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Die Schockstarre nach der Veröffentlichung des Rundschreibens des Bundesversicherungsamtes vom 28.12.2010 (Klick) scheint sich auf Leistungserbringerseite langsam zu lösen: wenn auch ziemlich versteckt, so findet man nun doch im Internet ganz aktuell eine etwas ausführlichere Stellungnahme zu den Ausführungen des BVA durch einen meiner Kollegen (Klick).
Dort geht es im Wesentlichen um die rechtlichen Möglichkeiten der Verbände und Zusammenschlüsse von Leistungserbringern, sich aus einem Vertrag mit einer Krankenkasse zu lösen, der nicht den Vorgaben des BVA entspricht. Ich hatte ja zu dieser Frage schon am 03.03.2011 Stellung genommen: (Klick). Anlass dafür waren kritische Äusserungen über meine Rechtsauffassungen, die der jetzt auch schriftlich sich äussernde Rechtsanwaltskollege zwar nicht direkt mir gegenüber, aber immerhin über mich im Rahmen einer Mitgliederversammlung einer Landesinnung getätigt hatte.
Deswegen nehme ich mir jetzt auch die Freiheit, zu seinen Auffassungen hier Stellung zu nehmen:
Einleitend darf ich darauf hinweisen, dass es sich bei dem geschätzten Kollegen um den neuen strategischen Partner des Zentralverbandes für Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) handelt, also denjenigen, der sich wohl nun um die juristische Beratung dieses Verbandes vorrangig kümmert: ich kann also die Geschäftsführerin und die gewählten Vorstandsmitglieder eines anderen Landesverbandes beruhigen: meine Äusserungen hier in meinem Blog sind in keinster Weise durch den ZVOS beeinflusst, im Gegenteil, sie dürften dort sogar eher kritisch gesehen werden – aber das Recht, sich im Interesse seiner Mandanten (und da sind bei uns einige Leistungserbringer dabei, die das derzeitige Verhalten ihrer Verbände durchaus sehr kritisch begleiten) zu (Fehl-)Entwicklungen zu äussern, ist ein Privileg des freiberuflich tätigen Rechtsanwaltes, der sich nie in eine vertragliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit zu einem Verband begeben hat.
Aber nun zu den Äusserungen des geschätzten Kollegen, der zunächst seine Sicht der Dinge darstellt:
- Eine schnelle Kündigung der bestehenden Verträge erscheine verlockend, um mit neuen rechtskonformen Verträgen die derzeitigen Benachteiligungen für die Leistungserbringer zu beseitigen, trotzdem warne er Verbände und Zusammenschlüsse von Leistungserbringern, die für ihre Mitglieder Ursprungsverträge geschlossen haben, davor, vorschnell Verträge zu kündigen.
Dieses Ergebnis versucht er sodann mit der bestehenden Rechtslage zu begründen:
- Ein Vergütungsanspruch des Leistungserbringers sei regelmäßig nur aufgrund eines bestehenden Vertrages mit der GKV gegeben.
- Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei davon auszugehen, dass der Beitritt durch Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen dem beitrittswilligen Leistungserbringer und der jeweiligen gesetzlichen Krankenversicherung bewirkt wird.
Mit Verlaub, dies ist nun Beides nichts Neues, ergibt es sich doch zum einen aus dem Gesetz, zum Anderen aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2010, die seit Monaten umfänglich kommentiert worden ist, so auch schon am 08.09.2010 hier: (Klick). Aber nun gut, doppelt genäht hält besser, auch wenn dies explizit Gegenstand der Äusserungen des Bundesversicherungsamtes in seinem Rundschreiben ist (Klick).
Wenn dies bis dahin also nicht Aufregendes war, so folgt nun eine überraschende These des geschätzten Kollegens:
- Bei einem Beitritt zu einem bestehenden Vertrag hätten die Vertragsparteien keine Möglichkeit, den Inhalt dieses bereits geschlossenen Vertrages zu bestimmen.
