidaten antritt, und er einen anderen erzkonservativen Politiker zum Todfeind hat, könnte der sich für eine Gegenkandidatur entschließen - und die wertvollen Stimmen abziehen, die dieser zu seinem Sieg über den moderaten Kandidaten benötigt. Solche Dinge geschehen immer wieder, selbst bei den eigentlichen Präsidentschaftswahlen in Form eines "Third Party Candidate" (wie etwa 1912, als Theodore Roosevelt als Third Party Candidate antrat, oder 1992, als Ross Perot zusätzlich zu George H. W. Bush antrat). Erfolg im Sinne eines Wahlsiegs hatten solche Gegenkandidaturen noch nie; sie brachten fast immer dem politischen Gegner den Wahlsieg. Wer aus persönlichen Motiven ins Rennen einsteigt kümmert sich darum jedoch meistens bereits nicht mehr, oder er gibt sich Illusionen hin. 
Politische Motive können in der Steigerung des Bekanntheitsgrades und dem Aufbau von Netzwerken liegen. Selbst ohne substantiellen Wahlkampf wird der Name eine Weile in den Medien gehandelt, nimmt man an einigen Debatten teil, berichtet die Presse. Die Marke des eigenen Namens erhält deutlich mehr Aufmerksamkeit als etwa bei einem normalen Senator oder Repräsentaten. Natürlich geht das nicht ohne Nachteil einher, denn eine solche Kandidatur produziert auch Gegner - vor allem bei den anderen Kandidaten, denen Aufmerksamkeit abgezogen oder an ungeschickten Stellen entgegengebracht wird (ein tugendhafter, aber chancenloser Kandidat wird die Aufmerksamkeit auf die Affären seines stärkeren Rivalen lenken). Deswegen ist dieser Weg nicht für alle Politiker brauchbar, letztlich sogar für die wenigsten. Es kann sich aber auszahlen, auf die Art der Kandidatur Kontakte zu Spendern oder Partei-Netzwerken zu knüpfen. 
Die wohl interessantesten Motive sind die ideologischen. Besonders ältere und etablierte Politiker treten gerne einmal an, um ihre eigene Agenda voranzubringen. In diese Kategorie fallen etwa die Kandidaturen von Ron Paul oder John Edwards. Ihre Positionen sind in der eigenen Partei kaum mehrheitsfähig, sie haben zwar einen harten Kern von Unterstützern, aber keine echte Breitenwirkung, sind aber Überzeugungstäter. Durch ihre Kandidatur zwingen sie alle anderen Kandidaten, sich in den ihnen am Herzen liegenden Fragen zu positionieren. Ihre Kandidatur erlaubt es ihnen, die politische Agenda der aussichtsreichen Bewerber aktiv zu beeinflussen. Ein für Gewerkschaftspositionen eintretender John Edwards zwingt Obama und Clinton etwa mindestens zu Lippenbekenntnissen, auf die man sie später festnageln kann, und ein Ron Paul versucht, die Republikaner in Richtung seines libertären Utopia zu zerren.
Alle diese Ziele sind Gründe für die aussichtlosen Kandidaten, dennoch eine Kandidatur zu wagen. Oft genug ist es für sie von Vorteil. Es sind es auch diese Außenseiter-Kandidaturen, die für bestimmte Interessengruppen eine starke Möglichkeit der Einflussnahme im Präsidentschaftswahlkampf bieten. Deswegen wird es sie weiterhin geben, solange das amerikanische politische System funktioniert, wie es funktioniert. Und deswegen gibt es solche Kandidaturen in Deutschland nicht, wo der gesamte Wahlkampf von der Partei getragen wird - und die Partei unterstützt einen Kandidaten, nicht mehrere.

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