Das entspricht nun aber nicht der Meinung des Bundesversicherungsamtes: dort vertritt man nämlich die Auffassung, dass der Leistungserbringer zwar keinen Anspruch habe, einen von dem Ursprungsvertrag abweichenden Vertrag zu verlangen, das BVA stellt aber auch eindeutig klar, dass die Krankenkasse und der Leistungserbringer sehr wohl einen abweichenden Vertrag abschliessen können, und dass ein solcher Vertrag sogar unter Umständen wiederum für andere Leistungserbringer beitrittsfähig sei. In diesem Bereich sind also die Verhandlungsmöglichkeiten deutlich umfänglicher als dies von meinem geschätzten Kollegen behauptet wird.
Aber sicherlich spannender als dieser Nebenkriegsschauplatz sind seine Auffassungen zur Frage der Folgen einer Kündigung eines Vertrages – ich hatte meine Meinung dazu ja schon dargelegt (Klick); nach Auffassung des geschätzten Kollegen stellt sich die Lage wie folgt dar:
- Soweit ursprünglich ein Verband einen Vertrag für seine Mitglieder mit einer gesetzlichen Krankenversicherung geschlossen habe, dürften sämtliche seinerzeit benannten Mitgliedsbetriebe nach der Kündigung des Verbandsvertrages vertragslos sein und hätten damit keine Versorgungs- und Abrechnungsbefugnis.
- Anders verhalte es sich für diejenigen Leistungserbringer und deren Verbände, die nach § 127 Abs. 2 a SGB V später einem (etwaig zu kündigenden) Vertrag beigetreten seien: da die Beigetretenen einen eigenen Vertrag mit der GKV zu den Bedingungen der Ursprungsvertrages geschlossen hätten und selbst Vertragspartner seien, dürften diese durch Beitritt geschlossenen Verträge weiterhin bei einer Kündigung des Ursprungvertrages Bestand haben.
Ich gebe zu, dass ich mit der ersten These nicht übereinstimme, denn ich denke, dass die alten „Rahmenverträge“ gesetzeskonform als Beitrittsverträge nach neuem Recht auszulegen sind – schliesslich können Leistungserbringer, die bisher nicht über ihre jeweiligen Verbände im Rahmen dieser Verträge leistungsberechtigt waren, diesen Verträgen nun beitreten. Läge mein Kollege richtig, dann würde dies zum Ergebnis führen, dass es bei der Kündigung eines solchen Vertrages plötzlich zwei unterschiedliche Gruppen gäbe:
- Leistungserbringer die ihren Leistungsanspruch verlieren, und
- Leistungserbringer, die aufgrund ihres Beitritts nach der Gesetzesänderung weiterhin Vertragspartner blieben - und dann nach der Auffassung des Bundesversicherungsamtes sogar über Verträge verfügen, die wiederum beitrittsfähig wären.
Mit Verlaub, ein durchaus skurriles Ergebnis, welches durch die Auffassung des geschätzten Kollegens erzielt würde, aber – dies sei eingeräumt – sicherlich nicht die einzige lustige Rechtskonstruktion, die das Sozialrecht vorhält – oder die von interessierten Kreisen in das Sozialrecht hineininterpretiert wird.
Seine zweite These teile ich uneingeschränkt. Allerdings hat dies dann auch die Konsequenz, dass zunächst die Kündigung eines Beitrittsvertrages für den beigetretenen Leistungserbringer keine Folgen hat – er bleibt weiterhin Vertragspartner der Krankenkasse, damit lieferberechtigt und kann sozusagen „in gesicherter Position“ die neuen Verhandlungen abwarten.
Trotzdem kommt der geschätzte Kollege zu nun doch recht überraschenden Folgerungen, und zwar wörtlich:
- „Um weiterhin abrechnungsbefugt zu sein, werden deshalb die meisten Leistungsertbringer nach der Kündigung eines ursprünglichen Verbandsvertrages den Beitritt zu einem anderen Vertrag mit gleichem Inhalt erklären (müssen), um ihre jeweilige Abrechnungsbefugnis zu erhalten. Hier stellt sich im Einzelfall die Existenzfrage.“
- „Durch diese Vertragsbeitritte wird jedoch die Verhandlungsposition der kündigenden Verbandes geschwächt, da die Mitgliedsbetriebe des kündigenden Verbandes durch einfache Vertragsbeitritte zu anderen Verträgen dessen Verhandlungsposition de facto unterminieren.“
- Und weil nun einmal alle Leistungserbringer auf Verträge mit den gesetzlichen Krankenversicherungen angewiesen seien, rät er von sofortigen Kündigungen bei ursprünglichen Verbandsverträgen ab.
Man mag mir durchaus wenig Kenntnis der Praxis unterstellen, aber nach meinen spärlichen Informationen sind doch derzeit nur Verträge im Streit, die nach neuem Recht geschlossen wurden, und deren Kündigung durch Verbände damit nach beiden Rechtsauffassungen keine Beendigung der Vertragsverhältnisse befürchten lassen. Also stellt sich bei diesen Verträgen für die Betriebe keine „Existenzfrage“.
Problematisch könnte natürlich die Verhandlungsposition der Verbände werden, wenn die Krankenkassen darauf verweisen, dass die Leistungserbringer ja weiterhin die gekündigten Verträge „leben“. Wenn man daraus allerdings ableitet, dass eine Kündigung besser ganz unterbleiben sollte, dann zeigt dies nach meiner Meinung eine recht eingeschränkte Sicht, welche Möglichkeiten ein Verband bei verständiger Würdigung des Rundschreibens des Bundesversicherungsamtes hat, erfolgreiche neue Vertragsverhandlungen zu führen, auch wenn es schon andere – nämlich ungünstige und unter Umständen teilweise rechtswidrige, aber trotzdem wirksame – Verträge gibt. Es verlangt eben ein anderes Denken der Verbände, um die Vertragsverhandlungen zu führen. Es verlangt nun einmal in einer veränderten rechtlichen Umgebung auch von Verbänden, sich diesen neuen Gegebenheiten anzupassen; sie werden wohl oder übel aus der reinen Verwaltung von Rechtsbeziehungen herauszukommen haben und zukünftig alle Möglichkeiten nutzen müssen, die einem Vertragspartner zur Verfügung stehen:
- Vertragsverhandlungen selbst, und dies auch durchaus kontrovers, mit eigenen Vertragsvorschlägen und mit der Konsequenz des Scheiterns
- Mitglieder- und Versichertenmotivation mit dem Ziel der Unterstützung der eigenen Verhandlungspositionen
- Presse- und Lobbyarbeit zum Aufbau von Entscheidungsdruck bei den Krankenkassen
- Durchsetzung von Rechtspositionen notfalls auch vor den Gerichten
um nur einige Beispiele zu nennen. Das mag ungewohnt sein und Ängste auslösen, aber diesen Anpassungsprozess müssen die einzelnen Gruppierungen nun einmal vollziehen, wenn sie ihre Existenzberechtigung behalten wollen.
Und da sind wir dann gleich bei den nächsten Thesen des geschätzten Kollegen:
- In Ansehung des o.g. BVA Schreibens sollten sich die Verbände und Leistungsgemeinschaften selbstbewusst in neue Vertragsverhandlungen begeben.
- Es könne unterstellt werden, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts in Ansehung der gültigen Rechtslage und dem BVA Schreiben rechtskonform handeln, deswegen würden neue Vertragsabschlüsse die vom BVA vorgegebenen Grundlagen voll berücksichtigen.
Selbstbewusst sollte man immer in Vertragsverhandlungen gehen, keine Frage, nur sollte man auch geklärt haben, was man denn macht, wenn die Gegenseite ebenfalls selbstbewusst in solche Vertragsverhandlungen geht – und dann zB. darauf verweist, dass man mit den bestehenden Verträgen recht gut leben könne, diese ja ungekündigt seien und man sie deshalb nach dem guten alten Satz „pacta sunt servanda“ weiterhin leben wolle. Spätestens dann kommt doch die Frage: Was nun – denn jemand, der die Konsequenz seines Handelns fürchtet, sollte lieber gar nicht erst verhandeln. Und was ist die logische Konsequenz eines Scheiterns der Vertragsverhandlungen? Natürlich, die Kündigung des Vertragsverhältnisses. Deswegen sind die Ausführungen des geschätzten Kollegens an dieser Stelle nicht zielführend, denn man muss sich über den zweiten Schritt Gedanken machen, bevor man den ersten tut. Aber dieser zweite Schritt ist genau der, von dem er abrät. Nur, und dies frage ich mich ernsthaft, was soll denn ein Verband sonst tun, wenn er sich mit seiner Auffassung in den selbstbewusst geführten Vertragsverhandlungen nicht durchsetzt? Mit den Schultern zucken und das sodann böse Spiel des Vertragspartners akzeptieren? Ob das den Interessen der vertretenen Leistungserbringern dient, möchte ich dann mal bezweifeln. Also wäre ein „Plan B“ vielleicht doch ganz hilfreich.
Dann vielleicht das Prinzip Hoffnung, welches die zweite These zum Ausdruck bringt? Mit Verlaub, das ist für mich in Kenntnis des Verhaltens einiger Krankenkassen schwer nachvollziehbar; natürlich, die meisten Kassen werden ihrer Stellung als Körperschaften des öffentlichen Rechts gerecht, doch diejenigen Krankenkassen, die derzeit massiv die Leistungserbringer und ihre Verbände in den Vertragsverhandlungen und dort mit unzulässigen Vertragsklauseln bedrängen, sind doch genau diejenigen, die in der Vergangenheit gezeigt haben, dass sie Rechtskonformität durchaus einseitig zu ihren Gunsten interpretieren. Ohne Vollständigkeit der Liste beanspruchen zu wollen, nenne ich nur mal ein paar Auseinandersetzungen:
- Der Kampf um die Rückforderung von Schaleneinlagen mit der Barmer.
- Die unsäglichen Einsätze des AOK TaskForce Niedersachsen gegen Leistungserbringer.
- Die einseitige Verlängerung der Versorgungsintervalle der Knappschaft.
- Die diktatorische Festlegung von entgeltpflichtigen Partnern für den elektronischen Kostenvoranschlag durch die Barmer GEK.
- Die Verweigerung der Durchführung eines Schlichtungsverfahrens durch die City BKK trotz eindeutigen Hinweis auf die Rechtslage sowohl durch das BVA als auch durch das Sozialgericht Hamburg.
Wie gesagt, die Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit; natürlich wäre es wünschenswert, wenn bestimmte Krankenkassen sich ihrer Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts wieder bewusst würden, doch allein darauf seine Hoffnungen zu setzen ist im besten Fall naiv.
Gleiches gilt im übrige für den frommen Wunsch, es mögen nun nur noch Vertragsentwürfe vorgelegt und Verträge geschlossen werden, die sich an die Rechtsauffassung des Bundesversicherungsamtes halten. Schon die ersten Verträge, die in Kenntnis des Rundschreibens des BVA geschlossen wurden, führen diesen Wunsch ad absurdum: man nehme die Vereinbarungen zwischen dem Landesinnungsverband für Orthopädieschuhtechnik Nordrhein-Westfalen und der AOK Rheinland/Hamburg zur Hand und stelle fest: Nichts hat sich geändert (Klick).
Aber bei allen Kontroversen mit den Thesen meines geschätzten Kollegens, ich will nicht an Allem etwas mäkeln; auch wenn sich die 5% Obergrenze für Vertragsstrafen natürlich auch aus dem Rundschreiben des BVA ergeben, so teile ich seine weitergehenden Hinweise :
- Künftige Verträge dürfen beispielsweise für nicht zertifizierte LE keine Abschläge mehr vorsehen, sondern sollten Anreize enthalten, sich zertifizieren zu lassen.
- Auch die viel zu hoch angesetzten Vertragsstrafen gehören zukünftig der Vergangenheit an. Hier dürfte die im Baurecht entwickelte 5 % Grenze eine Höchstgrenze darstellen.
Nur ob sie so widerstandslos von den Krankenkassen akzeptiert werden, wie er sich das vorstellt? Ich denke nicht.
Und soweit am Ende der Ausführungen die Hoffnung steht auf zukünftig marktgerechte und faire Vertragspreise, damit der hohe Leistungsstand der Gesundheitshandwerke zum Wohle der Patienten aufrecht erhalten bleibe, so schliesse ich mich dieser Hoffnung durchaus an, habe allerdings weiterhin das Gefühl, dass der dort propagierte Weg nicht unbedingt zu diesem erstrebenswerten Ziel führen wird.